Autowrack von Daphne Caruana Galizia

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EU-Richtlinie gegen SLAPP-Klagen

Es hat den Mord auf Malta gebraucht

Einschüchterungsklagen gegen Journalistinnen und Aktivisten nehmen in ganz Europa zu. Wer es wagt, gegen die Mächtigen zu berichten, riskiert durch sogenannte SLAPP-Klagen mundtot gemacht zu werden. Bei den Klagen geht es dem Kläger nicht darum zu gewinnen, sondern darum, das Gegenüber mürbe zu machen und finanziell auszubluten. Die EU-Kommission arbeitet an einer Richtlinie, die solche Klagen erschweren soll. Sie hat lange gewartet. Die Zivilgesellschaft und Opfer machen nun Druck.

Ein kleiner Peugeot, zerfetzt durch eine Autobombe unter dem Fahrersitz. Die Journalistin Daphne Caruana Galizia hatte keine Chance. Sie ist 2017 einen grausamen Tod gestorben. Sie wollte Korruption in Malta aufdecken und hatte schon 47 Klagen am Hals.

Menschen demonstrieren in Malta und halten Fotos von Daphne Caruana Galizia hoch

AP/RENE ROSSIGNAUD

Der Moment, als die EU aufgewacht ist

Für die EU war das ein Aufwachmoment, sagt Scott Griffen, stellvertretender Direktor des International Press Institute (IPI) in Wien, eine Organisation, die sich weltweit für Pressefreiheit einsetzt. "Das war der Moment, in dem die Europäische Union gesagt hat, jetzt müssen wir etwas unternehmen." Einschüchterungsklagen gegen Journalisten und Aktivistinnen waren zwar nichts Neues, aber das Problem hatte in Europa noch keinen Namen.

SLAPP: Das Problem beim Namen nennen

"Es hat einen Mord gebraucht, aber ich glaube, es hat auch einen Namen gebraucht. Diese Bezeichnung SLAPP gibt es schon seit längerem in den USA, aber das ist in Europa relativ neu, weil vorher war das nicht wirklich anerkannt als gesellschaftliches Problem oder demokratisches Problem", erklärt Griffen. SLAPP, das steht für "Strategic Lawsuit Against Public Participation". Solche Klagen zeichnen sich dadurch aus, dass es nicht darum geht zu gewinnen, sondern das Gegenüber einzuschüchtern. Durch viele Klagen und hohe Klagssummen. Das Ziel: die Arbeit der Journalisten verunmöglichen. Meistens geht es um gesellschaftlich relevante Themen wie Umweltschutz oder Korruption.

Mitglieder einer europäischen Delegation in Malta

Mitglieder einer EU-Delegation in Malta, 2019.

APA/AFP/ANDREAS SOLARO

Die EU-Mühlen mahlen, aber langsam

Aber die Mühlen der EU mahlen zu langsam. Deshalb sind diese Woche 213.433 Unterschriften auf dem Tisch von Věra Jourová gelandet, sie ist Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für Werte und Transparenz. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Opfer von SLAPP-Klagen fordern, dass die EU endlich etwas gegen Einschüchterungsklagen unternimmt.

Obstbauern gegen Aktivisten: der Fall Bär

Auch das Europaparlament macht seit 2018 Druck auf die EU-Kommission, sagt Sarah Wiener, die für die Grünen im Europaparlament ist. Sie hat zuletzt einen spektakulären Fall in Südtirol beobachtet, der auch Anlassgeber für die Petition war. Der Münchner Umweltaktivist Karl Bär wurde von 1400 Obstbauern geklagt, weil er 2017 auf die Pestizid-Belastung der Äpfel hingewiesen hat. Nach Jahren zermürbender Prozesse hat nun auch der letzte Bauer seine Klage wegen übler Nachrede zurückgezogen.

Klagen als Gefahr für die Demokratie

"Das ist natürlich eine Gefahr für die Demokratie und deswegen ist es wichtig und richtig, dass das Europaparlament die Kommission jetzt zum Dritten Mal auffordert, eine Richtlinie dazu zu machen", sagt Wiener. Einschüchterungsklagen gegen Investigativ-Journalisten kennt man aber hauptsächlich aus Schlagzeilen in Ungarn oder Slowenien oder Bulgarien. #doublecheck hat berichtet. Länder, die dafür bekannt seien, dass sie es mit der Rechtsstaatlichkeit oft nicht genau nehmen, so Wiener.

