IRIS RANZINGER
Begleitpublikation zu einer Ausstellung
Die Galeristin und der schöne Antikapitalist auf der Gothic G’stettn
Ein wüstes Gemenge von Grafik, Foto, Text und Schnippseln aller Art hat Verena Dengler als Begleitpublikation zu ihrer Ausstellung "Die Galeristin und der schöne Antikapitalist auf der Gothic G’stettn (Corona Srezessionsession Dengvid-20 :) )" in der Secession im Sommer 2020 herausgebracht. "Künstlerbuch - was ist das eigentlich?", fragt Dengler. "So ein schönes, in Leinen gebundenes Buch, frei von Kommerz - das ist nicht mein Ding."
20. Oktober 2021, 15:26
Die Secession ist ein Haus mit Tradition und Geschichte. 1897 als Künstlervereinigung in Wien gegründet, eröffnete sie kurz darauf ihr eigenes Ausstellungshaus zwischen Naschmarkt und Akademie der Bildenden Künste. „Ver Sacrum“ steht auf der Fassade, der „Heilige Frühling“ der Kunst sollte eingeläutet werden; und „Ver Sacrum“ hieß auch das „Organ der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs“ in Form einer anspruchsvoll gestalteten Literatur- und Kunstzeitschrift. In der ersten Ausgabe wurde proklamiert: "Wenn ihr uns nur den kleinen Finger reicht, dann wollen wir diese kurzen Minuten mit einer Wonne und Herrlichkeit erfüllen, dass euch die ganze trostlose Öde eures bisherigen Lebens vor Augen trete, dann wollen wir bald eure ganze Hand, euer Herz, euch selbst haben!“
APOLLONIA THERESA BITZAN
Konventionen des Künstlerbuchs
Heute zieht Klimts Beethoven-Fries im Keller das zahlende Publikum in Scharen an, das gelegentlich auch einen Blick in den ebenerdigen Ausstellungsraum der Secession wirft. Und eben dort findet ein kontinuierlich erstklassiges Programm zeitgenössischer Kunst statt. Auch das ist eine Tradition - der jüngeren Zeit.
Soweit die Ausgangslage für Verena Dengler, die eingeladen wurde, eine Ausstellung inklusive Publikation zu entwickeln. Aber was ist das eigentlich, eine Künstlerpublikation, ein „Buch als Kunst“? „Ich habe mich das auch gefragt, weil da gibt es ja Konventionen: Wie schaut sowas aus? Aufwändig gestaltet mit Leinen-Cover, oder ich weiß nicht. Ich habe da so Bilder dazu gehabt. Doch das ist irgendwie sowieso nicht mein Ding. Und natürlich soll es komplett frei sein von irgendwelchem Kommerz oder so. Das finde ich schon sehr klischeebehaftet: 'Künstlerbuch'“, sinniert Verena Dengler über dieses Genre.
Tabubruch mit Werbung
Für ihre Ausstellung mit dem ungewöhnlichen Titel “Die Galeristin und der schöne Antikapitalist auf der Gothic G’stettn (Corona Srezessionsession Dengvid-20 :) )” recherchierte sie im Archiv der Künstlervereinigung. Eine Anregung für ihr Buch fand Dengler in den um 1900 entstandenen Ver-Sacrum-Heften. Und zwar in der Anzeigenseite. „Ich habe mir gedacht, das passt irgendwie ganz gut. Ich finde, die Werbung kann ja auch eine tolle Kunstform sein. Und in meiner Publikation ist es eine Mischung aus den Sponsoren der Secession und meinem Freundeskreis. Denn ich habe meinen Freunden allen gratis Werbeflächen zur Verfügung gestellt.”
IRIS RANZINGER
Porträt einer Wiener Szene
Das ergibt ein - auch gestalterisch kongenial umgesetztes - wildes Gemenge von Grafik, Foto, Text und Schnipseln aller Art. Da sind ganzseitige, auf Hochglanz gelayoutete Inserate von Bösendorfer und Bründlmayer, von Erste Bank und Lobmeyr, von der Arbeiterkammer und dem Ö1 Club, im egalitären Nebeneinander und im grafischen Clinch mit Reklame für den queer-feministischen Kunstraum Lazy Life, für das Plattengeschäft Sissy Sound, für Honig aus dem Sternwartepark oder für das Modelabel MOB Industries, das Kleidung für Rollstuhlnutzerinnen anbietet. Andere Inserate sind von der Burschenschaft Hysteria, der Verena Dengler auch angehört, sowie für die mit diesem Frauenbund assoziierte Musikkapelle „gebenedeit“. Das Video zu „Die reichste Frau von Wien“ wurde in der Ausstellung aufgenommen.
