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Toleranz - eine "vorübergehende" Gesinnung
Toleranz kann gönnerhaft und herablassend sein oder in völlige Gleichgültigkeit kippen. Trotzdem hat sie als "ethischer Mindeststandard" im Zusammenleben noch immer ihre Berechtigung. Johann Wolfgang von Goethe meinte: "Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen."
10. Jänner 2022, 02:00
Seit Kaiser Joseph II. ist der Begriff Toleranz in der politischen Geschichte Österreichs tief verwurzelt. In den entsprechenden „Patenten“ wurde im späten 18. Jahrhundert den damals so genannten Akatholiken (konkret: evangelischen und orthodoxen Christinnen und Christen sowie Jüdinnen und Juden) eine Art grundsätzliches Existenzrecht zugestanden.
Ein Zitat aus dem „Hofdekret“ bringt die Geisteshaltung dahinter zum Ausdruck: „Solang sich die irrgläubigen Landesinwohner ruhig und friedlich betragen, ist ihre Bekehrung lediglich der unendlichen Barmherzigkeit Gottes, und der bescheidenen Mitwirkung der Geistlichkeit zu überlassen.“ Erlaubt war freilich nur das „Privat-Exercitium“ der abweichenden Religion - hinter verschlossenen Türen. Von Religionsfreiheit im modernen Sinn kann also noch nicht die Rede sein - aber ein erster, wichtiger Schritt war getan.
"Dulden heißt beleidigen."
Die begriffliche Karriere der Toleranz beginnt also im politischen Bereich beim Umgang mit (religiösen) Minderheiten. In diesem Sinn ist auch das berühmte Wort des Dichters und Politikers Johann Wolfgang von Goethe zu verstehen: „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“
Duldung allein kann als gönnerhaft oder herablassend empfunden werden, wenn sie, wie damals im 18. Jahrhundert, „von oben herab“, von einem Standpunkt der Überlegenheit aus, gewährt wird. Eine andere, eher zeitgenössische Gefahr sieht die katholische Theologin Regina Polak „in einer pluralistischen Gesellschaft, die vergessen hat, Fragen nach Wahrheit oder Gerechtigkeit zu stellen“: Dann könne Toleranz leicht zu Gleichgültigkeit mutieren.
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Toleranz muss immer auch eine „bleibende Irritation“ aushalten
Das Mittel gegen die Gleichgültigkeit steckt vielleicht schon in der Bedeutung des Wortes selbst, so Regina Polak, denn „Toleranz“ kommt vom lateinischen Wort für „erdulden“ und „ertragen“. Toleranz müsse immer auch „spüren und wahrnehmen“, dass sie eine „bleibende Irritation“ auszuhalten habe – „und daher quasi eine ethische Entscheidung zum Ertragen von mir verlangt“. Wer toleriert, leidet also auch ein Stück weit - denn die Irritation bleibt schmerzhaft.
Darin zeigten sich aber auch die Abgründe des Begriffs, betont die Theologin und Religionssoziologin, „weil nicht jede Erfahrung von Fremdheit, Andersheit oder Unterschiedlichkeit von vornherein zu bejahen ist“. Das heißt: „Ich brauche ethische Kriterien, weil nicht jede Pluralität und die damit verbundene Fremdheit automatisch schon bereichernd ist.“
Toleranz zieht einen Mindestlevel ein
Es gibt also Grenzen - und zwar nicht erst bei der berühmten Frage: „Wie tolerant muss ich gegenüber Intoleranz sein?“ Das stellt aber die Idee noch nicht grundsätzlich infrage, betont Regina Polak, „weil Toleranz ein Mindestlevel einzieht, auf dem Menschen, die nicht bereit sind, sich wirklich vertieft mit dem anderen auseinanderzusetzen, trotzdem halbwegs friedlich miteinander leben können. Aber das ist ein sehr pragmatischer Zugang.“
Gestaltung
- Markus Veinfurter