Fassaden-Mock-Up K118, baubüro in situ, Ausstellung S AM

MARTIN ZELLER

Recycling in der Architektur

Altbau als Rohstoffquelle

Auch die Architektur muss sich den Herausforderungen des Klimawandels und der Ressourcenknappheit stellen: Wenn ein Haus abgerissen wird, dann fallen riesige Schutt-Mengen an, die abtransportiert und entsorgt werden. Wenn dann an gleicher Stelle ein Neubau errichtet wird, braucht es wieder Rohstoffe, die mit Lkws angekarrt werden. Viel Abfall, hohe CO2-Emmissionen und ein massiver Rohstoffverbrauch fallen beim Bauen also an - doch es gibt Alternativen.

Recycling bedeutet in der Bauwirtschaft, dass Materialien beim Abtragen eines Bauwerks sortenrein getrennt und für eine weitere Verwendung aufbereitet werden. Re-Use hingegen geht noch einen Schritt weiter in Richtung ökologisch nachhaltiges Bauen: Elemente aus zum Abbruch bestimmten Häusern werden adaptiert und weiterverwendet.

Saubere Luft nach oben

Recycling von Materialien und Re-Use, also Wiederverwendung von Bauteilen, sind Modelle, die zwar noch keine Breitenwirkung in der Architektur in Österreich entwickelt haben, die aber durchaus Zukunftspotential haben: im Sinne einer ökologisch und sozial nachhaltigen Planung unserer Lebensräume und Häuser.

"Uns gehen nicht nur die wertvollen Rohstoffe aus, wie Kupfer und Metalle, sondern auch schon die ganz banalen, wie Sand und Kies", sagt Thomas Romm. Der Architekt hat vor fünf Jahren die Initiative Baukarussell gegründet, die wertvolle und selten werdende Rohstoffe aus Abrisshäusern birgt und wieder auf den Markt bringt bzw. deren Verwertung im Neubau ermöglicht. Mit dem Budget, das durch den Verkauf von Rohstoffen, wie Kupfer und Aluminium, erwirtschaftet wird, werden Arbeitskräfte für die weitere manuelle Entfrachtung des Hauses bezahlt.

Social Urban Mining

Dabei arbeitet Baukarussell mit sozialökonomischen Betrieben zusammen, die etwa langzeitarbeitslose Menschen auf der Baustelle einsetzen. "Social urban mining" nennt das Thomas Romm - "urban mining" begreift die Stadt und ihre Bauwerke als Rohstofflager, die es zu bergen und weiterverwenden gilt. Ein Modell mit sozialem Mehrwert, das nicht nur viele Lkw-Kilometer erspart und Ressourcen schont, sondern das auch die Müllmassen reduziert - denn durch Abbrüche fallen in Österreich jedes Jahr 10 Millionen Tonnen Abfall an.

Baustelle

SOUCEK

Vom Abbruch direkt in den Neubau

Auf dem ehemaligen Coca-Cola-Gelände ein Wien wurden durch die Demontage der Bestandsbauten 450.000 kg Baumaterialien generiert. Beim Rechenzentrum der Stadt Wien an der Rathausstraße wurden 74.000 kg sortenrein getrennt und für die Verwertung gewonnen.

Im Idealfall werden die Rohstoffe wie Aluminium, Kupfer, Betonplatten oder auch Elemente des Innenausbaus wie Raumtrenner, Deckenpanele, Parkettböden oder Fliesen vor Ort getrennt und für die Errichtung des Neubaus an gleicher Stelle verwendet. Je früher die Bauherren sich entschließen, den Prozess der Kreislaufwirtschaft zu gehen, desto einfacher die Logistik: Nach einer Bestandsaufnahme und Katalogisierung wird das Material in einem Bauteilkatalog online gestellt und kann von Interessenten im alten Haus abgeholt werden.

Nomadisierendes Material

Lagerkosten sollen keine anfallen, und weitere Lkw-Fahrten wolle man auch vermeiden, das sagt die Architektin Andrea Kessler von der Gruppe Materialnomaden: "Lagern tun wir in den Gebäuden selbst. Wenn Auftraggeberinnen, Bauherren und Immobilieneigentümerinnen in der Phase, wo sie darüber nachdenken, das Gebäude zu sanieren, abzubrechen oder umzubauen, zu uns kommen, ist es der ideale Zeitpunkt, um den Kreislaufprozess zu beginnen."

In der Kegelhalle am ehemaligen Siemens-Werksgelände in Wien-Favoriten, gleich an der Gleisanlage, haben die Materialnomaden eine Werkstatt und Materiallager, um Prototypen für Design-Objekte und architektonische Elemente zu entwickeln. Zu ihren Auftraggebern gehören die ÖBB und die Bundesimmobiliengesellschaft. Für die gerade eröffnete Landesschau Steiermark haben die Materialnomaden mit dem Studio Itzo die Ausstellungsarchitektur gestaltet. Das Tor zum Areal haben sie auch selbst gebaut - aus Heizkörperabdeckelementen, die im Stahlrahmen filigran und elegant wirken. Aus Gepäckträgern und Deckenpanelen aus ausrangierten Schnellbahnwaggons entwickeln sie gerade Schallschirme.

