Meer glitzernd

EDEN/LERNOUT

Grenzenloses Mittelmeer

Circle Surface Sun

Was hat Malta mit Bosnien-Herzegowina gemeinsam? Was Syrien mit Spanien? Gibraltar und Gaza? Sie sind alle Mittelmeeranrainerländer, und sie gehören - so groß die Differenzen manchmal scheinen - somit ein und demselben Kulturraum an: dem mediterranen Raum. Das ist die Ausgangsthese des Buches "Circle Surface Sun - From Somewhere in the Mediterranean", das Irena Eden und Stijn Lernout bei Schlebrügge.Editor herausgebracht haben.

Circle Surface Sun – From Somewhere in the Mediterranean, Buchumschlag

EDEN/LERNOUT

Irena Eden wurde in Hamburg geboren, Stijn Lernout in Antwerpen. Sie leben in Wien und in Kroatien. Was bedeutet das Mittelmeer für sie? "Man geht ans Mittelmeer um Urlaub zu machen, und im Umkehrschluss wird es gesehen als etwas, wo eine Bedrohung herkommt. Also die Migrationswelle, die übers Mittelmeer nach Europa schwappt, das Bedürfnis sich abzugrenzen. Dieser Widerspruch ist für mich, als Belgier, abstrakter, als für jemanden, der einen natürlichen Zugang zu dem Raum hat. und im Buch haben wir schon versucht Leute anzusprechen, die diesen natürlichen Zugang und Umgang zu dem Raum haben", sagt Lernout.

In allen Mittelmeerländern haben die bildenden Künstler Eden und Lernout Autorinnen und Schriftsteller ausfindig gemacht, die nicht nur einen natürlichen Umgang mit dem Mittelmeer haben, sondern auch ein waches Auge auf gesellschaftspolitische Fragen. Gebeten wurden sie um Texte, die sich mit einer besonderen Facette des Mittelmeers befassen: das Licht in ihrem Land, am Meer. Das unvergleichliche Tageslicht, Sonnenlicht, Meereslicht. Irena Eden: "Es ist eine sehr bunte Mischung zustande gekommen, die changiert zwischen politischen, biographischen, erzählerischen Texten." Schon Albert Camus habe sich in seinen Schriften zum Mittelmeer mit diesem Aspekt befasst: "Er hat in dem Licht einen Reichtum gesehen, wobei wichtig ist zu betonen, dass er da nicht in eine Romantik verfallen ist, sondern schon gesehen hat, dass diese lichtreichen Länder andere Probleme und an anderen Stellen zu kämpfen haben. Aber er hat das Licht als was einendes gesehen und als eine Möglichkeit."

Gekräuseltes Meer

EDEN/LERNOUT

Eine Möglichkeit

Eine Möglichkeit wäre ja auch, das Meer nicht als etwas Trennendes zu empfinden, sondern als etwas Einendes. Eine Art Kern Europas. Eines Europa, das nicht an den Landesgrenzen und den Küsten endet, sondern das sich um das Mittelmeer herum abspielt. "Wenn man es an einem Beispiel festmachen will: ein Migrationsboot landet dann in Europa, wenn es eine Küste erreicht. Die Begründerin Europas ist das Mittelmeer, nicht das Festland. Das hat für mich eine große Rolle gespielt. Und die ist politisch und kulturell kaum vorhanden", sagt Stijn Lernout.

Dieses Bild des Mittelmeeres als Klammer Europas, statt als zu überbrückende Grenze, haben Lernout und Eden in dem von ihnen gestalteten Buch "Circle Surface Sun" umzusetzen geschafft. Indem sie Autorentexten eine Landkarte voranstellen, in der nicht die Landmasse, sondern der Wasserraum hervorgehoben ist. Stij Lernout fährt mit dem Zeigefinger über die Karte: "Man kann sowohl in Marokko starten und dann gegen den Uhrzeigersinn bis nach Gibraltar reisen, und in der englischen Übersetzung umgekehrt. Und das macht auch insofern wiederum Sinn, weil man im Lateinischen, also in der englischen Schrift, von links nach rechts blättert, und im arabischen die Gegenrichtung macht. Und dann sind es zwei Bücher geworden, wenn man so will, die in einem Umschlag vereint werden."

Buch offen

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Gleichwertige Sprachen

Klappt man das Doppelbuch auf, kann man die eine Hälfte nach links aufschlagen, die andere nach rechts. "Offene Fadenbindung in Schweizer Broschüre" ist der Fachausdruck für die Bindeform. Eine Herausforderung war beim Layout der Umgang den verschiedenen Schriften: Arabisch, Griechisch, Hebräisch, und Lateinische Schriften mit allerhand Symbolzeichen. Alle Texte sind im Original abgedruckt und in englischer Übersetzung. Es ist ein richtig kosmopolitisches Buch.

Für ihre Ausstellung zum Künstlerbuch "Circle Surface Sun" im Kunstverein Konstanz 2020 wurden die Buchtexte von Schauspielern eingelesen. Die Soundinstallation war über einen Piratenradiosender im Bereich der Ausstellung zu hören - in Anspielung an den Piratensender Voice of Europe, der von einem ausrangierten Frachtschiff vor der israelischen Küste mittels Radioprogramm für die Verbesserung des Verhältnisses von Israelis und Palästinensern eintrat.

Buch offen

EDEN/LERNOUT

Lichtreflexionen und Meeresoberflächen

Zu sehen waren mittels Frottage-Technik auf Büttenpapier übertragene Abbildungen von Lichtreflexionen auf Wasseroberflächen, die auch im Buch enthalten sind. Von der Decke abgehängt war ein großer, zarter Stahlkreis, über den Tücher drapiert waren. Gefärbt wurden sie mittels Cyanotopie, das ist ein Lichtpausverfahren aus der Frühzeit der Fotografie, beruhend auf der Lichtempfindlichkeit einer Eisensalz-Lösung. Das Licht bleibt als Blaufärbung auf der Textilie zurück. Die Textur des Materials sieht wie eine bewegte Meeresoberfläche aus. "Das Licht fällt auf die Textilien und leichteste Schattenwürfe der Textilien sind dann abgebildet. Eine bewegte Oberflächenstruktur ist sichtbar. In einem Blau, das ans Meer erinnert; wobei das Licht gezeichnet hat. Das war uns wichtig, dass das Licht für uns gearbeitet hat."

Meer ruhig

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Service

CIRCLE SURFACE SUN
From Somewhere in the Mediterranean
Irena Eden & Stijn Lernout (Hg.)
Englisch/Div., 224 Seiten, 18 × 23,5 cm, zahlreiche Abbildungen in Farbe, broschiert
Mai 2020
ISBN 978-3-903172-50-0

Das Buch enthält Texte von Salah Badis, Najwa Binshatwan, Valérie Cachard, Antoine Cassar, Anat Einhar, Wagdy El-Komy, Laura Ferrero, Anja Golob, Soukaina Habiballah, Jazra Khaleed, Arian Leka, Mazen Maarouf, Senka Marić, Marwa Melhem, Efe Murad, Nora Nadjarian, Kamel Riahi, M. G. Sanchez, Olja Savičević-Ivančević, Igiaba Scego, Dragana Tripković, Thomas Vinau und eine Einführung von Juan Canela.

Irena Eden und Stijn Lernout
Kunstverein Konstanz

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