ASTRID KNIE
Theater
"Medea" in der Josefstadt
Der Medea-Stoff hat am Theater Hochsaison - das haben die zahlreichen Aufführungen der letzten Jahre gezeigt. Nun kommt das Theater in der Josefstadt mit seiner Version des Grillparzer-Stückes dazu. Der deutsche Regisseur Elmar Goerden inszeniert die 200 Jahre alte Tragödie in einer ungewöhnlichen Besetzung: Sandra Cervik als Medea, Joseph Lorenz als Jason und Michael König als Amme.
9. Oktober 2021, 02:00
Medea lebt - in der 2500 Jahre alten Urversion von Euripides, in der Cherubini-Oper, in der Grillparzer-Tragödie und in aktuellen Überschreibungen - und unsere Gegenwart bietet dem Drama um Ausgrenzung und Fremdheit gemeinhin einen perfekten Resonanzraum, in dem es zeitlos gültig und aktuell politisch nachhallen darf. Für die Josefstadt-Inszenierung aber stellt Regisseur Elmar Goerden von Anfang an klar: "Es ist eben nicht das Stück zur Flüchtlingskrise."
Grillparzer auf die Tagespolitik herunterzubrechen, wäre ihm zu billig, so Goerden. "Ich hab' das mal gesehen, da war im Hintergrund so ein Flüchtlings-Zeltlager, das ist dann aber noch nicht politisch, das ist für mich Dekor."
ASTRID KNIE
Michael König und Sandra Cervik
Filigrane Bindungen
Goerden legt seinen Fokus auf zwei Menschen, die schuldhaft miteinander verstrickt sind, bis einer von ihnen alles verliert. Zugehörigkeit und Heimat, Sprache und sozialen Halt. "Wenn die Druckverhältnisse drumherum steigen, dann merkt man, wie filigran diese Bindungen sind, Familie, Hafen, Zuhause -, dass der Boden, auf dem man sich gebettet fühlt, nicht mehr verlässlich ist. Das hat nicht nur mit der Pandemie zu tun, aber auch - und die Frage ist, was bleibt dann, woran kann man sich noch festhalten."
Sandra Cervik als Medea und Joseph Lorenz als Jason sind eine bewusst gewählte ältere Besetzung als üblich, und spielen mit deutlicher Bodenhaftung ein gereiftes Ehepaar. "Mir war wichtig, ein Paar zu haben, wo das Ende einer langen Geschichte schmerzhaft ist - auch aufgrund der lange miteinander verbrachten Zeit. Wenn ich so junge Leute in diesen Rollen sehe, dann denk ich immer: Kinder, ihr habt ja noch viel vor euch. Aber die haben ein Leben gelebt, bis zu einem gewissen Punkt, unheimlich viel getan, erlebt, sich gestritten, sich verschuldet, sich verstrickt, Kinder in die Welt gesetzt und großgezogen und dann kommt der Punkt, wo sie sagen: Ich kann nicht mehr - wegen Dir."
Medea noch stärker
Grillparzer hat Medea stark gezeichnet; Elmar Goerden hat sie mit ein paar kleinen Textänderungen noch stärker gemacht, so Sandra Cervik. "Der Grillparzer gibt dem Jason viel Raum, der redet und redet und redet, aber seine Heldin hat nicht diesen Moment zu sagen, ich könnte auch tausend Jahre erzählen, was mir passiert ist und was mir fehlt und was mir genommen und geraubt wurde. Und diesen Moment hat der Elmar Goerden zum Glück dazu geschrieben."
"Nur im Spiel der Schauspieler ist es beinhart realistisch", Elmar Goerden
Michael König gibt im folkloristischen Outfit und mit langen Zöpfen die Amme Gora - keine Travestie, sondern eine Instanz in jeder Hinsicht. "Ich hätte es komisch gefunden, der Medea eine andere Frau an die Seite zu stellen, weil da gibt es dann so einen freundinnenhaften Halt, eine Geschlechtssolidarität, das wollte ich nicht. Aber dadurch, dass die Gora so eine seltsame Figur ist, hat man das Gefühl, dass sie für die Medea eine weitere Komplikation ist, das ist kein Wir-Frauen-Gefühl, kein Halt. Vielleicht repräsentiert diese Figur auch so ein bisschen die abwesende Vaterfigur", so der Regisseur.
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Joseph Lorenz, Katharina Klar und Sandra Cervik
Groteske Kostüme, überhöhte Ästhetik
Wenn Medea am Ende ihre beiden Kinder umbringt, eines davon hier noch im Rollstuhl, sei das eine Ungeheuerlichkeit, die man nur ertragen könne, wenn man die Theatermittel offenlege, so Goerden. Deshalb setzt er bewusst auf groteske Kostüme, emotionale Bühnenmusik und eine künstlich-überhöhte Ästhetik. "Es ist nicht die Welt, da muss man vorsichtig sein. Ich wollte ein Abend haben, wo man sieht, dass das gemacht ist, kein Naturalismus im Dekor, sondern Zeichen, die man zuordnen kann oder die einen an etwas erinnern. Nur im Spiel der Schauspieler ist es beinhart realistisch, psychologisch durchgestaltet."
Das verklärte Heile-Welt-Schlussbild, mit Freude, Eintracht, Geburtstagsjubel und Generationenversöhnung, mag manchen Zuschauer vielleicht irritieren, scheint aber für diese Inszenierung voller Überraschungsmomente, durchaus stimmig.