Wider die absurde Logik des Bauens

"Das Wiederverwenden von Dingen on-site, also auf dem gleichen Bauplatz für das folgende Bauvorhaben, ist etwas, was die absurde Logik des Bauens durchbricht. Im Augenblick fahren wir mit den Aushüben kilometerweit auf die Deponie und bringen den Kies aus der anderen Richtung da her - wir merken schon gar nicht mehr, was wir da eigentlich tun! Das Arbeiten mit den Substanzen, mit den Ressourcen vor Ort, das haben wir erstmals durchgespielt, von A bis Z", sagt Thomas Romm über ein Bauprojekt, das nicht zustande gekommen ist: der Neubau eines Schwesternheims am Wiener Kapellenweg.

Im Wettbewerb war das Projekt zwar nicht erfolgreich, doch für Thomas Romm und sein Baukarussell war es eine Initialzündung für großvolumiges Re-Use von Abbruchmaterial. Konkret ging es dabei um etwa 2.500 Fenster, die aus dem alten Schwesternheim ausgebaut und ins neue eingebaut werden sollten. "Die hätten etwa 20 Prozent der Gebäudehülle des weitaus größeren Neubaus ausgemacht", meint Richard Manahl vom Büro Artec Architekten, das den Neubau gemeinsam mit Baukarussell, mit dem Architekturbüro wup-wimmerundpartner, sowie mit der Planungsfirma raum & kommunikation entwickelt hat.

Abbruchreifes Bauen für die Zukunft

Es gilt, Bestandsbauwerke nicht als Abfall, sondern als Rohstoffquelle zu betrachten, sagt der Projektentwickler Robert Korab von der raum & kommunikation GmbH. Und im Idealfall sollen bereits jetzt Bauwerke so errichtet werden, dass ihr Abbruch späteren Generationen keine Schwierigkeiten bereitet; das unverwirklicht Projekt Kapellenweg ging noch weiter, als am Bauplatz vorhanden Ressourcen in den Entwurf zu integrieren. Denn die Smaq GmbH, bestehend aus Artec, wimmerundpartner und Korabs Firma raum & kommunikation hat ein modulares Bausystem entwickelt, das - in der Gegenwart gebaut - in Zukunft leicht zu demontieren und in Rohstoffe zu trennen ist. In St Pölten ist bereits eine Wohnanlage aus Smaq-Modulen mit rund 200 Wohneinheiten gebaut worden; in Wien, in der Berresgasse, soll demnächst eine weitere entstehen.

Besonders im Wohnbau bedarf es eines Umdenkens. Dabei ist die Vorfertigung von modularen Bauelementen laut Richard Manahl ein Schlüssel zu nachhaltigem Rückbau - wenn Rohstoffe so verwendet werden, dass sie leicht wieder zu trennen sind; wenn Umbauten im Lebenszyklus eines Bauwerks möglich ist und zukünftige Funktionen, Umbauten also, offen sind.

Wo bleibt die Baukunst?

Aber wie sieht es bei modularen Bauweisen aus trennbaren Rohstoffen mit der baukünstlerischen Gestaltungsfreiheit aus? Die skulpturale Formgebung ist freilich bei Stahlbeton eine andere als bei Holz-Aluminium-Modulen. "Wenn man in solchen modularen Einheiten oder Systemen denkt, ist es eine gewisse Einschränkung der künstlerischen Freiheit. Wenn ich in freien Formen denke, die mit Stahlbeton hergestellt werden können, dann wird das mit Sicherheit nicht wiederverwendbar sein", konstatiert Robert Korab.

Dass der Gestaltungswille keineswegs eingeschränkt, sondern sogar beflügelt wird, meint der Architekt und Re-Use-Pionier Thomas Romm. Er nennt als Beispiel die Weiterverwendung von Türen aus dem alten Gebäude der Medizinischen Universität Wien in der Mariannengasse, deren Abbau das Baukarussell begleitet, in einem Café als Wandpanele.

Seitens der Architekten gibt es jedenfalls eine klare Bereitschaft, klimaschonend und ressourcensparend zu entwerfen; dass Recycling und Re-Use auch kosteneffizient sind, sollte auch für Immobilienentwicklerinnen und Bauherren ein schlagendes Argument sein.

Service

Materialnomaden
BauKarussell

SMAQ

ARTEC Architekten
raum & kommunikation
wup-wimmerundpartner

Die Ausstellung "Material Loops" im Haus der Architektur Graz präsentiert ab 14. April 2021 Fallbeispiele der Kreislaufwirtschaft in der Architektur aus der Schweiz, den Niederlanden, Deutschland und Österreich.

Gestaltung

  • Anna Soucek