Junger Mann mit Mütze, 1918

DETROIT INSTITUTE OF ARTS/BRIDGEMAN IMAGES

"Revolution des Primitivismus"

Modigliani in der Albertina

Zum einhundertsten Todestag von Amedeo Modigliani zeigt die Albertina eine große Werkschau des Künstlers - mit gut einem Jahr pandemiebedingter Verspätung. Dem Umfang der Ausstellung hat die Verschiebung keinen Schaden getan; Leihgaben aus Museen und Sammlungen in den USA, Fernost, China, Japan, Singapur und natürlich Europa wurden organisiert. Dabei ist das Werk von Modigliani überschaubar - er verstarb im Alter von 35 Jahren, als seine Karriere gerade erst Fahrt aufzunehmen begann.

Man kennt Amedeo Modiglianis Akte und Porträts, die eleganten Gliedmaßen, die keilförmigen Nasen, die langen, schlanken Hälse seiner Figuren. Was seine Einflüsse waren, wird in der Ausstellung in der Albertina veranschaulicht. Einen bleibenden Eindruck hinterließen die Objekte in ethnographischen Sammlungen, für die sich Modigliani interessierte, ebenso wie seine Zeitgenossen Brancusi, Derain und allen voran Picasso.

Weiblicher Kopf, Angkor, Ende 12./Anfang 13. Jahrhundert

MUSÉE GUIMET/RMN-GRAND PALAIS/MICHEL URTADO

Weiblicher Kopf, Angkor, Ende 12./Anfang 13. Jahrhundert

Pariser Primitivismus

Exemplarisch ist in der Ausstellung etwa ein Khmer-Kopf aus dem 13. Jahrhundert zu sehen, mit offenen pupillenlosen Augen, oder eine Porträtmaske von der Elfenbeinküste klar geformten Gesichtslinien - die Ähnlichkeit mit Modiglianis Porträts sticht ins Auge.

Der Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schöder sagt über Amedeo Modigliani: "Er bezieht sich auf das Bild einer archaischen Kunst, die kann 4.500 Jahre zurückliegen, wie die für Modigliani so wichtige klassische Skulptur, oder aber auf Skulpturen der Fang aus dem 19. Jahrhundert. Die Fang waren ein zentralafrikanischer Stamm, der zum Kolonialreich der Franzosen gehört hat und daher im Museum für Ethnographie in Paris für ihn zu studieren war, genauso wie für Matisse und für Picasso. Er hat aber auch studiert, was in Fernost passiert ist: Von den Khmer wurden wichtige Skulpturen nach Paris gebracht, durch die indonesischen Kolonien Frankreichs. So hat er synkretistisch diese Einflüsse verschiedener archaischer Ausdrucksformen verarbeitet und damit einen vollkommen unverwechselbaren, eigenständigen Ton gebracht."

Italienische Anfänge und Anklänge

Als Synkretismus bezeichnet man die Vermischung verschiedener Stile und Formen aus unterschiedlichen Kulturen und Epochen zu etwas Neuem. Dieser Zugang habe sich durch Modiglianis gesamtes Werk gezogen, erklärt der Kurator und Modigliani-Experte Marc Restellini, und zu den Einflüssen zählt er auch die italienische Kunst der Renaissance, Botticelli und Raphael.

Amedeo Modigliani wurde 1884 in eine jüdische Familie im italienischen Livorno geboren; er studierte Malerei in Florenz und Venedig und übersiedelte 1906 nach Paris. Der Spanier Pablo Picasso, der Mexikaner Diego Rivera, der Rumäne Constantin Brancusi - sie alle waren bereits da, in der Welthauptstadt Paris. Die Avantgarde war im Aufbruch, und die Künstler auf der Suche nach neuen Lösungen, weg von den Konventionen der Salonmalerei und der realistischen Nachahmung der Realität, schildert Marc Restellini das Milieu. Amadeo Modigliani war mittendrin - in den abgewrackten Ateliers des Montparnasse, wie La Ruche oder Bateau Lavoir, dem Waschschiff, wo Picasso seine ersten kubistischen Werke schuf.

Weiblicher Halbakt, 1918

ALBERTINA WIEN/SAMMLUNG BATLINER

Weiblicher Halbakt, 1918

Skandal um Schamhaar

Picasso, das vor Schaffenskraft trotzende Genie - Modigliani der Intellektuelle, charismatische und kränkelnde Maler; das sei eine Konstellation wie Leonardo und Michelangelo, so der Kurator. Zwei Zeitgenossen mit ähnlichen Interessen, aber anderen Zugangsweisen. Von seinen Künstlerfreunden überaus geschätzt, verkaufte Modigliani zu Lebzeiten nur sehr wenige Werke. "Seine einzige Ausstellung, die zu Lebzeiten stattgefunden hat, musste vorzeitig geschlossen werden", so Klaus Albrecht Schröder, "es war ein Skandal, dass er Schamhaare bei einem Frauenakt dargestellt hat. Man dachte, der Frauenakt sei seit fünf Jahrhunderten eigentlich in all seinen Erscheinungsformen durchdekliniert. Und doch hat so ein Detail bei aller Stilisierung und Abstraktion, die Modigliani vornimmt, einen Skandal ausgelöst und zum Eingreifen der Polizei geführt." Nachdem die Ausstellung geschlossen werden musste, bekleidete Modigliani seine Modelle und stellte sie züchtiger dar, mit artig im Schoß gefalteten Händen.

Seinen Welterfolg erlebte der Bildhauer und Maler nicht mehr. Er, der seit der Kindheit lungenkrank war und deshalb auch die Arbeit am Stein aufgeben musste, um nur mehr zu malen, verstarb 1920 mittellos im Alter von 35 Jahren in Paris an Tuberkulose. Sein Begräbnis am Cimetière Père Lachaise wurde zum Ereignis - bezahlt wurde die Beisetzung durch Spenden von Modiglianis Künstlerfreunden. Einige von ihnen hatte er porträtiert - auch diese Bilder sind in der Albertina ausgestellt; Zeugnisse einer bewegten Künstlerszene, die die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts prägen sollte.

Service

Die Ausstellung "Modigliani - Revolution des Primitivismus" ist ab dem 17. September in der Albertina zu sehen.

Gestaltung

  • Anna Soucek