Pflege-Mitarbeiterin bezieht ein Krankenbett

APA/DPA/BERND WÜSTNECK

Journal-Panorama

Long Covid: Die große Erschöpfung

Gut zehn Prozent aller Corona Patienten haben nach der eigentlichen Infektion noch monatelang zum Teil massive gesundheitliche Probleme. Sie sind von Covid genesen, aber nicht gesund, haben die Virus Erkrankung überstanden, sind aber nicht fit - sie sind "Long Covid Patienten".

Wie lange kognitive oder neurologische Probleme, Atemnot oder Herzrhythmusstörungen, chronische Müdigkeit, Gelenksschmerzen, Schlafprobleme oder Geruchs- und Geschmacksverlust andauern können, zeigen Befragungen jener Schitouristen, die sich im März letzten Jahres in Ischgl mit dem Corona Virus angesteckt hatten: Fünf Prozent von insgesamt 6.000 betroffenen Touristen aus aller Welt gaben in einer vom Verbraucherschutzverein VKI durchgeführten Umfrage an, dass sie noch heute an Dauerfolgen laborieren.

Long Covid kann Erwachsene, Kinder und Jugendliche betreffen. In der ersten Long Covid Ambulanz im Wiener Allgemeinen Krankenhaus werden Patienten zwischen 18 und 85 Jahren betreut. Statistisch gesehen haben aber Frauen unter 50 ein besonders hohes Risiko, an Long Covid Symptomen zu leiden.

"Das Gesundheitssystem in Österreich ist ein Gutes, sobald es ins Rollen gekommen ist. Für diese neuartrige Erkankung geht es eh relativ schnell, aber für Betroffene, die Wochen und Monate lang warten müssen, geht natürlich nix schnell," sagt Alexa Stefanou, Long Covid Patientin und Mitbegründerin der "Long Covid Austria Patienteninitiative".

Man fühlt sich wie in einem "inneren Lockdown"

Viele Patienten haben mit dem sogenannten "Fatigue Syndrom" zu kämpfen: Sie sind so müde und erschöpft, dass sie oft nur wenige Stunden am Tag irgendwelche Arbeiten durchführen können, sie befinden sich in einer Art "innerem Lockdown". Das wörtlich übersetzte "Müdigkeits Syndrom" kann nach einer milden, aber auch schweren Covid Erkrankung auftreten, oft sind auch jüngere Personen betroffen, die vor ihrer Erkrankung sehr sportlich und leistungsorientiert waren.

Zum Leidensdruck kommt oft eine Stigmatisierung: Die Umgebung - nicht selten auch der Arbeitgeber - reagiert mit Unverständnis. Dabei, so erklärt die selbst von Long Covid betroffene Stewardess Alexa Stefanou, kann schon jede Tätigkeit zu anstrengend sein, die ihren Puls über 110 steigen lässt. Ein leichter Spaziergang in der Ebene kann mühsam sein wie ein Berglauf. "Am Fatigue Syndrom leidenden Menschen wird unterstellt, dass sie nicht wollen - in Wirklichkeit können sie nicht!" Dieses Nicht-Können durch Fatigue macht vielen in der Folge auch psychische Probleme, die die Patienten erst verarbeiten müssen.

"Mein ganzes Leben ist so, dass ich nicht einmal die ganze Wohnung in einem Zug staubsaugen kann." Christian Pemmer, Long Covid Patient

Mit Rehabilitationsprogrammen, die vor allem auf Muskelaufbau, Atemtraining, aber auch psychologische Unterstützung setzen, versuchen Experten Long Covid Patienten zu helfen. Man muss allerdings sehr behutsam vorgehen, denn bei Überbelastung ist bei Fatigue Patienten ein Zusammenbruch vorprogrammiert.

Die Betroffenen müssen also vorsichtig mit ihren Energiereserven umgehen und Kondition und Leistung - am besten nach einer körperlichen Durchuntersuchung - ganz langsam und vorsichtig steigern; Sport- und Physiotherapeuten sprechen von "Pacing" “ (übersetzt Schrittmacher, wie im Laufsport. So sollte beispielsweise eine individuell bestimmte Pulsfrequenz beim Training nicht überstiegen werden.

Die Patienten müssen eine Akzeptanz für diese momentane Situation erst entwickeln - und das ist etwas recht schwieriges." Alexandra Propst, Psychologin

Covid kann pneumologische, kardiologische, aber auch neurologische Probleme machen: Erinnerungslücken, Unkonzentriertheit, Wortfindungsstörungen, Denkschwierigkeiten. Betroffenen fallen die Namen naher Verwandter nicht mehr ein oder Fachausdrücke aus dem Beruf, die sie zuvor mehrmals am Tag verwendet haben oder sie vergessen, wie die Protagonisten des Buches heißen, das sie gerade lesen und müssen dauernd zurückblättern. Manchen, vor allem Patienten die auf der Intensivstation betreut werden mussten, fehlen sogar die Erinnerungen an mehrere Tage - sie sind wie aus dem Gedächtnis gelöscht.

