Radka Denemarková

APA/FLORIAN WIESER

Radka Denemarkova

China-Roman "Stunden aus Blei"

Konfuzius und der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, Mao Zedongs Ohr und ein tausendjähriger Kater - in "Stunden aus Blei" finden die unterschiedlichsten Figuren und Anekdoten im Stil des magischen Realismus zusammen. Dass der Roman auch überaus kritisch ist, beweist der Umstand, dass Radka Denemarkova in China mittlerweile Persona non grata ist.

Wie einen Tempel habe sie ihren Roman "Stunden aus Blei" gebaut, erzählt die tschechische Schriftstellerin Radka Denemarkova. Wie einen monumentalen Tempel, möchte man ergänzen, denn das Buch hat weit mehr als achthundert Seiten und dutzende Figuren kommen darin zu Wort.

Ausländer, die in China arbeiten und den Profit über die Moral stellen, Chinesen, die sich mit dem System arrangiert haben, aber auch andere, die von ihm gefressen wurden.

"Ich wollte die Krankheiten dieser Zeit beschreiben", Radka Denemakova

So taucht im Roman eine junge Medizinstudentin auf, eine Figur mit realem Hintergrund. "Diese junge Frau war nett, sensibel und im Alter meines Sohns", erzählt Radka Denemarkova. "Ich hatte damals auch ihre Eltern kennengelernt. Als ich im nächsten Jahr wiederkam, haben sie mir jedoch völlig ungerührt erzählt, dass ihre Tochter einen Fehler gemacht hätte. Sie habe nämlich naiv im Internet etwas Politisches geschrieben, sei daraufhin verhaftet worden und im Gefängnis gestorben."

Lebenslanges Einreiseverbot

2013 hatte eine Lesereise Radka Denemarkova nach Peking geführt, die Widersprüche im Land weckten ihr Interesse, die folgenden Jahre kehrte sie immer wieder zurück, bereiste China und führte zahlreiche Gespräche.

1968 und damit im Jahr des Prager Frühlings und seiner gewaltsamen Niederschlagung in der Tschechoslowakei geboren, war Denemarkova unter einem autoritären Regime aufgewachsen, gewisse Dinge konnte sie da nicht unkommentiert lassen: "Ich habe zwei kritische Essays geschrieben, in denen ich auch Xi Jinping erwähnt habe. Die Texte wurden auch ins Chinesische übersetzt und daraufhin bekam ich ein lebenslanges Einreiseverbot in die Volksrepublik China. Daraufhin habe ich für mich beschlossen, dass mein Roman noch kompromissloser werden sollte."

Buchcover

HOFFMANN UND CAMPE

Zeit, sprich!

Kompromisslos heißt jedoch nicht, dass Denemarkova ihren Roman als Kampfschrift verfasst hat. Als sie ihren Chor aus den verschiedensten Stimmen und Tonlagen dirigierte, ging es ihr um weit mehr. "Für mich ist die Zeit, in der ich lebe, die Erzählerin", sagt Denemarkova. "Ich wollte wirklich die Krankheiten dieser Zeit beschreiben."

Die tausendjährige Philosophenkatze

Trotz seines Titels "Stunden aus Blei" liegt der Roman nicht schwer in der Gegenwart, sondern tänzelt durch Zeiten und Räume. Erzählerische und essayistische Passagen wechseln einander ab. Man liest die Anekdote, dass Maos Leichnam beim Einbalsamieren ein Ohr abgefallen ist, bekommt ein chilischarfes Abendessen und ein paar Seiten weiter ein mehr als tausend Jahre altes Tang-Gedicht vorgesetzt.

Der Maestro in diesem wilden Erzählkosmos ist eine tausendjährige Katze. "Der Kater Pommerantsch lebt schon sehr lange und hat in dieser Zeit die Menschen eingehend studiert", sagt Denemarkova über ihre fantastische Figur. "Er ist belesen, ein Philosoph, aber auch ironisch in seiner Haltung."

Fragen wie Konfuzius

Bei all seinem wilden Wuchern verliert der Roman aber nie seine Grundbewegung aus den Augen, sein neugieriges Bohren, Nachbohren und Weiterbohren, das sich Radka Denemarkova vom chinesischen Paradephilosophen abgeschaut hat: "Konfuzius schätze ich sehr, weil bei ihm alles als Frage-Antwort-Spiel abläuft, wobei jede Antwort eine neue Frage hervorruft. Diese Struktur war auch wichtig für den Aufbau meines Romans."

Fünf Jahre lang hat Radka Denemarkova an ihrem Buch gearbeitet. Sie habe ihren Roman gelebt, sagt sie, was erklären würde, warum "Stunden aus Blei" derart am Puls der Zeit, oder besser, am Puls der Zeiten ist ...

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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