Glaswand im ORF Zentrum

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Hausaufgaben für den ORF

Das digitale Mammutprojekt

Wer auch immer den ORF in die Zukunft führt, muss das Unternehmen digital nach vorne bringen. Denn der ORF könnte im Netz schon bald den Anschluss verlieren, warnen Experten. Besonders den Jungen fehle das Angebot. Das ist dem noch amtierenden ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz wohl bewusst, seit Jahren wird deshalb am ORF-Player gearbeitet, eine Art Super-TVthek. Aber reicht das als digitale Strategie?

Ganz klar, der Erfolg der neuen ORF-Geschäftsführung werde im Internet gemessen, sagt Anita Zielina. Sie wurde als Expertin für Digitalisierung von den NEOS in den Stiftungsrat entsandt: "Die Hauptaufgabe ist,den ORF komplett digital zu transformieren, man kann sagen ein Mammutprojekt."

Der ORF-Player als eine Art Super-TVthek

Seit Jahren arbeitet der ORF am sogenannten Player, eine Art Super-TVthek für Smartphone, Tablet und Smart-TV, die Fernseh-, Radio- und Online-Inhalte bündeln wird. Befeuert werden soll der Player auch durch den neuen Multimedialen Newsroom, der derzeit am Küniglberg im Bau ist und in dem erstmals TV, Radio und Online gemeinsam arbeiten sollen.

Es fehlt der Kulturwandel in den Köpfen

Derzeit wisse sie mehr über Technisches und Bauliches, als über Inhaltliches, sagt Zielina. Der Player sei so etwas wie ein Haus. Das sei wichtig, aber "noch keine Digitalstrategie". Auch das Ziel, multimedial zu arbeiten, sei noch keine Strategie. In den ihr bekannten Strategiepapieren der Geschäftsführung fehle ihr das Gesamtbild: "Wer arbeitet mit wem wie zusammen, wie wird entschieden über neue Prozesse und Workflows?" Was fehle, sei ein echter Kulturwandel in den Köpfen der Journalistinnen und Journalisten in Richtung Online. Erfolg müsse neu definiert werden, zum Beispiel zähle dann nicht nur, was Aufmacher in der "Zeit im Bild" ist, sondern auch was im Netz gut ankommt.

Wenig Schonfrist für Schlusslicht ORF

"Der ORF droht im Internet den Anschluss zu verlieren", warnt etwa der Medienexperte Leonhard Dobusch, der Österreicher sitzt im ZDF-Fernsehrat und hat einen guten Überblick über die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im deutschsprachigen Raum. "Es gibt noch so eine Art Schonfrist von zehn Jahren. Zu glauben, dass man eine schönere TVthek ins Netz stellt und die junge Generation die schon finden wird, halte ich für ambitioniert", formuliert Dobusch zurückhaltend. Der ORF müsse stark auf Plattformen wie YouTube, Instagram oder TikTok auftreten, um Reichweite und Relevanz zu bekommen.

Überholtes ORF-Gesetz als Bremsklotz

Hier sind dem ORF die Hände gebunden, denn das ORF-Gesetz erlaubt ihm derzeit nicht, Formate nur fürs Netz zu produzieren, auch YouTube-Formate sind verboten. Online dürfen nur Inhalte veröffentlicht werden, die auf Sendung gehen. Nach sieben Tagen müssen sie vom Netz. Der Dialog mit dem Publikum ist ebenfalls eigenschränkt. In den sozialen Medien hat der ORF aufgeholt, erfolgreich sind vor allem die "Zeit im Bild" auf Facebook und Instagram, TikTok soll bald folgen - im Radio haben Ö3 und FM4 die Nase vorn. Bitte mehr davon, heißt es von der Jugend: Drei Viertel der 16- bis 25-Jährigen wollen ORF-Informationsangebote auf Social Media haben, das hat der neueste Public Value Bericht deutlich gemacht. Ebenso viele wollen, dass die Inhalte unbegrenzt im Netz bleiben - auch Mitdiskutieren in Foren und Chats ist gefragt.

Die Privaten sitzen im Ohr des Kanzlers

Daran haben aber die privaten Mitbewerber keine Freude. Zeitungsverleger und private Sender wie Puls4 wollen, dass der ORF im Netz nur wenig darf. Sie befürchten eine Übermacht und haben sich bei den Regierungen der vergangenen Jahre in ihrer Sache Gehör verschafft. Was die gesetzlichen Rahmenbedingungen betrifft, hinken Österreich und der ORF im deutschsprachigen Raum hinten nach, sagt Dobusch. Ob das mit einer besonders starken Lobbymacht der Verleger zusammenhänge oder mit einer besonders durchsetzungsschwachen Politik, will Dobusch nicht beurteilen. Klar sei aber, dass die ÖVP von der derzeitigen Situation profitiere, weil sie im ORF-Aufsichtsgremium, dem Stiftungsrat, die Mehrheit hat. "Aus Sicht der ÖVP hat man einen ORF, wo man einen guten Zugriff hat, und gleichzeitig gibt es keine Bedrohung der privaten Medien durch ein starkes öffentlich-rechtliches Angebot. Eine Win-Win Situation."

