H. C. Artmann

APA/HERBERT PFARRHOFER

100. Geburtstag

H. C. Artmann - der Sprachbesessene

Zum 100. Geburtstag von H. C. Artmann ist der Dichter der "schwoazzn dintn" selbst zu hören - in einer Sonderausgabe von "Du holde Kunst".

Hans Carl Artmann, "der gute H.C.", wie ihn sein kongenialer Interpret Erwin Steinhauer einmal nannte, schuf ein in seiner Größe und Formenvielfalt unübersehbares Werk; einen vergleichsweise kleinen Teil davon machen die in der Sammlung "med ana schwoazzn dintn" zusammengefassten Mundartgedichte aus. Mit ihnen wurde er bekannt, und mit ihnen, sowie mit der Wiener Gruppe, wird der Dichter in erster Linie in Verbindung gebracht.

Der Dichter spricht selbst

Es wäre vielleicht angebracht gewesen, zu seinem 100. Geburtstag in "Du holde Kunst" seine hochsprachliche Lyrik ins Rampenlicht zu stellen. Kommt noch. Es wurde doch die "schwoazze dintn", weil die Producerin einer Rohaufnahme aus dem ORF-Archiv nicht widerstehen konnte, in der Artmann selbst seine Gedichte liest. Sie entstand in den späten 1980er Jahren im Landesstudio Salzburg, also circa 30 Jahre nach den Gedichten.

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H. C. Artmann liest aus "med ana schwoazzn dintn"

Historische Tiefenschichten der Mundart

Dieser Zeitspanne ist sich H. C. Artmann bei der Aufnahme, wie man den ungeschnittenen Tonspuren entnehmen kann, bewusst, mehrmals macht er Redakteur Klaus Gmeiner mit melancholischer Koketterie auf den historischen Charakter der Gedichte aufmerksam und erzählt, dass er, als sie damals 1958 berühmt wurden, nach Schweden ging, um kein "Berufswiener" werden zu müssen. Auch werden zwischen den beiden Herren Vokabel geklärt, die in den 1950ern geläufig, zur Zeit der Aufnahme aber eben schon erklärungsbedürftig sind. Wie der "hanslschliaffa", der Dialektausdruck für die Mäuse- oder Mauergerste, oder der "gringschdrichane blechtuam", eines der öffentlichen, runden Pissoirs, die längst aus den Wiener Beserlparks verschwunden sind, oder der "dom schak", jener Tom Shark, der als Held von Detektivheftchenromanen, die in den 1930ern bis in die 1950er Jahre populär waren, das einstige Vorstadtkind inspirierte.

Was aber nicht heißt, dass die Bedeutung dieser einzigartigen Sammlung von Mundartlyrik auf die eines Zeitdokuments reduziert werden kann. Denn die Sujets der "schwoazzn dintn" gehen über die Nachkriegszeit hinaus, wie auch die in ihnen wesenden Figuren über das Wiener Milieu hinausgehen und die Sprache das Volkstümliche übersteigt. Indem Artmann den Dialekt zu artifizieller Lyrik macht, entreißt er ihn dem Volkstümlichen.

Polyphones Genie aus Breitensee

Die Mundart steht neben vielen weiteren Ausdrucksformen des polyphonen Genies aus Breitensee, dessen Sprachbesessenheit sich niemals mit dem Heimischen hätte begnügen können, sich nicht einmal mit den vielen Fremdsprachen begnügte, die es beherrschte und aus denen es übersetzte, sondern das, wenn es die Dichtung verlangte, auch Sprachen (nach)erfand - wie etwa das Piktische oder Zimbrische. Auch schrieb Artmann hochsprachliche Lyrik sowie Texte in allen anderen literarischen Gattungen, und dort finden sich Elemente der Moderne, wie etwa des Surrealismus, genauso wie Spuren zurück ins Barock (Schwank-Dichtung).

HC Artmann

Der Dichter beim "Fest mit und für H.C. Armann" im Jahr 1995

APA/HANS KLAUS TECHT

Was in der "schwoazzn dintn" spricht, ist weniger ein lyrisches Ich als etwas Handelndes. Das Sprechen selbst wird zur Figur. Wenn das Gedicht blauboad I mit dem Satz "i bin a ringlgschbüübsizza" beginnt, ist das ein Auftritt, eine Pose.

Proklamation des poetischen Aktes

Die Pose ist ein Akt, der keine Wirklichkeit abbildet, sondern eine herstellt. Dafür braucht es, wenn man H. C. Artmanns acht-punkte-proklamation des poetischen Actes beim Wort nimmt, nicht einmal die Sprache. Der poetische Akt könne eine "alogische geste" sein, er müsse absichtslos, ohne Ambition geschehen, als "ein act des herzens und der heidnischen bescheidenheit", dabei aber "starkbewusst extemporiert" werden.

"Ich rede nicht von meinen Gefühlen; ich setze vielmehr Worte in Szene, und sie treiben ihre eigene Choreografie", sagte der Dichter in einem Vortrag 1967 in der Berliner Akademie der Künste - zwar nicht in Bezug auf seine Mundartgedichte, aber: Auch deren (Sprach-)Figuren choreografieren ihre Bewegungen selbst, steigern sich in sich selbst hinein und mitunter wieder heraus, was besonders die Dynamik der zarten bis abgründigen Liebesgedichte bestimmt. Und das in besonderem Maße, wenn sie vom Dichter selbst gelesen werden.

Die Stimme des Spätsechzigers wandelt intonationssicher zwischen dem knorrigen Trotz des Gschdettn-Bewohners, der schaurigen Larmoyanz des Frauenmörders und der rabiaten Innigkeit des Liebeskranken; sie fliegt boshaft raunend als "deifö foi assfalt" durch die Monate und fügt sich, wenn der "schneeane engl" kommt, in erschöpftes Staunen.

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