In das anarchisch-stilwidrige Kunstmagazin hat Verena Dengler auch allerhand Material aus ihrem Privatarchiv eingeschleust, etwa Flyer von Partys, die sie als Jugendliche organisiert hat. Oder Fotos von Kostümfesten aus ihrer Studienzeit an der Akademie, auf einer Doppelseite mit Schnappschüssen von Kostümfesten der Künstlervereinigung. Ein Mitstudent von Dengler war damals sogar als Secessionsgebäude verkleidet, mit goldenem Krauthappel als Kopfbedeckung. Das Magazin ist auch Abbild einer Szene, Porträt einer Wiener Künstlerinnengeneration.
IRIS RANZINGER
Kommerz und die hehre Kunst
Während heute ein Preisschild an einem Kunstwerk Tabu ist, finanzierte sich die Secession in ihren Gründungsjahren durch Verkaufsausstellungen - die kommerzielle Seite der hehren, reinen Kunst, kritisierte im Jahr 1900 Karl Kraus in der „Fackel“: „Nun, jene Herren, die heute reich und morgen vielleicht schon arm sind, sehen eben, wenn sie einen Theil ihres Vermögens in Kunstwerten placieren, stets darauf, möglichst marktgängige Ware zu kaufen. Und auf dem Wiener Kunstmarkt sind ja in den letzten Jahren viele Valeurs zu Nonvaleurs geworden; die Speculation begünstigt neue Werte, und der geänderten Richtung hat sich, nach längerem Widerstreben, auch die conservative Publicistik gefügt: Der Kunsteconomist der ‚Neuen Freien Presse‘ ist mit der modernen Kunst »in der Lieb«. Aber auch der Schauplatz des Kunsthandels hat gewechselt; die Säle des Künstlerhauses sind verödet, und die schwatzende Menge drängt sich in der Halle des Kunsttempelchens der Secession. Dass etwa ein kräftiger Arm die Händler aus diesem Tempel jage, ist nicht zu befürchten.“
Verena Dengler hat historische Fotos aus der Gründungszeit der Secession gesehen: als die Ausstellungen als Salons mit Blumenschmuck und heimeliger Atmosphäre inszeniert wurden - für heutige Sehgewohnheiten eine Kuriosität. Gewohnt sind wir, dass aktuelle Kunst in weißen, möglichst neutralen Räumen ohne Dekor gezeigt wird.
Kunstmarkt für antikapitalistische Kunst
Den Kunstmarkt, seine Strukturen, Hierarchien, Widersprüchlichkeiten und Absurditäten, nimmt die Künstlerin schonungslos auf die Schaufel. Etwa indem sie Klimt-Merchandise-Produkte aus dem Secession-Shop oder einen Flügel des Sponsors Bösendorfer – ein vergoldetes Exemplar der Sonderedition „Ver Sacrum“ - in ihrer Ausstellung platziert hat. Dort zu sehen und in der Publikation als Foto-Story abgedruckt ist eine Episode des Groschenromans „Die Galeristin und der schöne Antikapitalist“, den sich Verena Dengler ausgedacht hat und der Ausstellung ihren Titel gegeben hat: “Die Galeristin und der schöne Antikapitalist auf der Gothic G’stettn (Corona Srezessionsession Dengvid-20 :) )”
„Es gibt auch einen Markt für antikapitalistische Kunst, also das ist kein Widerspruch“, meint Dengler, „Ich wollte das humorvoll aufgreifen, dass man da immer irgendwie drinhängt, dass man nicht frei ist von solchen Verstrickungen. In meinem 'Groschenroman' für Instagram wollte ich das aufgreifen: Die Galeristin kann natürlich den den linken Künstler ganz gut brauchen fürs Image - und er braucht ihr Geld. Und es ist so: aus dem Leben gegriffen.“