"Thronende Madonna mit vier Heiligen"

GEMEINFREI

Ö1 Kunstgeschichten

"Mit dem Herzen malen" von Erika Kronabitter

Er wurde "Rosso" genannt, nach seinen roten Haaren, und "Fiorentino" nach seiner Herkunft: der Maler Giovan Battista di Jacopo. Erika Kronabitter ließ sich für ihren Text von Fiorentinos Gemälde "Thronende Madonna mit vier Heiligen" aus dem Jahr 1518 inspirieren. Die Autorin sucht ein mögliches persönliches Motiv für die Arbeitsweise dieses Malers des italienischen Manierismus, der schon in jungen Jahren seine eigene "maniera" fand. Die Ö1 Erstveröffentlichungsreihe "Kunstgeschichten" widmet sich dem Kunstblick von Autorinnen und Autoren.

Eine Jungfrau mit vier Heiligen. Das hat sich Leonardo Buonafede für die Kapelle ausgedacht. Kein Maler kann in Florenz Erfolg haben, ohne auch Altarbilder zu schaffen. Und ich darf den Auftrag ausführen! Meine Heiligen in der Santa Maria Nuova!

Das Tafelbild selbst scheint groß, doch der Raum, der für fünf Personen zur Verfügung steht, ist klein. Die Jungfrau mit dem Kind und vier männliche Heilige: Johannes der Täufer, Hieronymus, Leopold und Benedikt.

Alle fünf auf einem Bild mit dem Jesukind? Der Auftrag hat seine Tücken. Sollte ich die Figuren vielleicht kleiner malen? Ein wenig in die Ferne rücken? Ins Bild kommen lassen?

Wie verbinde ich das Göttliche mit dem Menschlichen? Diese zwei Ebenen zu verbinden wäre die Pflicht des Künstlers. Das heißt auch, dass die Kunst in der poetischen Schöpfung verzerren und verändern darf. Meine Kunst ist anders: groß sollen die Figuren sein, groß und mächtig!

Erika Kronabitter

PETRA RAINER

Erika Kronabitter wurde 1959 in Hartberg in der Steiermark geboren, sie lebt in Wien und in Bregenz. Die Autorin von Prosa und Lyrik ist darüber hinaus als Konzeptkünstlerin, Dozentin und Workshopleiterin tätig.

Ein Künstler hat die Fähigkeit, direkt von Gott inspirierte Bilder hervorzubringen. Ich werde die vier Heiligen dünn malen, eher schlank. Schlank und groß. Sie werden eng stehen, übergroß, und ernst auf den Betrachter blicken.

Nein, besser noch: Sie werden den Betrachter nicht beachten. Ihn nicht anblicken! Der Gläubige bleibt vor dem Bild mit sich allein. Kein gütiger, trostversprechender Blick durch einen Heiligen.

Die Vorstellungskraft, eine strenge Sprache und die florentinische Gewohnheit werde ich in meiner Kunst verbinden. Zwischen dem Gebrauch der Sprache und dem künstlerischen Weg muss Analogie herrschen. Klein wird sich der Mensch vor dem Altarbild fühlen. Klein vor dem Jesukind und der Madonna mit den vier Heiligen. Die Blicke werden ins Heimliche der Herzen rühren.

Es ist ein Auftrag in Erfüllung des Testaments von Francesca Ripo. Die katalanische Witwe wünschte sich ihr Grab in der Santa Maria Nuova. Sie hat Buonafede, den Direktor des Spitals, in welchem sie im Sterben lag, als Erben eingesetzt. Soll ich der Jungfrau Francesca Ripos Gesichtszüge geben?

… Ach nein! Die Jungfrau werde ich aus dem Herzen malen! Nicht ansehen und trotzdem sehen, mit meinem Herzen, aus der Haltung des Herzens malen: so werde ich mich ihr nähern, ihr nahe sein. Von Herzschlag zu Herzschlag. Mein Herzschlag, wenn ich an meine Mutter denke. Die Jungfrau ist meine Mutter. Bei jedem Pinselstrich werde ich an meine Mutter denken - so wie Mutter hätte sein können - an ihren weichen Blick. Wie ihre Hände liebkosend über meine Haare strichen, so wie ihre Hände liebkosend über meine Haare streichen hätten können. Nie, nie, nie ein lautes Wort. Trotz allem hatte sie ein Ohr für mich, hätte sie ein Ohr für mich haben können, wäre ich bei ihr aufgewachsen. Sie hatte diese Weichheit, von der ich mich so angezogen fühle - Nur nicht für mich. Sondern für die vielen anderen, die ihr ihr Leid klagten.

Markus Meyer

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Markus Meyer, Jahrgang 1971, ist Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters. Seine jugendliche Stimme ist den Hörerinnen und Hörern von Ö1 aus zahlreichen Hörspielen sowie Prosa- und Lyriksendungen vertraut.

