Otaci, am Grenzübergang zur Ukraine, vormittags

HORST WIDMER

Diagonal

Juri und das Akkordeon

Im Norden Moldawiens: Otaci an der Grenze zur Ukraine ist auch für hiesige Verhältnisse ein unwirtlicher Ort.

Vor zwei Jahren: Für unser Diagonal-Porträt der Republik Moldau reiste ich, in alle Richtungen, an die Grenzen des Landes. Im Norden, am Ufer des Dnister, kam ich nach Otaci, am Grenzübergang zur ukrainischen Stadt Mohyliw-Podilskyj. Otaci hat 8000 Einwohner, ist weder Dorf noch Stadt, ein Wirrwarr von einstöckigen Häuschen, desolaten Wohnblocks aus der Sowjetzeit und, über den Ort verstreut, halbfertigen und halbverfallenen, spukhaften Fantasy-Villen der zu etwas Geld gekommenen Roma, die knapp die Hälfte der Bevölkerung bilden.

Roma-Villa in Otaci

Roma-Villa in Otaci

HORST WIDMER

Soziales Zentrum ist der Platz vor dem Grenzübergang. Hier wird bei Tage mit allen Dingen des täglichen Bedarfs gehandelt, in der Nacht mit jenen des nächtlichen. Sobald es dunkelt, treiben sich da nur noch junge Männer herum, Jugendliche, manche außer Rand und Band im Drogenrausch. Es gibt keine Lokale in Otaci, aber die Grenzkioske haben rund um die Uhr geöffnet.

Juri Gaitschuk

HORST WIDMER

Musikschullehrer Juri Gaitschuk im Herbst 2021, nach unserem Ausflug in die Ukraine.

An einem Sonntagmorgen, nach dem Messbesuch, lerne ich hier Musikschullehrer Juri Gaitschuk kennen, einen stillen, freundlichen Mann. Er unterrichtet Akkordeon, musiziert bei privaten Feiern und an diesem Sonntag auch für mich in meiner Unterkunft. Nach mehreren Stücken aus aller Welt erzählt er wie nebenbei, dass der Wohnblock, in dem sich seine Wohnung befand, kürzlich eingestürzt ist und wie ihm dabei auch sein gutes Instrument abhanden kam.

Nach Ausstrahlung der Sendung fragten Kolleginnen und Kollegen aus der Musikredaktion, ob man dem Mann nicht helfen könne. Aber zunächst konnte ich Juri nicht finden, und als ich ihn endlich doch am Telefon erreichte, herrschte schon die Pandemie: geschlossene Grenzen, Quarantänepflicht einmal hier, einmal da, die Ukraine hatte für Moldauer überhaupt dichtgemacht.

Jetzt endlich habe ich Juri in Otaci besucht. Ich bin mit dem Auto aus der Hauptstadt gekommen, denn das schwere Dieselross mit dem wunderbaren Speisewagen, das zwischen Kischinau und Moskau verkehrte, fährt leider nicht mehr.

Den Sound von Otaci und wie die erste Begegnung verlief, können Sie hier nachhören - was dann geschah, hören Sie am 06. 11. 2021 in „Diagonal“, 17.05 Uhr, oe1.