Aufgeschlagender Koran

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Tao

Blicke auf und in den Koran

Formschön und sprachgewaltig. Die einen halten ihn für ein martialisches Manifest, weil er zum Kampf gegen die "Ungläubigen" aufruft. Für die anderen kündet er von der Liebe Gottes: der Koran, die Heilige Schrift des Islam.

„Die Offenbarung Gottes, ein Buch der Spiritualität und ein Buch der Rechtleitung“, so fasst der Islamwissenschaftler, Religionsphilosoph, Dichter und Übersetzer Milad Karimi den Stellenwert des Korans in seinem Leben zusammen. Er hat das heilige Buch der Musliminnen und Muslime ins Deutsche übertragen.

Sein Zugang dabei sei ein ästhetisch-poetischer gewesen, so Karimi, der begeistert ist von der Schönheit des arabischen Urtextes und der deutschsprachigen Leserinnen und Lesern zumindest eine Ahnung davon vermitteln wollte - in aller Demut, wie er sagt und in dem Wissen, dass man an diesem Anspruch eigentlich nur scheitern kann; dass es Erfolge - wenn überhaupt - dabei nur in Teilbereichen geben kann.

Ein Mann liest im Koran

AP/MUHAMMAD SAJJAD

Kontroverse Sichtweisen

Als poetisches Meisterwerk wird der Koran in der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion wohl von wenigen betrachtet. In der Regel wird er mit zwei Themen in Zusammenhang gebracht: Gewalt gegen Andersgläubige und die Benachteiligung von Frauen. Um diese Passagen, die existieren aber nur einen sehr kleinen Teil des Gesamttextes ausmachen, besser einordnen zu können, gilt es zunächst einige Fakten im Zusammenhang mit dem Koran vor Augen zu haben.

Der Koran ist - laut islamischer Überlieferung - dem Propheten Mohammed im Zeitraum von 610 bis 632 geoffenbart worden, durch den Erzengel Dschibril - Gabriel, wie es heißt. Es geht hier also um einen Prozess, um eine Offenbarung, die in einen konkreten gesellschaftlichen und historischen Kontext hinein geschehen ist: in die 1. Hälfte des 7. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, in die Regionen von Mekka und Medina.

Die erste Koranausgabe geht auf den dritten Kalifen Uthman (644-656) zurück. Das Buch enthält einerseits Überlieferungen von der Schöpfung der Welt oder von bisher aufgetretenen Propheten (hier finden sich Inhalte, die aus der Bibel bekannt sind). Andererseits gibt er auch Anweisungen für das Verhalten im Alltag sowie für den Glauben und das rituelle Leben. Ganz konkrete Vorgaben etwa für das Fasten im Ramadan zwischen Morgendämmerung und Sonnenuntergang - oder für das Gebet, das fünfmal am Tag zu verrichten ist.

Unterscheiden zwischen bleibender Gültigkeit und historischem Kontext

Es gelte bei der Lektüre und Auslegung des Koran zu unterscheiden, welche Aussagen von bleibender Gültigkeit sind (zum Beispiel die, einen einzigen Gott zu verehren oder die Bedürftigen zu unterstützen) - und welche im konkreten historischen Kontext ihre Bedeutung hatten, erklärt der Islamwissenschaftler Zekirija Sejdini.

Wenn etwa festgehalten sei, dass Frauen erbberechtig seien aber in geringerem Ausmaß als Männer, dann sei das für die damalige Gesellschaft ein enormer Fortschritt gewesen. Der Koran habe, für die damaligen Verhältnisse, die Position der Frauen aufgewertet. Heute freilich gelte es, die aktuellen Verhältnisse im Blick zu haben - und Recht und Gerechtigkeit damit in Einklang zu bringen.

Ähnlich sieht er es, wenn es um das Schlagen von Frauen geht - das der Koran als ultima ratio in bestimmten Konflikten anführt. An anderer Stelle allerdings auch in Frage stellt - wo ausdrücklich festgehalten wird, dass Gewalt nicht mit der körperlichen Intimität einer Paarbeziehung vereinbar ist.

Sejdini weist darauf hin, dass Stellen wie diese als historische Dokumente zu verstehen seien: „Zum Beispiel gibt es ja auch Stellen, in denen ausgeführt wird, wie man mit den Frauen des Propheten umgehen soll. Aber was sollen wir heute damit anfangen? Die Frauen des Propheten leben nicht mehr. Das ist für uns eine historische Erkenntnis: wie ist man damals damit umgegangen.“

„Ein Text kann sich nicht dagegen wehren, dass er instrumentalisiert wird“

Und wie verhält es sich mit der Legitimierung von Gewalt gegen Andersgläubige?

