Die Wiener Zeitung.

APA/HELMUT FOHRINGER

Wiener Zeitung vor dem Aus

Das Produkt einer Vernachlässigung

Während der rechte und der linke Boulevard fröhliche Urständ feiern und immer tiefer werden, kämpft das Qualitätsblatt "Wiener Zeitung" ums Überleben. Die Pflichteinschaltungen von Unternehmen, die die wirtschaftliche Basis der Zeitung darstellen, werden wohl 2022 wegfallen. Die älteste Tageszeitung der Welt, die im Eigentum der Republik steht, ist vor dem Aus. Ideen für einen behutsamen Übergang zu einem neuen Geschäftsmodell hat es schon vor Jahren gegeben, doch die Politik hatte kein Interesse. Die Dokumentation einer medienpolitischen Vernachlässigung.

"Veröffentlichungspflicht in Papierform in der Wiener Zeitung abschaffen." Und: "Neues Geschäftsmodell der Wiener Zeitung mit dem Ziel des Erhalts der Marke." Zwei dürre Sätze im Regierungsprogramm genügen, um der ältesten Tageszeitung der Welt den Garaus zu machen. 1703 gegründet, 2022 eingestellt - wenn nicht doch noch ein Wunder geschieht. Denn Pflichtveröffentlichungen über Änderungen im Firmenbuch und von Jahres-Abschlüssen börsennotierter Unternehmen machen den größten Teil der rund 20 Millionen an Einnahmen der Zeitung aus. Die Republik ist ihr Eigentümer, und die Regierung hat ihr Schicksal in der Hand.

Die Politik glaubt nicht an die Rettung

Sie glaubt aber offensichtlich nicht an die Rettung der traditionsreichen Tageszeitung. Eva Blimlinger verhandelt für die Grünen, sie sagt: "Es ist schon ein politisches Ziel, das zu erhalten. Aber das politische Ziel muss auch finanziert werden, und das ist die Grundfrage. Leider." Blimlinger hat die Grundfrage - stirbt bald die nächste der nur vierzehn österreichischen Tageszeitungen? - freilich schon mit Ja beantwortet. Es müsse sicher eine Transformation zu einer Online-Plattform oder einer Wochenzeitung geben, hat die Mediensprecherin der Grünen gesagt. Das ist nur eine Umschreibung für den Tod der Wiener Zeitung.

60 Kündigungen standen schon im Raum

Dass das jetzt alles so schnell geht, hängt mit einer EU-Richtlinie über die Veröffentlichung von Unternehmensinformationen zusammen, das soll online und unbürokratisch gehen. Die Umsetzung muss bis August erfolgen, ein erster Entwurf des Justizministeriums hätte der "Wiener Zeitung" schon einmal ein Drittel der Einnahmen herausgerissen. Im Bundeskanzleramt haben die Alarmglocken geschrillt. Allerdings in dem Sinn, dass vor einer Aufsichtsrats-Sitzung im Februar im Raum gestanden ist, die rund 60 Personen starke Redaktion zur Kündigung anzumelden. Dieser Zug wurde dann gestoppt, die Richtlinie wird jetzt einmal schaumgebremst umgesetzt. Die Pflichtinserate bleiben vorerst.

Schonfrist bis Ende 2022 für die Redaktion

Jetzt sei Zeit bis Ende 2022, ein neues Finanzierungsmodell zu finden - bis dahin passiere auch nichts mit der Redaktion, heißt es von ÖVP-Seite in der Bundesregierung. Die Grüne Blimlinger drückt es so aus: "Wenn wir nächste Woche jemanden haben, der sagt, er zahlt uns fünfzehn Millionen Euro jedes Jahr für die Wiener Zeitung, dann können wir die Pflichtveröffentlichungen sofort abschaffen. Wenn nicht, dann nicht." Eine Atempause - könnte man meinen. Doch dann hat der Geschäftsführer der "Wiener Zeitung", der ÖVP-Mann Martin Fleischhacker, ein Mail an die ganze Belegschaft geschrieben.

