Mann hält in Frankreich ein Smartphone in Händen, in Hintergrundunschärfe ein Radfahrer mit Mundschutz

APA/AFP/THOMAS SAMSON

Matrix

Was von der Pandemie bleibt

Die Pandemie hat die Visionen einer technisierten Gesellschaft auf den Prüfstand gestellt. Lern-Apps und digitale Helfer, die angeblich den digitalen Arbeitsalltag verbessern, mussten sich im täglichen Gebrauch bewähren, nicht immer mit Erfolg. Inwieweit hat sich die Gesellschaft grundlegend verändert?

„Wir müssen Technologien nach menschlichen Werten und Bedürfnissen formen, anstatt nur zuzulassen, dass Technologien Menschen formen.“

Das ist einer der Kernsätze des Wiener Manifests für digitalen Humanismus. Über 30 Forscherinnen und Forscher haben es im Jahr 2019 verfasst und auf der Website der Technischen Universität-Wien veröffentlicht. Kurz darauf bricht die Pandemie aus. Visionen und Versprechen der Digitalisierung werden einem globalen Praxistest unterzogen.

Social Media statt Strandbar

Online-Shopping statt Einkaufszentren, Social Media statt Strandbar. Der Alltag ist außer Kraft gesetzt; Leben, Lernen und Arbeiten in den eigenen vier Wänden bestimmen den Alltag im Jahr 2020. Ständige Begleiter, mitunter Heilsversprecher, sind technische Hilfsmittel. Sei es, um das Lernen und Arbeiten von zu Hause aus zu ermöglichen, sei es, um mögliche Ansteckungsherde mittels Tracing-Apps nachvollziehbar zu machen.

Nicht immer bringen sie den erhofften Erfolg. Besonders, wenn es um soziale Lernerfahrungen geht, haben wir erlebt, wie wenig die Digitalisierung zu bieten hat, so Christopher Frauenberger, Professor für Human Computer Interaction an der Universität Salzburg. Er erforscht, wo sich die Versprechen der Digitalisierung aus heutiger Sicht erfüllt haben und wo nicht: „Von einer Woche auf die andere haben viele Lehrerinnen und Lehrer begonnen, schnell auf etwas umzusteigen, was sie den Schülern nach Hause schicken können. Das erste, was kam waren E-Mails mit PDF-Anhängen, die man zu Hause ausdrucken konnte, was zeigt, dass viele Narrative und Versprechen der letzten 10 Jahre zu hoch gegriffen waren“.

Wie E-Learning soziale Ungleichheiten sichtbar macht

Vom simpel gehalten Dokument als Anhang einer E-Mail, über Lern-Apps, bis hin zu Chatprogrammen, um in einer Art virtuellem Klassenzimmer gewohnte Strukturen nachzubilden: Der unfreiwillige Digitalisierungs-Boom im Unterricht machte auch soziale Ungleichheiten sichtbar und zeigte auf, wie Technologie soziale Machtgefüge verschiebt und beeinflusst, so Frauenberger: „Sei es, dass es Eltern nicht möglich war diese Plattformen so zu nutzen, es Lehrerinnen und Lehrer intendiert hatten, sei es, dass es nicht die Hardware-Ausstattung gibt, um zum Beispiel drei Kinder parallel im E-Learning zu beschäftigen. Es gibt auch genug Leute, die keine Drucker oder Druckerpatronen besitzen. Wir verlieren hier Schülerinnen und Schüler aus Schichten, deren Bildung uns ganz besonders am Herzen liegen sollte.“

Wenigstens hat es (halbwegs) funktioniert

Der unfreiwillige Praxistest von digitalen Hilfsmitteln im Bildungsbereich kann aber auch Mut machen, so der Forscher Ayad Al-Ani vom Einsteinzentrum für digitale Zukunft, Berlin. Nach über einem Jahrzehnt der Theorien und Versprechen funktionierte zwar nicht immer alles gut, aber zumindest so gut, dass Schülerinnen, Schüler und Studierende ihre Semester absolvieren konnten.