Auch sie sei nur als ultima ratio und nur zur Selbstverteidigung zu verstehen und in einen konkreten historischen Kontext hinein gemacht worden - darauf wird immer wieder hingewiesen. Nur dann, wenn die Gläubigen aufgrund ihres Bekenntnisses zum Islam verfolgt würden und wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft seien, dürfe man sich auf diese Weise verteidigen. So sieht es die große Mehrheit der Musliminnen und Muslime.

Freilich: Es gibt sie, die fundamentalistischen Stimmen, die sagen, Gewalt zur Selbstverteidigung sei auch jetzt legitim - denn der Islam werde in westlich geprägten Gesellschaften auch mit Gewalt unterdrückt. Ein Faktum, das man in der muslimischen Community mit großer Sorge betrachte, erklärt die Religionspädagogin und Buchautorin Carla Amina Baghajati: „Wir haben hier eine gewaltige Aufgabe mit denen, die aus der Religion heraus den Koran nehmen wie einen Steinbruch, wo sie sich das rausbrechen - kontetxtbefreit - im wortwörtlichen Verständnis. Und in sehr einschüchternder Weise: Du wirst doch nicht wagen, gegen das Wort Gottes zu verstoßen.“

Carla Amina Baghajati und viele andere plädieren dafür, eine kontextsensible Lesart des Koran zu pflegen: In welche konkrete Situation hinein wurde welche Botschaft gegeben - und wie kann deren Bedeutung für die heutige Wirklichkeit verstanden werden. „Freilich“, so ergänzt Zekirija Sejdini, „ein Text kann sich nicht dagegen wehren, dass er instrumentalisiert wird“. Das gelte im übrigen für alle heiligen Schriften. Und in der Tat finden sich ja auch in der Bibel durchaus martialische Passagen.

„Der Koran ist vielmehr ein Buch der Offenheit. Ein Buch, das auch uns öffnet für ein Größeres.“

So ist es also in erster Linie eine Herausforderung für die muslimische Community selbst, eine zeitgemäße Lesart des Koran zu etablieren.

Bei aller Kontroverse um das Verständnis umstrittener Passagen soll freilich nicht außer Acht gelassen werden, dass der Koran eben auch viele andere Dimensionen hat. Da gibt es etwa die künstlerische Beschäftigung damit, in Form der Rezitation zum Beispiel oder in Form der Kalligraphie. Niemand geringerer als Johann Wolfgang von Goethe hat Variationen über koranische Texte verfasst, er hat sich mit dem Arabischen und mit Kalligraphie beschäftigt.

Und nicht zuletzt gibt es die spirituelle Dimension, den spirituellen Gehalt des Koran. Etwa was es bedeutet zu wissen, dass rund um den Globus die Gläubigen dieselben arabischen Koranpassagen in ihren Gebeten sprechen: So entstehe das Gefühl eines weltweiten Eingebettetseins, das Bewusstsein einer tief empfundenen Verbundenheit. Denn obwohl der Koran für das inhaltliche Verständnis in andere Sprachen übertragen wird, bleibt für die Glaubenspraxis die arabische Ausgangssprache erhalten.

Neben dieser rituellen Komponente sind es aber auch ganz konkrete, die Seele stärkende Botschaften: etwa wenn verheißen wird, dass Gott in schwierigen Lebenssituationen gleichzeitig auch das Leichte schickt. Eine Aussage, die Carla Amina Baghajati sehr wichtig ist: „Nicht nach dem Schweren kommt das Leichte“, unterstreicht sie, „sondern schon mitten in der schwierigen Situation wird es uns gegeben.“

Aspekte wie dieser können auch für Nicht-Musliminnen und -Muslime eine Bereicherung darstellen. Wo es nicht um konkrete Glaubenspraxis oder um spezifisch islamische Zugänge geht, können auch sie Anknüpfungspunkte für sich finden. Das hebt auch der Koran-Übersetzer Milad Karimi hervor. „Der Koran ist kein Eigentum der Muslime“, sagt er, „wir können nicht den Koran für uns in Anspruch nehmen. Der Koran ist vielmehr ein Buch der Offenheit. Ein Buch, das auch uns öffnet für ein Größeres.“

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