AFP/BERTRAND GUAY
Sexuelle Belästigungen im Journalismus
Das laute Schweigen zu Übergriffen
Wer glaubt, dass sexuelle Belästigung im österreichischen Journalismus ein Gespenst aus der Vergangenheit ist, der irrt. Derzeit läuft ein Prozess. Ein bekannter Medienmanager hat eine Moderatorin entlassen, weil sie ihm vorwirft, sie sexuell belästigt zu haben. Jetzt klagt er sie und sie wehrt sich. Auch in Deutschland gibt es Vorwürfe gegen den Chefredakteur der "Bild"-Zeitung. #doublecheck nimmt das zum Anlass, Journalistinnen in Österreich zu fragen, was sie so erleben.
1. Jänner 2024, 13:55
Was in Österreich noch immer scheinbar normal ist: oe24.TV sucht Nachwuchs. Die Annonce im Gratisblatt "Österreich" zeigt drei blonde Frauen, darunter steht: Wir suchen die besten TV-Moderatorinnen Österreichs! Darunter ein Bild mit zwei Männern, kommentiert mit den Worten: Tolle Berufschance für die besten Journalisten! Damit wird suggeriert: Hübsche Frauen lesen Nachrichten, Männer machen Journalismus. Ein Klischee, das wirkt wie aus alten Zeiten.
"Sind Sie schon schwanger?"
Aus einem anderen Verlag erzählt uns eine junge Frau ihre Geschichte. Aus Angst vor Klagen will sie nicht erkannt werden. Sie berichtet von einer Redaktionssitzung, an der fast nur Männer teilgenommen haben, in ihre Richtung fallen folgende Worte: "Grüß Sie, sind’s schon schwanger? Wen soll ich denn da fragen in der Runde?“ Der Schock ist groß, sie schweigt, niemand reagiert. Entwürdigend sei das, erzählt sie, und wie machtlos sie sich gefühlt habe. Im gleichen Verlag erinnert sie sich an die Aufforderung: "Geh du zu dem Interview und zieh dir einen kurzen Rock an und Netzstrumpfhosen", die Idee dahinter war, den Interview-Partner auf diese Weise gesprächiger zu machen. Auch das ist noch nicht lange her.
Bei @oe24tv suchen sie die besten Moderatorinnen und die besten Journalisten.
— Leonhard Dobusch (@leonidobusch) March 22, 2021
Was sie schon haben: die besten Symbol- und Rollenbilder. pic.twitter.com/U19nUkuEpe
Ein Sittenbild aus einer Redaktion
Die #metoo-Bewegung wird etwas verändern, aber der Weg für Betroffene sei noch immer steinig, sagt der Medienanwalt Michael Rami. Er hat viel gehört, denn er vertritt zwei Frauen in laufenden Gerichtsverfahren, es geht um den Vorwurf sexueller Belästigung durch eine Führungsperson. Was die Frauen ihm schildern, zeichnet ein Sittenbild: Zunächst beginne alles harmlos und nett. Er könne sich eine Zusammenarbeit vorstellen, sagt der Mann den Betroffenen, und dass er ihre Karriere fördern könne. Die jungen Frauen würden herausgehoben und isoliert, weil sie "so gut" seien. Die Frauen würden dann in einen Graubereich gezogen, es komme zu ersten Anzüglichkeiten per WhatsApp oder SMS. Wenn sich die Frauen distanzieren, werden sie als Spaßverderberinnen dargestellt.
