Akten liegen auf dem Richtertisch im Schwurgerichtssaal des Landesgerichts in Innsbruck

APA/ROBERT PARIGGER

SLAPP - Einschüchterungsklagen

Post vom Anwalt oder vom Gericht

SLAPPs, das sind meist aussichtslose Klagen mit enorm hohen Streitwerten, um Redaktionen und kritische Stimmen einzuschüchtern, sind in den USA schon lange üblich. Auch Einschüchterung durch die Androhung solcher Klagen fällt darunter. Mittlerweile macht sich das auch in Österreich breit.

SLAPP steht für "Strategic Lawsuits Against Public Participation". Das komplizierte Akronym hat nicht zufällig seinen Ursprung in den USA. Dort sind Einschüchterungsklagen gegen Redaktionen und Aktivistinnen und Aktivisten schon länger Teil der bitteren Realität. In Österreich sorgte eine Klage des teilstaatlichen Ölkonzerns OMV gegen die kleine Rechercheplattform "Dossier" für Aufsehen. Journalist Ashwien Sankholkar recherchierte anlässlich der Übernahme der Borealis durch die OMV und stieß dabei, wie er sagt, auf sehr viele "Baustellen". So soll der OMV-Generaldirektor oft mit dem Privatjet geflogen sein – obwohl das eigentlich intern verboten sei. Außerdem entdeckte der "Dossier"-Journalist, dass die OMV einen russischen Fußballverein mit mehreren Millionen Euro sponserte, und niemand das wusste.

Eine Klage zum Christkind

"Der Luxus-Deal des Ölprinzen" war der Titel einer der Dossier-Stories, die für Ex-OMV-Chef Rainer Seele mehr als unangenehm waren. Und dann flatterte die erste Klage ins Haus. Als die Redaktion kurz vor Weihnachten beisammensaß, läutete es an der Tür. Die Reaktionen witzelte noch, dass es wohl eine Klage der OMV sei. Als Chefredakteur Florian Skrabal den dicken Brief des Handelsgerichts Wien öffnete und bestätigte: "Die OMV. Die klagen uns" war dann aber schnell still, erinnert sich Sankholkar. Eine weitere Klage folgte, insgesamt ging es um mehr als 100.000 Euro. Die OMV berechnete die Summe unter anderem anhand der Inserate, die sie nach eigenen Angaben schalten musste, um das angeknackste Image wieder aufzupolieren.

Trotz OMV-Rückzieher blieben die Kosten

Es war wie David gegen Goliath, sagt Sankholkar. Für die über Mitglieder finanzierte Plattform "Dossier" ging es um alles. Nach einem öffentlichen Aufschrei zog die OMV die Klage zwar zurück, aber "halb so schlimm" könne man trotzdem nicht sagen, so Sankholkar: "Weil wir natürlich die Kosten für unsere Rechtsvertretung übernehmen mussten." Und es mache etwas mit einem Journalisten, wenn man auf einmal vor einer existenzbedrohenden Klage steht. Im schlimmsten Fall kann das zur Selbstzensur führen, zu einer Schere im Kopf, die verhindert, dass über gewisse Themen oder Konzerne überhaupt geschrieben wird. "Die Klage der OMV gegen Dossier, das war der Anfang. Ich glaube, dass mehr und mehr Unternehmen, die nicht an Aufklärung interessiert sind, für die die Transparenz irgendwie ein Gift ist, diesen Weg wählen", sagt Ashwien Sankholkar.

ÖVP klagte "Falter" bis zum Höchstgericht

Manchmal ist es auch die Politik, die sich an kritischer Berichterstattung stört. Die Wochenzeitung "Falter" wurde bereits mehrfach von der ÖVP geklagt. Etwa wegen eines "Falter"-Artikels, wonach die ÖVP die Wahlkampf-Ausgaben 2019 bewusst manipulieren wollte. Die Kanzler-Partei ging bis zum Obersten Gerichtshof, blitzte aber in den wichtigsten Punkten ab. "SLAPP-Klagen sind Schurkenmethoden", sagt Thomas Walach. Chefredakteur von "Zackzack". Das Medium von Ex-Politiker Peter Pilz ist auch immer wieder mit Klagen konfrontiert. Etwa vom Gastronomen Martin Ho, der Casinos-Vorständin Bettina Glatz-Kremser oder vom Milliardär René Benko.