Wenn der Geschäftsführer Fakten schafft

Der Kernsatz darin lautet: "Es ist davon auszugehen, dass die finanziellen Rahmenbedingungen die Fortführung einer Tageszeitung in der heutigen Form nicht mehr möglich machen." Selbst Chefredakteur Walter Hämmerle war auf diesen Zug nicht gefasst. In allen bisherigen Gesprächen sei der Erhalt der Tageszeitung immer eine Option gewesen, sagt er: "Stark adaptiert, ja – aber es ist nicht ausgeschlossen worden. Jetzt hat es die Geschäftsführung deutlich ausgeschlossen, und das hat mich zu diesem Zeitpunkt doch irritiert und überrascht." Moralische Unterstützung für die bedrängte Redaktion kommt vom Vorsitzenden der Journalistengewerkschaft in der GPA, Eike-Clemens Kullmann, der sagt: "Hier soll ein Rumpfprodukt auf digitaler Basis erhalten und mit einem Titel versehen werden, der dem nicht mehr entspricht, um das es geht. Da steht dann Wiener Zeitung drauf, und die Zeitung in dem Sinn gibt’s dann nicht mehr."

PR-Agentur des Kanzleramts statt Zeitung?

Am Ende könnte die traditionsreiche Marke eine Art PR-Agentur der Republik bemänteln, befürchten die Kritiker. Auftragsarbeiten für die Regierung und ihre Dienststellen mit einem journalistischen Tarnanstrich. Jüngste Aussagen von Geschäftsführer Fleischhacker, dessen Vertrag mit dem Bundeskanzleramt im August zur Verlängerung ansteht (was von manchen mit seinem Vorstoß in Zusammenhang gebracht wird) - die nähren die Befürchtungen. Da hat Fleischhacker die "Content Agentur Austria" als neues Geschäftsfeld gelobt, die produziert für das Kanzleramt etwa ein Verwaltungsmagazin und ein Magazin für EU-Themen in Gemeinden. Reine PR also. Aber dem Regierungsprogramm wäre Genüge getan, "Erhalt der Marke" heißt es dort.

Die Redaktion legt sich nicht zum Sterben hin

Dabei hätte die "Wiener Zeitung" gerade jetzt, wo in der digitalen Welt die Emotionen regieren, so eine wichtige journalistische Aufgabe, sagt der Chefredakteur. "Wir sind ja nicht das größte Medium im Land, aber man darf sich dieser Lawine nicht ausliefern. Wir könnten eine kleine, aber wichtige Stimme sein, die da gegen den Strom schwimmt." Die Redaktion will kämpfen. "Sich zum Sterben hinlegen ist keine Option", heißt es. Ein Strohhalm, an den sich Hämmerle und seine Leute klammern - so sehen sie es in den Reihen der Regierung, dort fällt schon auch einmal das hässliche Wort "Blindprodukt" - ein Hinweis auf die bescheidene Reichweite, die offiziell nicht ausgewiesen wird.

Werbefreie Zeitung und Journalismus-Labor

Der Medienwissenschafter Josef Trappel von der Uni Salzburg widerspricht: "Das ist praktisch die einzige Zeitung in Österreich, die weitgehend darauf verzichtet, durch Werbung finanziert zu werden, und sich damit nur an den Bedürfnissen der Leserschaft orientiert und nicht an jenen der Werbewirtschaft. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal der Wiener Zeitung, das man auf keinen Fall verlieren sollte." Sein Kollege Fritz Hausjell von der Universität Wien wüsste eine ganz neue Aufgabe für das Blatt: "Wir geben der Wiener Zeitung den Spezialauftrag, so etwas wie ein journalistisches Entwicklungslabor zu sein. Und dort, wo man Lehrgeld zahlt, da zahlt es – wenn man so will – die Republik." Aus welchem Topf, wäre halt wieder die Frage.

Alternative Finanierungsmodelle gesucht

Jede Förderung des Bundes würde große EU-beihilfenrechtliche Probleme bringen, sagt die Regierung, und das sehen auch Juristen so. Also wird über alternative Finanzierungsmodelle gesprochen, konkret ist nichts, fix schon gar nichts. Sogar der verzweifelt anmutende Ruf nach einem Mäzen, der sich die "Wiener Zeitung" leisten will, ist ertönt. Alexandra Föderl-Schmid, stellvertretende Chefredakteurin der "Süddeutschen Zeitung", schlug bei einem Talk des Presseclubs Concordia eine Anleihe bei der Berliner "tageszeitung" vor. "Ein Genossenschaftsmodell wie bei der taz wäre etwas, was man auch für die Wiener Zeitung diskutieren könnte."

Ohren der Medienpolitiker zu lange taub

Ein früherer Chefredakteur der "Wiener Zeitung" hat schon vor Jahren ein Stiftungsmodell ersonnen und den damaligen SPÖ-Medienministern vorgeschlagen. Die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung – beide sind natürliche Feinde der Pflichtveröffentlichungen, damals aber offenbar lösungsorientiert - sollen an Bord gewesen sein. Doch die Ohren der Medienpolitik waren so taub, wie sie es bis heute sind.

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