Medienpolitische Verprechen liegen auf Eis

Die türkis-grüne Regierung hat jedenfalls versprochen, das ORF-Gesetz zu ändern. Erste Entwürfe waren für 2020 angekündigt, im ersten Halbjahr 2021 hätten sie in Kraft treten sollen. Dann kam die Pandemie, bis jetzt liegen keine Pläne vor. Auch über eine Zusammenarbeit mit den privaten Sendern wird seit Jahren diskutiert. Es geht vor allem um den Wettbewerb mit den Streaming-Diensten von Netflix, Amazon oder Disney. Deshalb spricht Alexander Wrabetz ja auch davon, dass der ORF mit seinem Player eine "Plattform" werden soll. Private daran zu beteiligen, steht nicht auf der Agenda.

Öffentlch-rechtlicher Kanal "Funk" als Vorbild

Wie es jetzt schon gelingen kann, ein junges Publikum zu erreichen, sieht man in Deutschland. Seit fünf Jahren gibt es "Funk". Das ist ein Online-Content-Netzwerk der Öffentlich-Rechtlichen ARD und ZDF, das sich an 14- bis 29-Jährige richtet - mit Unterhaltung und vielen investigativen Programmen, in einer neuen Aufmachung.
Unter anderem die bekannte Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, die mit zahlreichen YouTube-Videos zur Corona-Krise einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden ist, ist Teil des "Funk"-Teams.

Investigativ-Formate wie "Steuerung F" oder "Y-Kollektiv" auf YouTube erreichen jedenfalls ein paar Hunderttausend Aufrufe, nicht selten auch Millionen. Auf Instagram bietet "Funk" ebenfalls viele News-Formate, wie etwa "Deutschland3000". Das kommt an. 80 bis 90 Prozent der jungen Leute in Deutschland unter 30 kennen "Funk". Im Netz stehen diese Jugend-Inhalte im Social Media Ranking bereits an dritter Stelle - ein großer Erfolg in kurzer Zeit.

"Next Generation ORF" für frischen Wind

Es ist ein Wegweiser für den ORF, der sich in den nächsten Jahren personell erneuern will, um ähnliche Formate zu entwickeln. Stichwort "Next Generation ORF". 500 junge Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sollen die natürlichen Abgänge ersetzen, verspricht Wrabetz. Damit diese frischen Wind bringen, muss der ORF darauf achten, junge Menschen unterschiedlicher Herkunft einzustellen, sagt Simon Kravagna, der das Journalismus-Weiterbildungsinstitut FJUM leitet: "Du brauchst andere als die, die schon da sind. Die müssen das neue Österreich repräsentieren", meint Kravagna. Soll heißen: Mindestens ein Drittel müsse Migrationshintergrund haben. Sonst sei man in einer großen Bevölkerungsgruppe nicht relevant.

"Online only" muss die Devise für Junge sein

Man solle die jungen Menschen auch nicht in bekannter Manier durch die Newsrooms bei Fernsehen oder Radio schleusen, sonst seien sie schnell im konventionellen Fahrwasser und würden quasi im alten Denken "verdorben", warnt Simon Kravagna. Auch hier lohnt ein Blick zu "Funk": Das Erfolgsrezept sei, dass es eben kein dazugehöriges Angebot in TV oder Radio gebe, sagt Leonhard Dobusch. Die Redaktionen arbeiten nur online, was verhindere, dass das lineare Angebot Vorrang hat. Das ermögliche, sich voll und ganz auf Online zu konzentrieren und das richtig gut zu machen. Der ORF müsse sich mit genau solchen neuen Chancen bei den Jungen bewerben, findet Kravagna - die seien sonst schnell wieder weg. Entscheidend sei der "digitale Spirit" für das Feuer, das man entfachen wolle: Dafür könne er aber noch keinen Plan erkennen.

"Es ist nicht zu spät, aber fünf vor zwölf"

Die neue ORF-Führung dürfe das Mammutprojekt "Transformation" nicht als Sparprogramm verstehen, warnt Stiftungsrätin Anita Zielina. "Sonst kann man es gleich bleiben lassen." Sie wolle dem neuen Führungsteam die Frage stellen, was denn unter Erfolg zu verstehen sei. Das müssten neben einem guten Budget nämlich auch "intelligente, zukunfsgerichtete Investitionen" sein. Am Ende gehe es darum, Prioritäten zu setzen und im ganzen Unternehmen das Feuer für den neuen Journalismus im Netz zu entfachen. Zielina knistert es da aber noch zu wenig: "Ich glaub nicht, dass es zu spät dafür ist, aber es ist ist fünf vor zwölf."

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