PAMELA RUSSMANN
Tonspuren
"Das Patriarchat ist wie Schwerkraft"
"Tonspuren" über die feministische Autorin Gertraud Klemm.
14. Mai 2021, 02:00
"Es gibt mehr Literaturpreisträger, die Peter heißen, als Frauen", meint Gertraud Klemm. Dieser Fakt ist symptomatisch für die gesamte Kulturbranche. Bücher von Autorinnen sind in deutschsprachigen Verlagen deutlich unterrepräsentiert. Eine Studie der Universität Rostock aus dem Jahr 2018 bestätigt auch ein klares Ungleichgewicht in den Medien: In Zeitungen und Magazinen standen 65 Prozent besprochener Autoren 35 Prozent Autorinnen gegenüber.
Außerdem tummeln sich mehr Literaturkritiker als Literaturkritikerinnen im Feuilleton, wobei man Letzteren oft die Kinder- und Jugendbücher zur Besprechung überlässt. Sobald frau jedoch auf diese Missstände aufmerksam mache, gelte sie als kleinlich, erzählt Klemm. Dann heiße es, diese oder jene Schriftstellerin sei "frustriert" und "einfach nicht gut genug". Doch wer beurteilt, was gut ist und was nicht? Hier beißt sich die Katze in den Schwanz.
Wer beurteilt, was gut ist und was nicht?
In einem patriarchalen System hatte es Klemm von Anfang an nicht leicht. Schon als Jugendliche ortete sie überall Ungerechtigkeiten und machte diese literarisch dingfest. Verlage interessierten sich allerdings nicht für ihre als zu politisch empfundenen Werke.
Das Thema sei "zu klein", es passe "gerade nicht ins Programm", es sei "sehr gut geschrieben, aber …". Über dieses große Aber ärgert sich Gertraud Klemm noch heute. Zwischen 2010 und 2015 gewann sie reihenweise Literaturpreise mit anonym eingereichten Texten. Sobald sie jedoch als Frau bei Verlagen anklopfte, hagelte es wieder Absagen.
Glattbügeln, um zu bestehen?
Die Ablehnung, die sie zu Beginn ihrer Karriere erfuhr, erweckte in ihr den Eindruck, sie müsse ihren Schreibstil ändern, um auf dem Büchermarkt bestehen zu können. Sie hätte ihre Aussagen hinter einer bestimmten Erzähltechnik verstecken müssen, um nicht automatisch als feministisch wahrgenommen zu werden. Klemm wehrte sich jedoch dagegen, ihre Sprache, ihre Figuren und ihre Perspektiven glattzubügeln.
Und ihr Durchhaltevermögen hat sich ausgezahlt: Nach wie vor schreibt sie kämpferische, angriffslustige Texte und scheut dabei nicht vor gesellschaftspolitischen Rundumschlägen zurück. Ihre Analysen sind ebenso scharfsinnig wie humorvoll.
Eine Abrechnung
In ihrem aktuellen Roman rechnet sie mit der Literaturbranche ab und zeigt, wie es um die gleichberechtigte Wahrnehmung von Frauen tatsächlich steht. "Hippocampus" ist der Titel des Buchs, ein feministischer Roadtrip, bei dem sie ihre Protagonistin, Marianne, auf einen Rachefeldzug gegen Bigotterie und Sexismus schickt: Sie verkleidet Heldenstatuen, demontiert Bildstöcke und stört Preisverleihungen.
Als Vorrecherche führte Klemm viele Gespräche mit Frauen der 68er-Generation und war beeindruckt von deren Kampfgeist. Heute seien Frauen leider ein beachtlicher Teil des Problems, meint sie. Vor allem dann, wenn sie an den entscheidenden Machthebeln sitzen und ihren tapferen Ahninnen den Mut, sich mit dem Patriarchat anzulegen, schuldig bleiben.
Ex-Trinkwasserkontrolleurin
Gertraud Klemm studierte Biologie und arbeitete als Trinkwasserkontrolleurin für die Stadt Wien, bis sie ihren Beamtinnenjob für die Schriftstellerei an den Nagel hängte. Seitdem hat sie fünf Romane herausgebracht und arbeitet nebenbei als Schreibpädagogin. Ihr Roman "Aberland" war für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2015 nominiert und gewann den Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb. 2020 wurde Klemm mit dem Outstanding Artist Award für Literatur ausgezeichnet. Die "Tonspuren" haben die Autorin in Baden besucht und mit ihr die Denkmäler der Stadt erkundet.