Das "Nein" setzt Abwärtsspirale in Gang
Die Mandantinnen würden auch zu privaten Treffen eingeladen, etwa zu Abendessen oder Urlauben - und dann komme es zu körperlichem Kontakt, der unerwünscht ist, zu echten sexuellen Übergriffen. Wenn das Opfer klarmache, dass es das nicht dulde, beginne eine Abwärtsspirale. Der Täter drohe mit Konsequenzen und Klagen, und oft werde das Arbeitsverhältnis gekündigt. Auch bei den Opfern zeige sich ein Muster, erzählt Rami: Die jungen Frauen, die am Beginn ihrer Karriere stehen, ignorierten ihr ungutes Bauchgefühl, suchten die Schuld bei sich und verpflichteten sich innerlich zum Schweigen. Sie wissen: Im Journalismus gibt es in Österreich nicht so viele Möglichkeiten. Und Prozesse kosten Geld.
Es ist eine Frage der Machtausübung
Tatsächlich geht es bei sexueller Belästigung um Macht, erinnert Constanze Pritz-Blazek, stellvertretende Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft des Bundes: "Es geht darum, dass eine Person Macht ausübt durch sexualisiertes Verhalten." Meist betreffe es Personen, deren beruflicher Aufstieg abhängig von einer Führungsperson ist, die das ausnützt. Laut Gleichbehandlungsgesetz sei völlig klar, wann die Grenze überschritten ist, sagt Pritz-Blazek - und zwar dann, wenn das Verhalten unerwünscht ist und darauf abzielt, die Würde zu verletzen, oder wenn ein entwürdigendes Arbeitsumfeld entsteht. Es muss auch keine Berührung sein, Bilder und Kommentare sexualisierter Natur gelten genauso als sexuelle Belästigung. Das treffe also auch in Fällen wie jenem zu, der uns von einer Redaktion erzählt wurde: Zwei Männer suchen Musik für ein TV-Programm aus und kommentieren das vor einer Kollegin mit den Worten: "Super Musik zum Ficken!"
Einschüchterung während des Interviews
Auch in Interviewsituationen kommt es häufig zu Einschüchterungen mit sexuellem Beigeschmack, wie Redakteurinnen - lieber anonym - erzählen: Ein ungewollter Kuss auf die Wange zur Begrüßung, ein Kommentar über die Figur oder die Kleidung, oder solche Bemerkungen: "Wie kann eine so junge und hübsche Frau so gemeine Fragen stellen?" oder "Sie sind schon verheiratet?" - oder während eines Telefonats: "Ich hoffe es stört dich nicht, aber ich hab mich während des Gesprächs ausgezogen." Ein inhaltliches Gespräch auf Augenhöhe ist danach nicht mehr zu führen.
Wie sehr sexuelle Belästigung im Journalismus noch ein Thema ist, erzählt auch ORF-Betriebsrätin Christiana Jankovics. Im ORF etwa werde alle zehn Jahre eine Umfrage gemacht, und da komme jedes Mal heraus, dass zwei Drittel der Kolleginnen herabwürdigende und belästigende Kommunikation erlebt haben. Man müsse das Problem immer wieder neu erklären, meint Jankovics.
"Es ist nie ein Scherz oder ein Kompliment"
Es gäbe zwar einen Konsens, dass alle das nicht wollen, aber oft würden Mitarbeiter nicht verstehen, wo die Grenze ist. "Das muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden, und es muss daran erinnert werden, dass das Konsequenzen hat. Sexuelle Belästigung ist nie ein Schwerz und nie ein Kompliment". Ihr Rat: sofort reagieren, ein Protokoll schreiben und zur Führungskraft gehen. Wenn das nicht möglich ist, Hilfe beim Betriebsrat oder der Gleichbehandlungsanwaltschaft suchen. Diese bietet kostenfrei Beratung an. Meist gibt es keine Zeugen, und es steht Aussage gegen Aussage. Hier ist Spezialwissen gefragt, betont Constanze Pritz-Blazek.
Aufgabe der Gleichbehandlungsanwaltschaft sei, das Geschehen so zu erklären, dass es von der Gegenseite verstanden werde. Es gehe auch darum, Tatbestände herauszuarbeiten und vor allem zu erklären, welche Strukturen im Unternehmen so ein Verhalten begünstigen.