Pilz-Medium "Zackzack" im Klagen-Wirbel

Vergangenen Sommer schrieb Walach, dass Thomas Schmid einst zugunsten Benkos Firma Signa beim Kika/Leiner-Verkauf intervenieren wollte, dabei ging es auch um einen angeblichen Insolvenzantrag. Eine eingeholte Stellungnahme der Signa, wonach es einen solchen Antrag nicht gegeben habe, durfte Walach aber nicht veröffentlichen. "Das fand ich schon reichlich seltsam. Und dann wurden wir geklagt, unter anderem, weil wir nicht geschrieben haben, dass laut Signa kein Insolvenzantrag gestellt wurde." Geklagt wurde nicht nur "Zackzack", sondern auch Walach persönlich. Laut eigenen Berechnungen geht es jeweils um rund eine Million Euro, die Signa verlangt. Der Ausgang der Klage ist offen. "Ich schlafe jetzt nicht gut, das ist das eine. Aber wenn das überhand nimmt und zur gängigen Praxis wird, dann werden kritische Berichte über Leute, die sich Klagen leisten können, ganz sicher ganz schnell sehr wenig werden", meint "Zackzack"-Chefredakteur Walach.

Briefe, um Berichterstattung zu unterbinden

Walach schildert noch einen anderen Fall, bei dem es sich seiner Meinung nach ebenfalls um eine Einschüchterung gehandelt habe. Das ehemalige Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank und ÖVP-Großspender Alexander Schütz habe Klagsdrohungen geschickt, nachdem "Zackzack" eine Meldung der Nachrichtenagentur APA veröffentlicht hatte, wonach die deutsche Finanzmarktaufsicht gegen ihn ermittelt hatte. "Das entsprach den Tatsachen, aber da haben wir in einer Woche vier Drohungen bekommen." Auch andere österreichische Medien seien betroffen gewesen. Walach erzählt, er habe Kontakt mit der Anwältin von Schütz aufgenommen, die ihm gegenüber offen gesagt habe, dass die Briefe "Teil einer europaweiten Kampagne gegen negative Berichterstattung über Herrn Schütz" gewesen seien.

"Sie wollen sich wohl schlau fragen"

Die Schütz-Anwälte hegen offenbar eine Art Generalverdacht gegen recherchierende Menschen. Der Wirtschaftsjournalist Reinhard Göweil wollte wissen, warum der Investor Schütz eine Bank in Luxemburg gekauft habe. Im Antwortschreiben der Anwaltskanzlei - der Brief liegt #doublecheck vor - steht geschrieben: "In Hinblick auf Ihre Fragen erlauben wir uns den Hinweis, dass wir den Eindruck gewinnen, Sie wollen sich hier sprichwörtlich schlau fragen." Es folgt eine gepfefferte Belehrung über die Tücken der Verdachtsberichterstattung, dabei hat Göweil ja nur eine Frage gestellt.

Mehr im Gerichtssaal als in der Redaktion

Redaktionen, die teils mit Klagen "zugeschüttet" werden, klagen vor allem darüber, dass die rechtlichen Auseinandersetzungen viel Zeit in Anspruch nehmen. Zeit, die dann für den eigentlichen Job, nämlich Recherche für neue Geschichten, fehlt. Ashwien Sankholkar von "Dossier" formuliert es so: Kritische Journalistinnen und Journalisten werden auf diese Art "beschäftigt".