Ein leicht geneigter Kopf, Zugewandtheit. Wie sonst rührt mich das Schicksal der Armen? Warum sonst belächeln mich die Menschen als hypersensibel? Beschimpfen mich als Granitkopf, weil ich mich in die Abgeschiedenheit zurückziehe, um überleben zu können, um meiner Seele das Gleichgewicht der Stille zu bereiten.

Niemand wurde von ihr abgewiesen. Ich werde die Jungfrau in ihrem Sein malen: Maria als Mutter, als meine Mutter. - Ihren innersten Schein nach außen scheinen lassen, schimmern lassen, ihr Innerstes zeigen. Keine matte Heiligkeit. Kein mattes Versprechen. Kein Heiligheucheln. Meine Maria werde ich keiner Oberflächlichkeit preisgeben, sie wird durch ihr Leuchten beeindrucken. So wie meine Mutter durch ihr Innerstes beeindruckt hat.

Ein Sohn weiß um das Wesen seiner Mutter. Ich weiß es, weil ich es fühle. Ich weiß, sie bedurfte keiner großen Gesten, keiner Herrschaftsgebärden. Ihr Wesen war schlichte Vollkommenheit. So wie Albrecht Dürers Hase durch Vollkommenheit besticht und Schlichtheit durch und durch, angelegt in der Komposition.

Nur Vasari, dieses Großmaul, will Dürer die Gültigkeit seiner Kunst absprechen, spricht abfällig über dessen Stiche. Vasari, ein Neider, der hofft, durch seinen Spott den Ruhm der Konkurrenten klein zu halten. Mit Sticheleien, die Konkurrenten erst gar nicht aufkommen lassen - durch pure Missgunst. Selten lässt er ein gutes Haar an einem Maler. Und trotzdem: Wie sie ihn alle umschwirren, diesen Spötter. Wie sie sich ihm anbiedern.

Auch wenn er sich über meine Skizzen lobend äußert, lasse ich mich nicht täuschen. Ich habe ihn durchschaut, in seinem Innersten erkannt. Schon aus diesem Grunde benötige ich den Rückzug. Die Einsamkeit sorgt für mein Gleichgewicht.

Der Vertrag ist unterzeichnet In fünf Monaten muss das Altarbild fertig sein. Wie lächerlich sie sich alle machen in ihrer braven Manierlichkeit! Alle! Davon will ich mich distanzieren. Am Aufbau der Figuren und an der Drapierung der Gewänder wird mein Handwerk zu erkennen sein. Ich werde ihnen zeigen, was im Quattrocento in Florenz üblich ist. Niemals werde ich mich an meinen Zeitgenossen orientieren!

Diese übertriebene Übertriebenheit. Übertrieben in der Figurengestaltung, übertrieben in der Komposition, übertrieben die technische Fertigkeit. Alle wollen sie hervorstechen aus der Masse, zeigen, wie perfekt sie sind. Sie dienen sich an, wollen zeigen, was sie gelernt haben: ein bisschen Michelangelo, ein bisschen Fra Bartolomeo, ein bisschen Andrea del Sarto. Jeder soll die Meister gleich erkennen, die sie bewundern, von welchen sie gelehrt wurden. Sie machen sich zu Epigonen! Weg! Davon muss man wegkommen, sage ich.

Die unbedeutenden Bedeutungssüchtigen biedern sich den Meistern an und dem Publikum, zeigen dem Auftraggeber: Sieh her, wie perfekt ich bin. Sieh, was ich kann, alles kannst du von mir haben.

Sie zeigen die perfekte Welt, perfekte Harmonie und erstarren dabei in Selbstbetrachtung.

Nichts davon sieht man bei mir! Oh wie ich sie verachte! Wie abgrundtief ich sie verachte.

In fünf Monaten muss das Altarbild fertig sein. Buonafede wünscht eine Kunst, die seinem Geschmack entspricht. Eine konservative Kunst, die keine neuen Erfahrungen oder sophistische ikonografische Möglichkeiten vorsieht! Wie kann er dies nur von einem jungen Künstler verlangen? Wie kann er dies nur von mir verlangen?

Widerstehst du dem Satan? Ja, ich widerstehe. Ich widersetze mich. Ich werde es anders machen. Wieder und wieder anders! Ich werde Buonafede nicht zu Diensten sein. Nicht seine Vorstellung befriedigen. Ich bin Künstler! Ein echter Künstler ist frei - denkt frei! Malt frei!

Der Heilige rechts der Jungfrau sollte Buonafedes Gesichtszüge tragen. Alle wollen sie sich in den Gemälden verewigt sehen. Sein Wunsch ist mir Befehl. Ich werde gehorchen.

