Berner Oberland

ORF/URSULA BURKERT

Ambiente

Bleiben oder gehen?

Natur, Kultur & Körpertherapie im Berner Oberland - eine Reise durch Gegenwart und Vergangenheit des Kientals

"Hier war unser Küchengarten, mit Gemüse, Blumen und Kräutern. Jetzt ist hier ein Parkplatz." Im idyllischen Kiental unterhalb der Griesalp ist die Zeit nicht stehen geblieben, das ist für Christina Zurbrügg unübersehbar. Im Coronasommer 2020 hat sie sich nach längerer Zeit aufgemacht, jenen Ort zu besuchen, der sie vor Jahren zu dem Lied „Bleiben oder Gehen“ und später zum gleichnamigen Film inspirierte.

Berner Oberland

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Die Musikerin, Autorin und Filmemacherin wuchs in dem etwa 200 Einwohner/innen zählenden Dorf im Berner Oberland auf, in einem Hochtal auf 960 Metern am Fuß von Dreispitz, Gehrihorn und Ärmighorn.

Erinnerungen

Mit 16 Jahren hat sie es verlassen, wegen der Schule, aber auch, um der Enge zu entkommen. Sie reiste nach Südamerika, dorthin, wo die Täler weiter und die Berge höher sind. Alle paar Jahre kommt sie wieder auf einen Kurzbesuch, sei es, um alte Bekannte zu treffen, oder auch um neue Kontakte zu knüpfen.

Viele schöne Erinnerungen sind geblieben: die Wanderungen zur sagenumwobenen Blümlisalp, der erste Kuss in der Hexenschlucht beim Wasserfall, die frischen Himbeeren aus dem Garten, das Brot-und-Semmeln-Zustellen. Denn Großvater Zurbrügg war einer der beiden Bäcker von Kiental. Damals, in den 1960er Jahren, vertrug der Ort durchaus noch zwei Bäckerbetriebe, denn schon früh war hier der Tourismus eingezogen. Und das nicht erst seit 1916, als im Hotel Bären der Familie Suter eine geheime Konferenz der Internationalen Sozialisten stattfand, an der auch Wladimir Iljitsch Lenin teilnahm. (Diesem Ereignis ist noch ein kleines Gedenkzimmer im Hotel Bären gewidmet.)

Christina Zurbrügg

Christina Zurbrügg

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Die steilste Postautobus-Strecke Europas

Schon früh war das Kiental für Gäste erschlossen, 1899 per Postkutsche, und seit 1930 fährt der Postbus ins Gebirge. Es ist eine spektakuläre Fahrt über die steilste Postautobus-Strecke Europas mit einer Steigung von 28 Prozent. Diese serpentinenreiche Tour vorbei am Tschingelsee, der 1972 nach einem Unwetter entstanden ist und jetzt wieder verlandet, muss man einfach gemacht haben, meint Christina Zurbrügg und steigt gleich in den gelben Bus in Richtung Griesalp. Das ist der Ausgangsort für Bergwanderungen und Hochgebirgstouren.

Rund 250 Kilometer Wanderwege führen durch bunte Blumenwiesen, schattige Bergwälder, entlang von Wildbächen und tosenden Wasserfällen. An einem dieser Wege befindet sich das Berggasthaus Golderli, es war das Reich von Christina Zurbrüggs Tante. Heute wird es von einem Steirer bewirtschaftet: Es gibt Alpaka-Trockenwurst, Salat vom Lachs, aber auch immer noch die traditionellen Röschti. Über die Waldrand-Pochtenalp geht es wieder zurück ins Tal.

Wasserfall

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Transformation

Christina Zurbrüggs Großeltern sind lang schon gestorben, die Bäckerei ist geschlossen. In der Backstube der Zurbrüggs war häufig der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt zu Gast, so erzählt es die Familiensaga. Gemeinsam mit dem Großvater habe er in den 1950er Jahren Wein und Schnaps getrunken und Sardinen aus der Büchse gegessen. Krönender Abschluss dieser nächtlichen Gelage waren die kräftigenden Spiegeleier der Großmutter zum Frühstück. Dürrenmatt verewigte diese Erlebnisse – wie auch einige Dorfbewohner/innen – aus Kiental tatsächlich in seinem Werk „Mondfinsternis“, einer Erzählung, die als Vorläuferin seines Theaterstücks „Besuch der alten Dame“ gilt.

Transformation - diese Vokabel kommt auf dieser Reise zwischen Gegenwart und Vergangenheit in den Sinn: Die Volksschule, die Christina Zurbrügg besuchte, wurde aus Mangel an Kindern zu einem Vereinslokal umgewandelt. In die ehemalige Garage des örtlichen Busunternehmens ist vor Jahren schon das Alpentheater von Sjoukje Benedictus und Marianne Hügli eingezogen.

Der für längere Zeit verwaiste Kientalerhof entwickelte sich unter Leitung von Mario Binetti zu einem Campus für Körpertherapie mit Ausbildungsprogrammen im Bereich Shiatsu, Ayurveda, Cranio-Sacral-Therapie und Yoga. Das gleich angrenzende in Holz100-Bauweise gebaute und 2018 eröffnete ChieneHuus soll die Möglichkeit zu Rückzug und Erholung bieten. Dort wird Christina Zurbrügg gemeinsam mit Michael Hudecek im Sommer 2021 auch ein Seminar leiten, das Jodeln und Qi Gong verbindet.

Gestaltung