Neben neurocognitiven Beschwerden leiden viele Long Covid Patienten aber auch unter Ängsten, die den Schlaf rauben können - etwa wenn sich wegen Stress, Verunsicherung oder Sorgen die Gedankenspirale im Kopf nicht aufhört zu drehen, bestätigt die Psychologin Alexandra Propst. Es kann aber auch sein, dass die Tiefschlafphasen langfristig beeinträchtigt sind.

Wenn man andere Menschen nicht mehr riechen kann

Viele akut an Corona erkrankte Personen, verlieren ihren Geruchs- und Geschmackssinn, der sich bei den meisten aber nach dem Abklingen der Infektion regeneriert. Es kann aber auch passieren, dass Geruchs- und Geschmackssinn dauerhaft schwer beeinträchtigt bleiben. Die Filmemacherin Eva Spreitzhofer, die vor 14 Monaten an Covid erkrankt war, leidet noch heute darunter. "Ich rieche mich selber nicht, oder den Körpergeruch anderer Menschen. Das kann sogar gefährlich sein, da uns der Geruchssinn ja auch warnt - etwa wenn es brennt oder ein Lebensmittel, das noch genießbar aussieht, womöglich verdorben ist."

In den meisten Fällen regeneriert sich die Riechschleimhaut wieder, aber das kann Monate dauern. Dauernadelakupunktur, Cortison-Gaben oder Riechtraining können helfen, "taube" Nasen zu reaktivieren: Beim Riechtraining muss man zwei Mal täglich an Substanzen schnuppern, die etwa nach Zitrone, Eukalyptus, Rose oder Kaffee duften und unermüdlich üben, die Gerüche wieder unterscheiden zu können.

"Alles hat grauslich geschmeckt. Als würde ich in einen Pappkarton beißen." Christian Pemmer, Koch

Für einen Koch kann es ein berufsgefährdender Alptraum werden, wenn sich der Geschmackssinn nach Corona nicht wieder einstellt: "Alles hat grauslich geschmeckt. Als würde ich in einen Pappkarton beißen oder Ytong Steinderln lutschen," sagt Christian Pemmer, der eine sechswöchige, ambulante Rehabilitation in Wien Oberlaa durchgeführt hat. Auch die Geschmackssensoren können unterschiedlich beeinträchtigt sein: Betroffene können etwa süß, sauer, bitter, scharf oder salzig nicht unterscheiden - möglich ist aber auch, dass Gerichte nach Zigaretten schmecken. Wenn man über längere Zeit nichts riecht und nichts schmeckt, drohen zudem Depressionen.

Forschung und Therapie stehen noch am Anfang, gilt Long Covid doch erst seit Anfang des Jahres durch die Weltgesundheitsorganisation WHO als eigene Diagnose. Das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) definiert unter Long Covid eine ganze Palette an Symptomen, die länger als zwölf Wochen nach einer Corona Erkrankung noch bestehen.

Long Covid hat viele Gesichter

Seit März kann man sich auch in Österreich wegen Long Covid krank schreiben lassen, doch viele niedergelassene Ärzte sind bei den Diagnosen überfordert, kann Long Covid doch so viele Gesichter haben - bis zu 300 physische oder psychische Symptome werden mittlerweile damit assoziiert.

Immer wieder passiert es Long Covid Patienten zudem, dass ihnen psychische Probleme unterstellt werden, nach dem Motto "vielleicht bildest Du Dir das ja alles nur ein".

Derzeit werden für die Hausärzte Leitlinien ausgearbeitet - Experten der Österreichische Lungengesellschaft, der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Kardiologie, der neurologischen Gesellschaften, der psychiatrischen Gesellschaft, der HNO und der dermatologischen Gesellschaft arbeiten an einem umfangreichen Papier, das noch im Juni fertig werden und österreichweit ausgerollt werden soll.

Plattform vernetzt Long Covid Betroffene

Weil es aus Sicht von Long Covid Patienten in Österreich noch immer zu wenig medizinische Anlaufstellen speziell für ihre medizinischen Problematiken gibt, Betroffene oft von einer Stelle zur nächsten geschickt werden und es generell zu wenig Verständnis und Anerkennung gibt, haben sich Ende Jänner dieses Jahres Long Covid Betroffene zur "Long Covid Austria Patienteninitiative" zusammengeschlossen.

Der gemeinnützige Verein hat auf Facebook und im Internet österreichweit schon gut 850 Mitglieder und erfüllt das große Bedürfnis nach Austausch, bietet Hilfe zur Selbsthilfe und erstellt Listen von Long Covid erfahrenen Ärztinnen, Medizinern und Therapeuten. Betroffene, wie Alexa Stefanou, sie ist stellvertretende Leiterin des Vereins, sind ja Experten dieser Krankheit.

Service

Long Covid Austria Patienteninitiative

Gestaltung