Ausschnitt des Buchcovers, Unterführung

SUHRKAMP VERLAG

Sachbuch

"1977" - Als die Gegenwart geboren wurde

Viele der Phänomene und Probleme, die wir heute erleben, haben 1977 ihren Anfang genommen. Behauptet der Schweizer Historiker Philipp Sarasin in einem Buch, das er diesem Jahr gewidmet hat. Darin geht es um den RAF-Terror genauso wie um Donna Summer: "1977 - Eine kurze Geschichte der Gegenwart" lautet der Titel.

"Das Sachbuch für den Sommer", Wolfgang Popp

Dass es sich bei den 70er Jahren um ein Schwellenjahrzehnt handelt, um einen Epochenwechsel von der Moderne hin zur Postmoderne, darüber sind sich zahlreiche Historiker einig. Für Philipp Sarasin stellte sich das Problem, wie kann man diesen Strukturbruch, diese Epochenschwelle sichtbar machen?

Buchcover

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Die Zeit der Toten ist vorbei

Seine Methode ist nicht nur ungewöhnlich, sie hat auch einiges für sich, denn Sarasin macht den Epochenwechsel am Ableben von fünf Persönlichkeiten im Jahr 1977 fest, die noch ganz in der Moderne verankert waren. Ein Beispiel:

Ernst Bloch etwa steht für einen alten noch stark romantisch geprägten Revolutionsbegriff. In seinem Todesjahr 1977 eskalierte jedoch der RAF-Terror mit der Entführung und Ermordung Hanns-Martin Schleyers oder der Entführung der Landshut-Maschine nach Mogadischu, so dass sich selbst die extreme Linke von den Terroristen abwandte, so Philipp Sarasin: "Der Glaube an die bewaffnete Avantgarde, die letztlich die Arbeiterklasse anführt, das ist seither vorbei."

Geburt des PC

Die wahre Revolution findet parallel dazu in der digitalen Welt statt. Der Computer, bisher von einer Technikerriege bedientes Maschinenmonster wird durch die Entwicklung des Mikroprozessors klein und damit zur verfügbaren Privatmaschine für den Eigengebrauch.

Ein einschneidendes Datum ist der April 1977, als der Apple II auf den Markt kommt. "In Kalifornien wird die Idee des persönlichen Computers als Simulationsmaschine entwickelt", so Philipp Sarasin, "mit der man alle anderen Medien simulieren kann und die ein Instrument sein soll für die eigene Kreativität."

Disco-Fieber

Die durch die neuen Computertechnologien entstehenden Möglichkeiten revolutionieren auch die Musik. Zwei Songs sind es, beide 1977 veröffentlicht, die als Geburtsstunde der elektronischen Pop-Musik gelten.

"'Trans Europa Express' von Kraftwerk und 'I feel love' von Donna Summer sind", so Philipp Sarasin, "der Durchbruch einer Musik, die zum Ausgangspunkt für Techno wird und aller elektronischer Pop-Musik seither."

Statt wie in Woodstock das Konzert als Großevent unter freiem Himmel zu zelebrieren, zieht sich die Musik jetzt in neu entstehende Nacht-Orte und in die Stadt zurück. Die Disco war anfangs Rückzugsort für Subkulturen, für Schwule, Lesben und Schwarze, mit dem 1977 ins Kino kommenden "Saturday Night Fever" tanzte John Travolta die Disco in den Mainstream.

Selbstoptimierung

Noch ein anderer Mann feierte damals seinen Körper vor laufender Kamera, und zwar in der legendären Bodybuilding-Dokumentation "Pumping Iron". Der Name des Hauptdarstellers: Arnold Schwarzenegger.

"Er stellt sich dar und wird gefeiert als jemand, der seinen Körper vollständig beherrscht", sagt Philipp Sarasin, "und er wird damit zur Ikone für Erfolg."

Philipp Sarasin betreibt in seinem Buch "1977" Geschichtsschreibung wie sie sein sollte. Spürt im Damals ein Nebeneinander an Ereignissen auf, das ganz neue Assoziationen ermöglicht, zeigt schlüssig die Beziehungen zur Gegenwart und präsentiert seine Fundstücke in lebendiger Form. Das Sachbuch für den Sommer.

Service

Philipp Sarasin, "1977 - Eine kurze Geschichte der Gegenwart", Suhrkamp

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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