Protestschild gegen Orbans Mediengesetz

AP/BELA SZANDELSZKY

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Wenn immer mehr den Orbán machen

Vorbild Budapest. Immer mehr autoritäre Regierungen, etwa in Polen oder Slowenien, kopieren ungarischen Methoden, um die Pressefreiheit zu vernichten. Zuerst wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf Linie gebracht, dann die staatliche Nachrichtenagentur, dann kaufen Regierungs-Getreue die privaten Medien. Kritiker werden mit Klagen lahmgelegt. Und lächerlich gemacht.

Primož Cirman und zwei slowenische Kollegen wollten wieder unabhängig berichten. Deshalb haben sie letztes Jahr ein neues Medium gegründet, eine Investigativplattform, sie heißt "Necenzurirano", das heißt unzensuriert auf Deutsch.

Ihre große Story: ein Parteifinanzierungs-Skandal. Es geht um einen Kredit über eine halbe Million Euro. Von einer bosnischen Geschäftsfrau. An die Slowenische Demokratische Partei SDS, deren Chef Ministerpräsident Janez Janša ist. Hinter dem Kredit, der kurz vor der Wahl kam, steht aber eigentlich ein sehr guter Freund Janšas. Dieser sei nun sein inoffizieller Berater, erzählt Cirman.

39 Klagen zermürben von oben

Nun hat Cirman 13 Klagen von dem Berater am Hals - für jeweils 13 Sätze - wegen Verleumdung. Seine beiden Kollegen haben auch je 13 Klagen. Insgesamt also 39. Sogenannte "Slapp-Klagen", wie eine Ohrfeige, die nur einen Zweck haben: Kritiker zu zermürben und finanziell zu ruinieren, sagt Cirman: "Sie wollen erzwingen, dass wir zusperren und auf diesem Weg die Geschichte killen - und sie wollen uns in der Öffentlichkeit lächerlich machen - sie sagen wir seien inkompetent und abartig."

Janša hat den slowenischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTV gefügig gemacht und tobt in Trump-Manier auf Twitter, gegen die, wie er sagt, Fake-News der linken Medien, erzählt Cirman. Kritische Journalistinnen habe er als "press-titute" beschimpft - in Anlehnung an "prostitute", seine Kritiker nennen ihn daher "Marshall Twito" - eine Anspielung auf den jugoslawischen Diktator Tito.

Janez Janša und Viktor Orban

Janez Janša und Viktor Orban

APA/AFP/JURE MAKOVEC

„Marshall Twito“ und seine Vorbilder

Gleichzeitig kaufen sich ungarische Oligarchen bei slowenischen Privatmedien ein. Und der staatlichen Nachrichtenagentur STA, die sich nicht zum Regierungssprachrohr machen lassen will, dreht Janšas Mitte-Rechts Regierung den Geldhahn ab - jetzt läuft eine Spendenaktion um sie zu retten. "Wir wissen wo das hinführt. Die Vorlage ist vorgeschrieben - in Budapest", sagt Cirman.

In Ungarn also, wo 80 Prozent der Medien in irgendeiner Form von Ministerpräsident Viktor Orban kontrolliert sind. Cirman fühlt sich im Stich gelassen: "Was bringt uns die EU, wenn sie hier einfach zuschaut? Was sind die europäischen Werte wert, wenn sie so leicht gebrochen werden?"

Gemeinsame Feinde machen stark

Wie Orbáns Fidesz-Partei mit unerwünschten Fragen umgeht, hat die österreichische "profil"-Journalistin Franziska Tschinderle kürzlich erfahren: Sie stellte Fragen an die Fidesz-Fraktion im EU-Parlament und landete daraufhin fünfmal in den Hauptnachrichten des staatlichen ungarischen Fernsehens. Sie wurde als "Amateurjournalistin" diskreditiert, ihre Fragen seien eine "beispiellose Attacke" der linksliberalen Presse. Hasskommentare und Drohungen im Netz folgten. Man wollte ein Exempel statuieren, glaubt Tschinderle: "Was all diese Rechtsparteien zusammenhält, ist ein gemeinsames Feinbild." Und man wollte ein Zeichen setzen, dass auch ausländische Journalisten lächerlich gemacht werden.