Doch ich warne dich, Buonafede: meine Malerei wird die wahre Welt in sich bergen. Das Doppelgesicht, den Schein. Den trügerischen Schein zeige ich und male das Dahinter. Leonardo Buonafedes Gesicht ist eine Oberfläche, ein schöner Schein, der das wirkliche Leben überdeckt. Hinter dem Reichtum der Medici liegt die Grausamkeit des Hungers. Deshalb lege ich hinter das selbstzufriedene Gesicht Buonafedes das verzweifelte Mienenspiel der Armen, als versteckte Anklage. Das ausgemergelte Gesicht eines Bettlers, seine Kümmernis.

Es gibt keine Erwartungshaltung, die ich bedienen muss. Kein "wes Hand dich füttert, des Hand beißt du nicht". Ich will beißen. Ich werde beißen. Meine Vorzeichnung ist ein verstecktes Aufbegehren. Hier noch ein schwarzer Strich - der ausgemergelte Hals. Ich werde mich von Buonafede nicht in die Knie zwingen lassen.

Die Vorzeichnung soll schreien und brüllen. Das Leid des kleinen Mannes, seine Verzweiflung und die Grausamkeit liegen im Ölentwurf. Darüber lege ich den Schein als satte Farbe - die Selbstgefälligkeit der obersten Schicht. In der Ausarbeitung wird das Bild natürlich abgemildert. Die Betrachter werden nichts vom wahren Untergrund bemerken. Das Bild wahrt den verlangten Anstand, zeigt Kunst nach geltenden Regeln.

Auch das gefütterte Wild bleibt wild. Mein Pinsel soll sich freuen am Schwung, an der Bewegung, an der Kühnheit des Ausdrucks. Aus den Farben sollen Blitz und Donner funken, poltern, drohen, kein harmonischer Lobgesang. Die Menschen sollen die Figuren spüren, sollen glauben, dass diese im nächsten Augenblick aus dem Bild springen und dem Selbstgefälligen den Schädel einschlagen werden. Keine lauwarme Farbbrühe, die Moses breit dahingepinselt auf der feuchten Leinwand kleben lässt. Moses ist der Rächer, der die Töchter Jethros schützt, der die Angreifer niedermetzelt und ihnen mit dem Stock die frivolen Lüste aus den Köpfen schlägt.

Ich schlage Buonafede die frivole Eitelkeit aus dem Kopf. Mit dem Pinsel. Ich werde das Bild bis auf den Grund kennen, auch wenn die Vorzeichnung übermalt ist.

Die Gottesmutter allerdings und das Christuskind sollen positiv wirken und anziehen. Mein bestes Können werde ich in diese Figuren legen.

Mutter und Kind sollen schmeicheln, das ist mein höchstes Bestreben. Mein Aufbegehren werde ich klein halten und verstecken. Diese Figuren sollen die Herzen der Betrachter erfreuen.

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Ein Eklat!

Buonafede war hier.

Plötzlich stand Buonafede da. In der Kapelle!

Der Entwurf war nicht für seine Augen bestimmt. Fassungslos war er. Fassungslos tobte er. Ich konnte ihm nichts erklären. Ihn nicht beruhigen. "Mir scheint, du hast vier Teufel gemalt anstatt der vier Heiligen", schrie er und meinte wohl vor allem sich, die Heiligenfigur rechts der Muttergottes.

"Was fällt Dir ein, mich so zu malen?"

Nichts konnte ich. Nichts sagen und nichts tun.

Buonafede ergreift die Flucht vor meinem Bild! Ergreift die Flucht und stürzt aus der Kapelle!

Verweigert das Bild! Verständnislos!

Dabei hätte ich gern versucht, ihm darzulegen, warum das Bild nicht feierlich sein darf - eben kein Altarbild nach üblicher Manier. Ich male nicht wie die anderen, ich male keine Altarbilder wie Lorenzo di Credi oder Ridolfo Ghirlandaio. Mein Altarbild ist kein totes Nebeneinander, keine Aneinanderreihung von Figuren, keine leere Aufzählung der Heiligen, wie es allgemein üblich ist.

In meinen Heiligen ist Leben, durch und durch. Nicht durch Blicke zum Betrachter, nicht durch Almosen, die Trost versprechen. Sie treten in Beziehung zueinander, zur Jungfrau und dem Buch, das die Engel in Händen halten. Meine Figuren sprechen, wispern, tuscheln, fragen, staunen. Sie sind beglückt

von den Worten der Frau, sie wenden sich an die Mutter Maria vertrauensvoll und zugewandt. Sie sind erfüllt von der Wärme ihrer Worte.

Das ist die Art Trost, die ich meine. Das ist der Trost, den Menschen suchen. Mein Bild ist eine Erzählung, die gemalte Erzählung von einer Mutter.

Das Bild ist ehrlich bis auf den Grund.

Buonafede wird dies nie verstehen.


Redaktion: Edith-Ulla Gasser

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