Sitzungssaal, ORF Stiftungsrat

APA/HARALD SCHNEIDER

Der ORF und die Parteien

Eine verhängnisvolle Sideletter-Affäre

Geheime Nebenvereinbarungen von ÖVP, FPÖ und Grünen betreffend Postenbesetzungen im ORF, das haben die ZIB-Redaktion und das "profil" aufgedeckt. Es hat wie eine kleine Bombe eingeschlagen. Alle hatten Grund zur Vermutung, dass es solche Sideletters gibt. Jetzt ist es dokumentiert. Und es ist klar: Das sind zum Teil klar rechtswidrige Aktionen gegen die Unabhängigkeit des ORF. Parteien wollen Einfluss, sie wollen Druck auf die Berichterstattung ausüben können, wenn ihnen die nicht passt.

Der ORF und die Politik, das ist eine Geschichte der Irrungen. Aus den Fängen des Proporzes befreit durch das Rundfunk-Volksbegehren, übernahm Gerd Bacher - und er spielte wie kein Zweiter auf der Medienorgel.

Als Bacher mit Schranz den Kreisky reizte

Als Karl Schranz vor 50 Jahren in Sapporo von den Olympischen Spielen ausgeschlossen wurde, orchestrierte Bacher einen nationalistischen Aufstand. Zehntausende jubelten auf den Straßen, als der Skistar in Österreich landete und zum Ballhausplatz fuhr, wo ihn Bruno Kreisky erwartete. Dem Zeitzeugen Thaddäus Podgorski, Fernsehpionier und Generalintendant, wird heute noch schwummrig, wie er kürzlich in der Ö1-Reihe Leporello erzählte: "Es war wirklich eine gruselige Vorstellung. Und wer dieses Kapitel mit hellem Auge begleitet hat, weiß, was das Fernsehen anstellen kann."

Karl Schranz nach seiner Rückkehr aus Sapporo, 8. Februar 1972.

Ankunft von Karl Schranz am 8. Februar 1972 nach seiner Olympia-Disqualifikation in Sapporo. So groß die Entrüstung über den Ausschluss auch war, wird im Rückblick auf diesen Tag auch klar, wie mächtig Medieninszenierung sein kann.

ORF

Die unbändige Lust auf die größte Orgel

Kreisky was not amused: "Ich werfe dem Generalintendanten des Rundfunks vor, dass er eine unbändige Lust hat, auf der größten Orgel Österreichs so zu spielen, wie es ihm passt." Der SPÖ-Kanzler hat den bürgerlichen Bacher dann abmontiert und einen roten Justiz-Sektionsleiter namens Otto Oberhammer zum ORF-Chef gemacht. Bacher ist wieder gekommen. Die parteipolitische Begehrlichkeit ging nie weg.

"Du es kann sein, dass dich der Schüssel fragt"

Als Wolfgang Schüssel die ÖVP als Drittstärkste zur Kanzlerpartei machte, übernahm er auch den ORF. Der amtierende Generalintendant Gerhard Weis wurde per Gesetz unsanft abmontiert, alles Weitere wurde via ÖVP Niederösterreich geregelt, wie Nachfolgerin Monika Lindner später offen ausgeplaudert hat. Zitat: "Irgendwann hat mich der Erwin Pröll zu sich eingeladen und gesagt, Du, es kann sein, dass Dich der Schüssel fragt, ob Du nach Wien gehen willst."

Aus Anekdoten wurden dokumentierte Listen

Der Anruf von Schüssel kam laut Lindner knapp vor der Wahl im ORF-Stiftungsrat. "Ich habe ja gesagt. Und am nächsten Tag wurde ich über Hintertreppen ins Bundeskanzleramt eingeschleust. Damit mich ja niemand sieht, sonst wäre das gleich in der Zeitung gestanden." Eine Szene, die seinerzeit auch der Rundfunkrechtler Hans Peter Lehofer auf seinem Blog erörtert hat. Lehofer beobachtet das alles schon sehr lange, die aktuellen Enthüllungen über Postenabsprachen und Parteien-Einfluss auf den ORF toppen auch für ihn alles. "Neu ist, dass jetzt tatsächlich Absprachen bekannt geworden sind, dass man nachlesen kann, was hier vereinbart wurde."

Wolfgang Schüssel und Monika Lindner

Wolfgang Schüssel und Monika Lindner, 2002

ORF/MILENKO BADZIC

Kritisch wird es, wenn es zu Verknüpfungen kommt

Die Regierung dürfe Pläne für eine ORF-Reform wälzen, auch geheim, sagt Lehofer. Und der Stiftungsrat könne in seinem Zuständigkeitsbereich Absprachen treffen. "Kritisch wird es dort, wo das verknüpft wird, kritisch wird es dort, wo diese Vereinbarungen von Stiftungsräten mehr oder weniger Einfluss finden in diese Vereinbarungen von den Regierungsparteien, wenn die aufeinander Bezug nehmen oder sich gemeinsam abstimmen. Das ist jedenfalls unzulässig."

"Verhältnis 3:2 für die ÖVP wird festgelegt"

ÖVP, FPÖ und Grüne haben festgeschrieben, wie der Siftungsrat die höchsten Chefposten besetzen darf. Zitat aus dem Sideletter der aktuellen schwarz-grünen Regierung: "Es wird ein Verhältnis von 3:2 für die ÖVP sowie der Generaldirektor für die ÖVP festgelegt." Hans Peter Lehofer sagt dazu: "Es kann nicht sein, dass die Regierungsparteien vereinbaren, wie der Stiftungsrat abstimmen soll. Das ist jedenfalls gesetzwidrig. Es ist genauso gesetzwidrig, wenn Stiftungsrat Mitglieder sich ausmachen, dass sie über Dinge entscheiden, die ihnen von der Kompetenz nicht zukommen."