Ganz klar, man werde instrumentalisiert, meint Tschinderle. Denn negative Berichte über Ungarn helfen Viktor Orbán. Ein Dilemma, aus dem es nur einen Ausweg gibt: Weiterschreiben, professionell arbeiten und sich ein dickes Fell zulegen. Dabei sei es wichtig, die eigene Arbeit transparent zu machen, sagt Tschinderle. Motto: "Das ist die E-Mail, die ich geschrieben habe, das ist die Antwort, die ich bekommen habe - und dann können Leser und Leserinnen selbst beurteilen, was für eine Kommunikation das war und was dahintersteckt." Tschinderle berichtet in erster Linie vom Balkan, wo viele Länder noch in die EU wollen. Und sie sagt: Wenn die dort sehen, womit Ungarn in der EU durchkommt, werde die Notwendigkeit demokratischer Reformen in Frage gestellt.

Ernst Gelegs

ORF/GÜNTHER PICHLKOSTNER

Ernst Gelegs

Wie wirkungsvoll ist Kritik von außen?

Als Auslandskorrespondentin habe sie auch Einfluss auf die Gesellschaft in den Ländern, über die sie schreibt, weil ihre Berichte übersetzt und diskutiert würden, sagt Tschinderle. Ernst Gelegs, ORF-Korrespondent in Budapest, ist in Ungarn ebenfalls bekannt, vor allem in Westungarn, wo viele Deutsch sprechen und die "Zeit im Bild" schauen. Gelegs sagt aber, er sei nur dem österreichischen Publikum verpflichtet. "Ich habe keine Aufgabe in der ungarischen Gesellschaft."

Seit Jahrzehnten berichtet Gelegs aus Ungarn und Polen. Die EU habe die negativen Entwicklungen zu lange unterschätzt. "Die EU hat nicht damit gerechnet, dass sich osteuropäische Länder zurückentwickeln. Das ist die große Überraschung."

"Dann könnten wir's wie Orban machen"

In Ungarn könnten nur noch knapp 20 Prozent der Medien frei berichten, sagt Gelegs, vor allem im Netz gebe es noch Unabhängige. Vor kurzem etwa wurde der kritische Radiosender "Klubradio" vom Äther genommen und sendet nur noch online. Private Medien wurden nach und nach von Orbán nahestehenden Oligarchen aufgekauft und an Orbán geschenkt. Zum Dank gibt es Gegengeschäfte. In einer Stiftung, die von Fidesz-Getreuen kontrolliert wird, sind nun rund 500 Medien geparkt. Und der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Nachrichtenagentur MTI sind längst auf Regierungslinie.

Eine Medienpolitik, die Bewunderer findet. "Hätten wir die absolute Mehrheit, könnten wir’s wie der Orbán machen", hat der damalige Vizekanzler in der Regierung Kurz, Heinz-Christian Strache, beim Neujahrstreffen der FPÖ 2018 geschwärmt. Im Ibiza-Video hat er die Methoden auf Österreich projiziert: "Kronen-Zeitung" kaufen, "Zack, Zack, Zack" Journalisten auswechseln zum Beispiel. Oder einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte Aufträge zuschanzen. "Das alles ist Realität in Ungarn, so läuft’s seit Viktor Orbán regiert", sagt Ernst Gelegs.

Nachahmer finden sich auch in Polen

Mit Amtsantritt der PIS-Regierung 2015 wurde auch in Polen zuerst der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf Linie gebracht, Chefredakteure ausgetauscht, Berichterstattung über die Opposition fand nicht mehr statt, erzählt Otmar Lahodynsky, bis vor kurzem Präsident der Association of European Journalists (AEJ). Und private Medien wurden ausgehungert.

