ORF/RAINER ELSTNER
Neue Musik auf der Couch
Georg Friedrich Haas: Streichquartett Nr. 2
Thomas Wally, neben seiner Tätigkeit als freischaffender Komponist und Violinist auch an der Wiener Musikuniversität als Senior Lecturer in musiktheoretischen Fächern aktiv, betrachtet einzelne Passagen aus diesem Werk aus (hör)analytischer Perspektive. In dieser neuen "Zeit-Ton"-Serie stellt er analytische Tools bereit, mit deren Hilfe Neue Musik mit einem geschärften Fokus wahrgenommen werden kann. Den Anfang macht die Analyse eines Werks von Georg Friedrich Haas.
2. März 2022, 15:13
Das zweite Streichquartett des österreichischen Komponisten Georg Friedrich Haas, komponiert im Jahr 1998 für das Hagen Quartett, verknüpft verschiedenste harmonische Möglichkeiten miteinander, welche in teilweise ausgedehnten Passagen zum Klingen gebracht werden.
Seinen Ausgang nimmt das musikalische Geschehen im tiefsten Ton des Violoncellos und den darin "von Natur aus" enthaltenen Teiltönen, der gesamte erste Abschnitt ist eine großangelegte Verklanglichung des Teiltonspektrums auf C.
Inspiration fand Haas unter anderem im spezifischen Brummen eines Kühlschranks. Dem Haushaltsgerät auf den Fuß folgen glissandierende Abwärtsbewegungen, die aus dissonanten Akzentklängen entwachsen und in einem wilden Abwärtssog sich schließlich in einer Zentraltonhöhe finden, welche mikrotonal umspielt wird: eine weitere harmonische Möglichkeit, die in diesem Quartett erforscht wird. Denn liegen zwei Töne sehr eng beieinander, wird nur ein einziger Ton mit veränderter Klangfarbe (und entsprechender Schwebung) wahrgenommen.
Mediantik - Auch von Schubert bevorzugt
Während weite Strecken dieser Komposition in der Nähe physikalischer Phänomene (Teiltonspektrum; Schwebung und Rauigkeit) angesiedelt werden können, taucht auch die Vergangenheit in der Form von Mediantik auf: eine mögliche Form harmonischer Verbindungen, nicht zuletzt von Franz Schubert bevorzugt angewendet. Zwei Dreiklänge stehen dann in einem mediantischen Verhältnis zueinander, wenn ihre Grundtöne eine Terz voneinander entfernt liegen und die beiden Akkorde höchstens einen gemeinsamen Ton miteinander haben.
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"Mein 2. Streichquartett verbindet tonale, scheinbar historisierende Klangelemente mit mikrotonalen Verschiebungen, zeitlichen Dehnungen und Stauchungen und einem zum Teil virtuosen, flirrenden Klangbild. Immer wieder schimmert die Tradition durch, aber sie wird als etwas Verlorenes, Entferntes, Getrübtes wahrgenommen werden", so der 1953 in Graz geborene Komponist selbst über sein zweites Streichquartett, welches im Kompositionsjahr 1998 vom Hagen Quartett im Wiener Konzerthaus uraufgeführt wurde.