Die Whistleblowerinnen als Problem
Dass in der Medien- und Politik-Welt ein rauer Wind weht, ist bekannt. Die Autorin Sara Hassan hat gemeinsam mit Juliette Sanchez-Lambert einen Leitfaden über sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz geschrieben, mit dem Titel "Grauzonen gibt es nicht". Sie erinnert in diesem Zusammenhang an ein englisches Sprichwort, das lautet: „If you can’t stand the heat, get out of the kitchen.“ Es bedeutet: Wenn du das nicht aushältst, dann geh woanders hin. Diese Einstellung mache deutlich: „Das Umfeld wird nicht thematisiert, das eigentliche Problem sind die Whistleblowerinnen, das halte ich für katastrophal.“
Hellooo, heute ist es soweit: "Grauzonen gibt es nicht" erscheint. Go get it! https://t.co/uKhgHjYzGr
— Sara Hassan (@sarahas_san) November 10, 2020
Fotocredit: @dChris pic.twitter.com/PMfySMpBBS
"Sagt was und sucht euch Verbündete!"
Hassan rät betroffenen Frauen, sich Verbündete zu suchen. Denn Frauen, denen so etwas passiere, würden schnell feststellen, dass sie nicht allein sind. Es brauche auch die Courage der Kollegen, die -wenn sie Zeugen werden - etwas sagen sollen, wie: "Das, was da passiert ist, hab ich nicht in Ordnung gefunden." Wie schwierig das noch immer ist, zeigt die Tatsache, dass Frauen ihre Geschichten nicht öffentlich erzählen. Aus Scham oder aus Angst vor Klagen oder aus Angst, verspottet zu werden - vor allem im Netz. Auch Frauen, die mit ihren Geschichten schon in den Medien waren, schweigen Jahre später lieber, sie wollen nicht immer mit der gleichen Geschichte in Verbindung gebracht werden. Und Erniedrigungen sitzen tief.
Was ändert die #metoo-Bewegung?
"Was früher als normal abgetan wurde, wird heute nicht mehr akzeptiert", betont der Medienanwalt Michael Rami. Es wird mehr als nur Bewusstseinsbildung brauchen, glaubt Hassan. Zum Beispiel Prozesse und öffentliche Diskussionen. In Deutschland gingen in den vergangenen Wochen die Vorwürfe gegen Julian Reichelt, den Chefredakteur der "Bild-Zeitung", durch die Medien. Mitarbeiterinnen warfen ihm Mobbing, Machtmissbrauch und Ausnützung von Abhängigkeitsverhältnissen vor. Er hat die Vorwürfe bestritten, es gab eine Compliance-Prüfung - und jetzt ist Reichelt wieder Chef, aber man hat ihm eine Frau "zur Seite gestellt".
"Was Betroffene uns mitteilen, ist uns egal"
"Damit hat man kommuniziert: Was Betroffene uns mitteilen, ist uns egal", meint Hassan. Man sei offenbar der Meinung, das System funktioniere noch gut genug. "Für Betroffene eine absolute Katastrophe, und für alle anderen, potenziell Betroffene, natürlich auch". Anders als in Deutschland wird in Österreich im laufenden Prozess gegen einen Medienmanager der Name des Mannes nicht genannt. Auch wir tun es nicht. Eine Art "Übervorsicht", findet der Medienanwalt Rami. Denn ginge es um eine andere öffentlich bekannte Person, wie einen Politiker oder Manager, würde der Name genannt werden. Wichtig sei nur, dass nicht vorverurteilend berichtet werde. Also warum tun die Medien es nicht? Auch Angst vor Konsequenzen. Da haben sie etwas gemeinsam mit den Journalistinnen, die mundtot gemacht werden. Der Weg ist noch weit.
Service
"Grauzonen gibt es nicht" von Sara Hassan und Juliette Sanchez-Lambert, gratis PDF-Version vom ÖGB-Verlag.