MARCELLA RUIZ CRUZ
Burgtheater
Simon Stones "Komplizen"
Zuletzt begeisterte er mit seiner Inszenierung von Verdis "La Traviata" an der Wiener Staatsoper. Jetzt ist die jüngste Produktion des australisch-schweizerischen Regisseurs Simon Stone am Burgtheater zu sehen. Gleich zwei Stücke von Maxim Gorki dienen als Steinbruch für "Komplizen", ein Stück, das mit Peter Simonischek, Michael Maertens, Birgit Minichmayr und Mavie Hörbiger hochkarätig besetzt ist.
31. Oktober 2021, 02:00
"Die Kämpfe werden aggressiver und aggressiver - das wollte ich besprechen"
Simon Stone
Freundlicher Applaus für eine Ensembleleistung, die am Abend der großen Burgtheater-Premiere zu beeindrucken vermochte. Mehr als dreieinhalb Stunden schraubt sich der Edelcast, den Simon Stone in seiner aktuellen Produktion "Komplizen" versammelt, in hysterische Exzesse hinein und führt einen Tanz auf dem Vulkan vor, der sich in den transparenten Kuben einer modernistischen Villa abspielt. Ausgestellt wie in einem Aquarium erlebt eine Gruppe Wohlstandsverwahrloster den pandemischen Ausnahmezustand in diesem Refugium. Draußen tobt der Klassenkampf, drinnen geben Luxusprobleme den Takt vor.
MARCELLA RUIZ CRUZ
Peter Simonischek, Stacyian Jackson
Klassenkampf draußen, Befindlichkeitsterror drinnen
Mit seinem "Remix" des klassischen Theaterrepertoires wurde der australisch-schweizerische Regisseur Simon Stone zum Liebling des deutschsprachigen Theaters. Stone, der aus Literaturvorlagen gänzlich neue Stücke meißelt, entstaube den Kanon - so eine gängige Meinung der Kritik - und öffne das Theater für die Generation Netflix.
Tatsächlich kommt Stone weitgehend ohne Stilmittel aus der postdramatischen Trickkiste aus, verzichtet weder auf eine nacherzählbare Handlung noch auf eine klassische Figurenpsychologie. Ganz im Gegenteil: Die Charaktere, die Stone auf die Bühne schickt, sind fest verankert im therapeutischen Zeitalter. Sie jonglieren mit den Rastern der großen psychoanalytischen Erzählung und sind derartig mit der eigenen Nabelschau beschäftigt, dass der Blick auf das gesellschaftliche Ganze verstellt bleibt.
Michael Maertens überzeugt als Stadtneurotiker und mimt einen verschrobenen Wissenschaftler, der den Pilzbefall von Leinwänden studiert. In der Beziehung zu seiner 20 Jahre jüngeren Frau Tanya, einer aufstrebenden Schauspielerin dargestellt von Lilith Hässle, ist er längst gescheitert. Ihm gegenüber die nicht minder neurotische Scheidungsanwältin Melanie, grandios verkörpert von Birgit Minichmayr. Wenn sich das Paar in einem ungelenken Pas de deux vorsichtig annähert, entfaltet dieser Abend seine Höhepunkte.
MARCELLA RUIZ CRUZ
Pas de deux von Maertens und Minichmayr
Zwei Stücke Maxim Gorkis dienen als Vorlage für Simon Stones "Komplizen". In "Kinder der Sonne" nimmt Gorki Bezug auf die Choleraaufstände an der Wolga im späten 19. Jahrhundert und erzählt von einer Stadt, die von einer Epidemie heimgesucht wird. In "Feinde" beschäftigt er sich mit dem Arbeiteraufstand in einer Fabrik.
Beide Stücke verschleift Stone zum großen Zeitgeistpanorama, das von einer kaputten Elite erzählt, die weiß, dass sie abdanken muss. Denn vor den Toren des Luxusanwesens entlädt sich längst der Zorn derer, die von der Pandemie am härtesten getroffen wurden.
Die großen Debatten im Schnelldurchlauf
Mit "Komplizen" begibt sich Simon Stone auf die großen Debattenfelder unserer Zeit. Von den Aporien der Wachstumsideologie bis zu verunsicherten Männern, die ihren Platz in einer Welt nach MeToo finden müssen, von der ideologischen Setzung des Kanons bis zur großen Umverteilungsfrage: Im Schnelldurchlauf wird vieles angeschnitten und nolens volens nichts vertieft.
"Jedes Kapitel eine Weltanklage", sagte einst Thomas Bernhard. Mit Blick auf Simon Stones "Komplizen" möchte man ergänzen: "Jeder Satz ein Kalenderspruch!". Denn allzu didaktisch wirkt Stones Vorhaben streckenweise, allzu holzschnittartig seine Figuren. Dass sie sich selbst ihrer Klischeehaftigkeit bewusst sind, reicht nicht aus, um eine ästhetische Brechung zu erzeugen. Nach mehr als dreieinhalb Stunden stellen sich unweigerlich Erschöpfungserscheinungen ein. Denn: Man hat viel erfahren, was man längst gewusst hat.
MARCELLA RUIZ CRUZ