Anwalt wehrt sich gegen SLAPP-Vorwurf

Der Anwalt Peter Zöchbauer kann vieles an der Aufregung rund um SLAPP-Klagen nicht nachvollziehen. "Die zeitlichen Ressourcen sollte man aufwenden für das Verfassen eines Artikels. Hat man an dieser Stelle Zeit aufgewendet, dann ist es nicht recht viel Aufwand, zu einer Klage Stellung zu nehmen. " Zöchbauer wird in mehreren Fällen als Vertreter von Klägern gegen Medien genannt. Für ihn gehe es aber schlicht darum, legitime Ansprüche durchzusetzen, nicht um Einschüchterung. "Ich führe keine SLAPP-Verfahren. Es wenden sich Personen an mich, die behaupten, dass sie mit bestimmten Inhalten rechtswidrig, wahrheitswidrig herabgesetzt werden." Laut Zöchbauer ist es falsch, Anwälte dafür zu kritisieren, dass sie schlicht ihren Beruf ausüben.

Maria Windhager

Maria Windhager

WINDHAGER

Die Unverhältnismäßigkeit als Knackpunkt

Differenzierter sieht das die renommierte Medienanwältin Maria Windhager. Zu definieren, was SLAPP-Klagen und was berechtigte Versuche sind, sich gegen Berichterstattung zu wehren, sei schwierig. "Der Teufel steckt im Detail", sagt Windhager. Es gehe aber schlussendlich um einen Punkt: Sind die Mittel, um die Ansprüche durchzusetzen, verhältnismäßig oder überzogen? Enorm hohe Streitwerte anzusetzen, vor allem indem man einen immateriellen Schaden heranzieht, sei ein Problem, das zunehmend auch in Österreich zu beobachten sei, sagt Windhager.

Vermehrt direkte Klagen gegen Journalisten

Windhager, die etwa "Dossier" gegen OMV vertreten hat und auch die Anwältin des "Standard" ist, beobachtet zudem mit Sorge, dass es bis vor kurzem noch verpönt war, Journalistinnen und Journalisten privat anzuklagen. "Man ist mit medienrechtlichen Entschädigungsansprüchen gegen den Medieninhaber vorgegangen, aber man hat den Journalisten oder die Journalistin in Ruhe gelassen." Mittlerweile seien Privatanklagen aber keine Ausnahmen mehr. Jüngster Fall: Bundeskriminalamtschef Andreas Holzer klagt den Kabarettisten Florian Scheuba, wegen Übler Nachrede aufgrund einer Kolumne im "Standard". Aus ihrer Beratungspraxis kennt Windhager auch noch eine andere, bedenkliche Entwicklung: Außergerichtliche Abmahnschreiben würden massiv zunehmen. Und dafür gebe es nicht einmal einen Kostenersatz.

Concordia startet Rechtsdienst und Klagsfonds

Dass das vor allem für kleine Redaktionen ein Problem ist, weiß auch der Presseclub Concordia. Helfen soll nun der "Rechtsdienst Journalismus". Journalistinnen und Journalisten werden Rechts-Schulungen, individuelle Beratungen und für den schlimmsten Fall auch Prozesshilfe durch einen Klagsfonds angeboten. Finanziert wird das Programm vom VG Rundfunk, für den Fonds will man künftig auch auf Spenden zurückgreifen. "Der Druck, der ausgeübt wird auf die freie Berichterstattung, nimmt mittlerweile auch in Österreich zu, und da möchten wir eben Journalistinnen unterstützen, damit sie sich da nicht allein gelassen fühlen", sagt der Jurist Walter Strobl von der Concordia.

Die Öffentlichkeit muss wachsam bleiben

Strobl warnt vor Zuständen wie in den USA, wo es sich jene richten können, die die Ressourcen haben. Eine Sorge, die Maria Windhager teilt. Denn eine schnelle gesetzliche Maßnahme, um SLAPP-Klagen den Riegel vorzuschieben, kennt die Expertin nicht. Zwar könnte man sich etwa überlegen, an der Höhe der Streitwerte zu schrauben, was aber jetzt akut am meisten hilft, sei eine kritische Öffentlichkeit, die Stellung bezieht, wenn kritische Medien verklagt werden.

Service

Rechtsdienst Journalismus vom Presseclub Concordia - Unterstützung für betroffene Journalistinnen und Journalisten

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