Hidetoshi Nishijima & Toko Miura

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Murakami-Verfilmung

"Drive my Car"

Literaturverfilmungen haben es gewöhnlich schwer, umso auffallender ist das durchgehende Kritikerlob, das der Spielfilm "Drive my Car" gerade einheimst. Zugrunde liegt dem dreistündigen Kinodrama eine Kurzgeschichte von Haruki Murakami, für die Regie zeichnet der Japaner Ryusuke Hamaguchi verantwortlich.

In Cannes gewann der Film den Drehbuchpreis, Japan hat ihn als seinen Oscar-Kandidaten eingereicht und bei den Golden Globes ist er bereits in der Kategorie bester fremdsprachiger Film nominiert.

Murakami-Spleen

"Von Männern, die keine Frauen haben" heißt der Erzählband von Haruki Murakami, in dem die Kurzgeschichte "Drive my Car" enthalten ist. Protagonist ist ein Theaterschauspieler und Regisseur, der mit einer Drehbuchautorin verheiratet ist, einer Figur mit typischem Murakami-Spleen, ihre Drehbuchideen entwickelt sie nämlich beim Sex.

Ganz plötzlich stirbt die Frau an einem Schlaganfall, eine klare Zäsur im Film, die Regisseur Ryusuke Hamaguchi unterstreicht, indem er erst nach gut 40 Minuten den Vorspann spielt.

Onkel Wanja in Hiroshima

"Ich bin 2013 auf Empfehlung eines Freundes auf Haruki Murakamis Kurzgeschichte ‚Drive my Car‘ gestoßen", so Regisseur Ryusuke Hamaguchi, "und ich fand darin viele Themen, die mir sehr nahe sind: Trauma, Schauspielerei und, wie der Titel schon sagt, Autos."

Der zweite Teil seines Films lässt er in und um Hiroshima. Dorthin wurde der Witwer eingeladen, um Anton Tschechows "Onkel Wanja" zu inszenieren.

Hidetoshi Nishijima & Toko Miura

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Autogespräche

Das Theater stellt ihm eine Fahrerin, eine junge Frau, doch die ist wortkarg und in sich gekehrt und er nützt die Fahrten lieber, um seinen Text zu lernen. So dauert es, bis der trauernde Witwer und die, wie sich bald herausstellt, ebenfalls von Traumata gezeichnete Frau, sich langsam öffnen.

"Autos sind ein guter Ort für intime Gespräche und tatsächlich entwickelt sich zwischen den beiden Figuren im Auto eine große Nähe und das stellt nicht nur das Zentrum der Kurzgeschichte, sondern auch meines Films dar", sagte Regisseur Ryusuke Hamaguchi auf der Pressekonferenz bei den Filmfestspielen in Cannes.

Gesichtslandschaften

"Die unterhaltendste Fläche auf der Erde ist das menschliche Gesicht", meinte Georg Christoph Lichtenberg einmal und auch die spannendste Fläche, möchte man in Bezug auf "Drive my Car" ergänzen, denn wenn aus den versteinerten Mienen der beiden plötzlich Sätze hervorbrechen, sorgt das für Gänsehautmomente der besonderen Art.

Überhaupt kann der Film als eine Erkundung der menschlichen Kommunikation gelesen werden. "Sprechen bedeutet noch nicht kommunizieren und es bedeutet auch nicht, dass man einander versteht", sagt Hamaguchi. "Manchmal kann Sprechen sogar Verständnis verhindern, denn manchmal versteckt sich die wahre Bedeutung hinter den Worten, was aber nur selten im Film gezeigt wird."

Road-Movie im Tschechow-Rhythmus

Genial ist es, wie Hamaguchi die Geschichte seiner Protagonisten mit Szenen aus der "Onkel Wanja"-Inszenierung unterschneidet. Wie er die lethargische Grundstimmung und den plötzlichen Ausbruch von der Bühne auf die Straße hinüberschwappen lässt. Haruki Murakami hat geschrieben, dass er drei Stunden gebannt im Kino gesessen ist und bisher hat sich, betrachtet man den Kritikerspiegel, noch keiner gefunden, dem es anders gegangen ist.

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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