Lahodynsky nennt ein prominentes Beispiel: die "Gazeta Wyborcza“, zweitgrößte Tageszeitung Polens mit Wurzeln in der "Solidarność"-Gewerkschaft. Ihr habe man alle Regierungsinserate entzogen und alle öffentlichen Abos, um sie finanziell zu schwächen. Weitere Methode: Medien von ausländischen Eigentümern zurück in polnische Hände bringen: So hat etwa der staatliche Ölkonzern Orlen der deutschen "Verlagsgruppe Passau" ihre 140 Zeitungstitel in Polen abgekauft - "Re-Polonisierung" heißt das dann. Doch insgesamt seien die Privatmedien noch wesentlich freier und unabhängiger als in Ungarn, sagt Gelegs.

Wie machtlos ist die Europäische Union?

Die EU ist unter Druck, sie muss sich gegen die demokratischen Rückschritte wehren. Ungarn und Polen etwa stehen ja auch wegen ihrer Angriffe auf die Justiz in der Kritik. Vergangenes Jahr eskalierte der Streit ums EU-Budget, das Ungarn und Polen blockierten. Sie wollten verhindern, dass die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung rechtsstaatlicher Kriterien geknüpft wird - dazu gehört die Pressefreiheit. Der Streit, ob die EU bei Verletzungen weniger Geld auszahlen kann, dauert noch an. Die Frage liegt beim Europäischen Gerichtshof.

Zuständig für das Thema ist die Vize-Chefin der EU-Kommission, Vera Jourova, die letztlich aber nicht viel in der Hand hat, wie Gelegs meint. "Die EU ist machtlos." Das sei keine faire Kritik, entgegnet ihm Kommissionssprecher Christian Wigand. In Brüssel bemühe man sich um Antworten. Das Thema Pressefreiheit sei ein Schwerpunkt geworden.

Rückenstärkung für slowenische Presseagentur

Es gebe jetzt zum Beispiel den Rechtsstaatlichkeits-Bericht für alle Mitgliedsländer, der Diskussionen auslöse. Oder man habe erst kürzlich der slowenischen Nachrichtenagentur STA den Rücken gestärkt. Die slowenische Regierung hatte ihre Finanzierung unter dem Vorwand, das sei nicht EU-konform, in Frage gestellt. Die Europäische EU-Kommission hat die Freigabe der Staatshilfen vor kurzem ausdrücklich genehmigt und demonstrativ befürwortet.

Riegel gegen Einschüchterungsklagen geplant

Vertragsverletzungsverfahren hingegen seien schwer einzufädeln, hier müssten systematische Rechtsverletzungen nachweisbar sein. Ob das zutreffe, werde etwa im Fall des ungarischen "Klubradio" geprüft, hier komme die audiovisuelle Richtlinie ins Spiel. Außerdem habe die EU-Kommission im Rahmen ihres Aktionsplans für Demokratie vor, rechtliche Rahmenbedingungen für mehr Sicherheit von Journalisten zu schaffen. Es soll eine Handhabe gegen Methoden wie die sogenannten SLAPP- also Einschüchterungs-Klagen geben, wie sie der slowenische Journalist Primož Cirman erlebt. Und der Fall Tschinderle liegt beim Europarat, dort muss sich Ungarn jetzt erklären.

Slowenien rückt jetzt ins Scheinwerferlicht

Letztlich spielt Wigand den Ball aber an die Mitgliedsstaaten zurück. Die EU sei kein Watchdog für Grundrechte, die Verstöße gegen die Pressefreiheit könnten nur gemeinsam gelöst werden - mit den Mitgliedsstaaten und deren Bürgern, denn diese bekämen ja, was sie gewählt hätten. Slowenien wird am ersten Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Da kommt das Land in eine Zwickmühle: Man wird sehen, ob im europäschen Scheinwerferlicht dann mehr Zurückhaltung in Sachen Medien-Gängelung angesagt ist – oder ob Janesz Janša es wagt, die entsprechende Diskussion auch auf die europäische Ebene zu heben. Das könnte dann richtig spannend werden.

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