Nicht immer lag es an den technischen Accessoires, dass Erwartungen nicht immer erfüllt wurden, so der Forscher: „Oft wurde der gute Ruf der digitalen Bildung verspielt. Denn, nur eine Vorlesung abzufilmen, zu streamen und ins Netz zu stellen ist nicht das, was man sich vor zehn Jahren unter ‚digitaler Bildung‘ vorgestellt hat. Unterm Strich, als Notlösung und unter den gegebenen Umständen, hat es nicht so schlecht funktioniert“.

Verkürzte Diskurse im Kampf um die Daten

Wichtig ist, so der Forscher, dass die Lehren und Erfahrungen aus der Nutzung digitaler Hilfsmittel, einen gesellschaftlichen Diskurs mit sich bringen. Insbesondere im Bereich von Gesundheitsdaten. Als Heilsversprecher gehandelt, begleitet der Wunsch, diese zu verwerten, die Pandemie von Beginn an.

Die Möglichkeiten darüber Daten und Informationen zu sammeln und sowohl Individuen als auch Gesellschaften transparenter und kalkulierbarer zu machen, haben nicht an Attraktivität verloren. Die Diskussionen hatten mit den ‚Corona-Apps‘ aus der Motivation heraus begonnen die Pandemie in den Griff zu bekommen, sind, so Al-Ani, erst die Spitze des Eisbergs:“ Das Beachtenswerte an der Diskussion war für mich auch, wie verkürzt sie stattgefunden hatte. Oft drehte sich alles um technische Aspekte nach dem Motto ‚wie lade ich die App runter‘ oder ‚wieviel Akku verbraucht die App‘. Dass die Daten auf den Smartphones bleiben und nicht weiterverwertet werden können, war ja nicht, was sich die Pandemie-Experten erhofft hatten. Wenn man sich die Papiere von Leopoldina anschaut, steht da ganz klar ‚wir brauchen die Daten um Muster zu erkennen und zu antizipieren‘. Man kann jetzt sagen, vielleicht, wenn es uns gelungen ist, die Pandemie jetzt einzugrenzen, war es das dann jetzt mit der Diskussion und das Ding landet auf dem Friedhof der politischen Lösungen, die uns nicht weitergebracht haben, ich vermute aber, es ist aber erst der Beginn einer Diskussion, die uns noch länger begleiten wird.“

Gesellschaft als Gestalter von Technologien

Insbesondere der Entwicklungs- und Werdegang von Tracing-Apps, wie hierzulande die „Stopp Corona“-App, stellen für Christopher Frauenberger, Professor für Human Computer Interaction an der Universität Salzburg, einen Ausgangspunkt für zukünftige Diskurse und Forschung dar.

Denn die Geschichte der App zeige auf, dass die gesellschaftliche Partizipation bei der Gestaltung von Technologie möglich und wichtig ist: „Auf öffentlichen Druck hin wurde die App open source gemacht, Sicherheitsbedenken von Nutzerinnen und Nutzer wurden aufgenommen und berücksichtigt. Das zeigt, dass die Öffentlichkeit eigentlich einen gewissen Hebel hätte, um Technologie in andere Bahnen zu lenken. Das ist ein Bewusstsein, das uns, wie ich hoffe, nach der Krise erhalten bleibt, wenn es darum geht, wie andere Apps und andere Firmen vielleicht mit unseren Gesundheitsdaten, mit unseren Bewegungsdaten, oder mit unserem Browserverhalten umgehen. All diese Dinge sind im Prinzip sehr ähnlich, nur dass diese Krise uns jetzt gezeigt hat, dass wir hier durchaus Veränderungen vornehmen können.“

Gestaltung: Sarah Kriesche

Service

Wiener Manifests für digitalen Humanismus
Universität Salzburg - Christopher Frauenberger, Professor für Human Computer Interaction
Ayad Al-Ani
Einsteinzentrum für digitale Zukunft
Leopoldina - Nationale Akademie der Wissenschaften