Norbert Steger wollte nur "das jeweils Beste"

Das betreffe etwa die Besetzung von konkreten programmgestaltenden Mitarbeitern. Genau das haben die Leiter der schwarzen und blauen Freundeskreise im Stiftungsrat, Thomas Zach und Norbert Steger, gemacht: Namenslisten bis hinunter zu Chefredakteuren und Channel-Managern. Das ist großteils umgesetzt worden, der noch bis Mai als Stiftungsrats-Vorsitzender tätige Steger findet nichts dabei: "Tatsächlich war es so, dass wir diskutiert haben - wir können ja auch nur diskutieren - Leute, die wir kennen, und dann gemeint haben, das wäre jeweils das Beste."

Norbert Steger

Norbert Steger

APA/GEORG HOCHMUTH

Alexander Wrabetz und der politische Preis

Im Übrigen seien das auch Wünsche des damaligen Generaldirektors Alexander Wrabetz gewesen, was der nur teilweise bestätigt. Wrabetz gibt aber zu, bei dem Deal dabei gewesen zu sein. Seine Rechtfertigung: um die Zerschlagung des ORF durch Abschaffung der GIS-Gebühr zu verhindern. "Ein politischer Preis, um das Unternehmen aufrecht zu erhalten, wenn man so will, und sich der Unterstützung des Stiftungsrates zu versichern." Wrabetz betont überdies, "dass Einzelne, die auf der Liste stehen, eine ganz starke Unterstützung, also auch politische Unterstützung hatten aus dem Stiftungsrat".

Thomas Zach

Thomas Zach

APA/ROLAND SCHLAGER

ÖVP-Mastermind Thomas Zach spricht nicht

Für den Kenner des ORF-Gesetzes Hans Peter Lehofer ebenfalls problematisch: "Als Journalist des ORF sich bei politischen Abgesandten gewissermaßen im Stiftungsrat dafür einzusetzen, dass man bevorzugt wird, widerspricht der journalistischen Unabhängigkeit und widerspricht letztlich auch dem Gesetz, wo ja klar steht, dass die Bestgeeigneten ausgewählt werden müssen." ÖVP-Freundeskreisleiter Zach, derzeit Herr über die absolute Mehrheit im Stiftungsrat, hat ein Interview zu seiner Mitsprache bei der Besetzung journalistischer Schlüsseljobs abgelehnt. Inhaltlich passt dazu ein anderes Zitat von Ex-ORF-Chefin Monika Lindner: "Der politische Einfluss findet auf der mittleren Ebene statt, auf der Ebene der leitenden Redakteure, Chefredakteure und Chefs vom Dienst, dort, wo über die Inhalte entschieden wird."

Wann, wenn nicht jetzt eine Gremien-Reform?

Rechtliche Schieflagen und parteipolitische Winkelzüge, von denen im Nachhinein viele nichts mehr wissen wollen. Der ORF-Redakteursrat betont, dass es um nicht weniger als den Bruch der Verfassung, die die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks garantiert, und des ORF-Gesetzes gehe. Dieses müsse endlich auch in dieser Hinsicht novelliert werden, so der oberste Redakteurs-Vertreter Dieter Bornemann.

"Ausgewiesene Fachleute als Kontrollore"

Parteipolitische Winkelzüge, von denen im Nachhinein viele nichts mehr wissen wollen. Der ORF-Redakteursrat bekräftigt aber, dass es um nicht weniger als den Bruch der Verfassung, die die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks garantiert, und des ORF-Gesetzes gehe. Dieses müsse endlich auch in dieser Hinsicht novelliert werden, so der oberste Redakteurs-Vertreter Dieter Bornemann: "Was wir fordern, ist, dass es ein neues ORF-Gesetz gibt, das sicherstellt, dass ausgewiesene Fachleute in den Aufsichtsgremien sitzen und dadurch der Einfluss der Parteien zurückgedrängt wird."

Deutsche Öffentlich-Rechtliche sind alarmiert

Notwendig sei eine transparente Postenbesetzung auf allen Ebenen. "Es muss die Qualifikation bestimmend sein und nicht, ob jemand einer Partei zugehörig ist oder zugerechnet wird, sondern was die oder der wirklich kann", so Bornemann. Nicht alltägliche Unterstützung erhielt er aus Deutschland, die Redakteurs-Ausschüsse von ARD, ZDF und Deutschlandradio haben sich zu Wort gemeldet. Zitat aus der Stellungnahme: "Mit Entsetzen blicken wir auf die Vorgänge in Österreich. Die Anstalt muss aus den Fängen der Politik befreit werden." Der Presseclub Concordia spricht von "schamlosen" Sideletters und fordert ebenfalls eine grundlegende Reform der ORF-Gremien.

Karten neu gemischt für den neuen Stiftungsrat

Die Bundesregierung hat am Mittwoch Besserung und Transparenz gelobt, sie kann jetzt schwer argumentieren, wieso gerade beim ORF nicht. Im Mai läuft die vierjährige Funktionsperiode der Stiftungsrats aus, die Mitglieder werden neu entsandt, die Politik könnte den Wahrheitsbeweis antreten. Im Sideletter gibt es eine Vorgabe: "Die Grünen haben das Vorschlagsrecht für den Stiftungsratsvorsitzenden, wenn dieser neu zur Wahl steht."

Lothar Lockl, als Sprecher der Grünen Stiftungsräte logischer Kandidat, macht die aktuelle Diskussion eher unrund. Er habe nicht einmal gewusst, dass das schriftlich fixiert ist, lässt er wissen. Ob er es trotzdem immer noch machen will, das lässt Lockl offen.

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