SLAPP macht sich auch in Österreich breit

"Wir denken immer, dass das weit weg von uns, irgendwo im 'wilden Osten' stattfindet. Aber dass wir bei uns SLAPP-Klagen haben, dass das möglich ist in Österreich, das finde ich schon etwas schockierend", sagt die Europa-Abgeordnete. Im Herbst hat der Rechtsausschuss des EU-Parlaments eine Aufforderung an die EU-Kommission vorgelegt, endlich gegen missbräuchliche Klagen vorzugehen. Eine Richtlinie soll und bis März ausgearbeitet sein. Aber was kann damit erreicht werden? Scott Griffen sagt, Kläger sollen beweisen müssen, dass ihre Klage nicht missbräuchlich ist.

"Oberstes Ziel muss sein, Klagen verhindern"

"Das Wichtigste ist, dass es ein Instrument gibt, diese Klagen von Anfang an abzuweisen vom Gericht. Das Problem ist, diese Klagen sind vielleicht unbegründet, aber das Gericht entscheidet nach einer langen Verhandlung, nach vielen Jahren und in diesen Jahren können diese Journalisten nicht arbeiten." Weil Betroffene dann eben mit Gerichten, statt mit Recherche beschäftigt sind, das meint Scott Griffen. Und weil Prozesse teuer sind und existenzgefährdend sein können. Deshalb solle es auch einen Fonds geben, um Journalisten finanziell zu unterstützen. Und es soll keinen - wie man auf Englisch sagt - "Libel-Tourism" mehr geben, es dürfe also nicht mehr möglich sein, dass sich ein Kläger aussucht, in welchem Land er klagt, um so die Chancen auf Erfolg zu erhöhen.

Bekommen wir eine zahnlose Richtlinie?

Aber bleibt die Richtlinie womöglich zahnlos? Denn Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedsstaaten sind ja bekanntlich schwer durchzubringen, wie auch Sarah Wiener weiß: "Insofern hat die EU da nicht die längsten Finger in der Sache, aber natürlich kann sie das dann kontrollieren. Aber ich glaube, es gilt einfach ein Zeichen zu setzen."

Jedes Land muss auch national handeln

Es gibt noch einen Haken: Die EU kann nicht alle Probleme lösen. Es brauche auch Lösungen auf nationaler Ebene, die solche Einschüchterungsklagen verhindern, sagt Griffen: "Weil die Richtlinie, die kommen wird, wird wahrscheinlich nicht alle Probleme lösen. Da wird es eher darum gehen, wie man vor allem grenzüberschreitende Klagen bekämpft. Aber das ist natürlich nicht bei allen Fällen so gelagert." Der lange Arm der EU reicht hier also möglicherweise nicht weit genug, die Mitgliedsländer müssen auch etwas gegen Einschüchterungsklagen tun - und Farbe bekennen.

Die subtile Einschüchterung im Fall Stribl

Einschüchterungen laufen freilich nicht nur über Klagen, wie ORF-Redakteurin Simone Stribl erst vor wenigen Wochen feststellen musste. Sie hat im Ministerrat an den Innenminister die Frage gestellt: "Was tun sie mit diesen Polizisten, die Sympathien für Verschwörungstheorien und Coronaleugner haben?" Prompt forderte FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker eine Entschuldigung und warf Stribl vor, nicht objektiv zu sein - was ZIB-Chefredakteur Matthias Schrom zurückwies. Der Fall hat auch in der EU für Aufsehen gesorgt, der Europarat hat ihn auf seine "Plattform für die Sicherheit von Journalisten" gestellt.

Regierung muss zum Rapport vor Europarat

Otmar Lahodynsky - bis vor kurzem Präsident der "Association of European Journalists" - hat sich dafür eingesetzt: "Wenn solche Einschüchterungen zunehmen, dann ist die Pressefreiheit wirklich in Gefahr. Es gibt Parteien, die glauben, sie können dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorschreiben, was eine legitime Frage ist und was nicht." Und was nützt es? "Das heißt jetzt, dass der Europarat von der Regierung, in dem Fall von Österreich, eine Art Stellungnahme verlangen wird", sagt Lahodynsky. Möglicherweise noch in diesem Jahr. Die EU schaut also künftig genauer hin, wenn es um die politische Einflussnahme auf Journalisten geht.

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Case EU-weite Organisation gegen SLAPP-Klagen

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