Sebastian Kurz

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Tag der Pressefreiheit

Medien-Freiheit, die sie meinen

Immer am Tag der Pressefreiheit - das ist der 3. Mai - überschlagen sich die Bekenntnisse aus der Politik zur Unabhängigkeit der Medien. Die Realität sieht anders aus: die "Wiener Zeitung" vor dem Aus, keine Reform der Medienförderung in Sicht, mehr Geld für Regierungspropaganda denn je, und konsequente Message Control statt Antworten auf Journalistenfragen. Beobachter meinen, das seien genau die Ingredienzien für den ungarischen, polnischen und slowenischen Weg.

Der Bundeskanzler hat am 3. Mai getwittert: "Gerade in Zeiten der Unsicherheit leisten Medien einen wesentlichen Beitrag, um Desinformation und Verschwörungstheorien entgegenzuwirken und tragen dadurch eine große Verantwortung."

Wie er es mit seiner medienpolitischen Verantwortung hält, hat Sebastian Kurz mit einer Anfragebeantwortung im Parlament zum Thema "Wiener Zeitung" gezeigt, die vor dem Aus steht. Der Schlüsselsatz: "Nicht vom öffentlich-rechtlichen Auftrag umfasst und damit nicht Aufgabe der Republik ist der Betrieb und die Finanzierung einer Tageszeitung." Alle Appelle für den Erhalt der ältesten Tageszeitung der Welt bleiben im zuständigen Kanzleramt offenbar ungehört.

Wiener Zeitung

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Hinterzimmer-Gespräche über ORF-Zukunft

Auch ÖVP-Mediensprecher Axel Melchior hat sich zum Tag der Pressefreiheit geäußert, die Satzbausteine waren die gleichen wie bei Kurz. Zeitgleich ist in der "Tiroler Tageszeitung" ein vielbeachteter Bericht erschienen, wonach Melchior gemeinsam mit dem Medienbeauftragten Gerald Fleischmann - beide sind enge Vertraute des Kanzlers - gerade Hinterzimmer-Gespräche über die künftige Führung des ORF führe. Die Wahl des Generaldirektors ist vom Gesetz her Sache des Stiftungsrats, das betont man auf ÖVP-Regierungsseite auch immer wieder. Die absolute Mehrheit der Kanzlerpartei im ORF-Aufsichtsgremium ist aber zu verlockend für Machtspiele.

Der amtierende Generaldirektor Alexander Wrabetz hat vor dem Hintergrund dieser medialen Diskussion seine Kandidatur für eine vierte Amtszeit offiziell angekündigt. Überraschend ist das nicht gekommen.

"Regierung macht bloße Medien-Wirtschaftspolitik"

Der Medienwissenschafter Fritz Hausjell hat zum Tag der Pressefreiheit festgehalten, dass Medienpolitik immer auch Demokratiepolitik sei. "Die aktuelle Bundesregierung betreibt nicht unabsichtlich eine bloße Medien-Wirtschafts-Politik", sagt Hausjell. Und er meint zum Beispiel die üppige Corona-Sonderförderung mit Vorteilen - wie immer - für die großen Medienhäuser und die viele Millionen kostenden Regierungsinserate ebenfalls mit Boulevard-Schlagseite.

Die Österreicher und das Gespür fürs Normale

Matthew Karnitschnig vom Brüsseler Magazin "Politico", das zur Londoner Economist Group gehört, sagt dazu: "Das ist nicht nachvollziehbar für die meisten Menschen außerhalb Österreichs, weil es das sonst nirgends gibt. Dass erfolgreiche Medienunternehmen vom Staat, vom Steuergeld finanziert werden – das ist ja ein bisschen absurd." Karnitschnig hat zuletzt einen sehr kritischen Artikel mit dem Titel "House of Kurz" verfasst, in dem er die Kalamitäten des ÖVP-Obmanns und seiner Regierung auflistet. Für den Austro-Amerikaner ist der kritische Blick von außen extrem wichtig: "Ich habe leider den Eindruck, dass viele Österreicher das Gespür für das Normale - unter Anführungszeichen - verloren haben."

"Ein altes System, immer ein wenig korrumpiert"

Karnitschnig ist nicht verwundert über das, was gerade alles bei uns aufbricht: "Es ist ein altes politisches System, das immer ein bisschen korrumpiert war." Und weil das aus seiner Sicht so ist, sei auch das Autoritäre, das aus dem Nachbarland Ungarn herüberschwappt, so schleichend gefährlich: "Diese Umwandlung in Ungarn von einer Demokratie zu einem autoritären System, das ist ja nicht über Nacht passiert. Das passiert schrittweise. Und Österreich ist meiner Meinung nach auf gutem Weg dorthin."

Frankreich verbietet Handy-Videos bei Demos

Auch Otmar Lahodynsky, bis vor kurzem Präsident der Association of European Journalists (AEJ), macht die Entwicklung Sorgen. "Das kann auch auf Westeuropa überschwappen. Wie man sieht, in Großbritannien – nicht mehr bei der EU – dort wird auch gerade die ehrwürdige BBC ausgehungert von der Regierung Johnson." Und das gehe weiter.

In Frankreich sei trotz massiver Proteste von Journalisten-Organisationen ein Verbot von Handy-Videoaufnahmen bei Demonstrationen in Kraft getreten, es drohten hohe Strafen. Und ausgerechnet die Türkei, wo Journalisten im Gefängnis sitzen, wird das jetzt nachgemacht. Lahodynsky: "Es sollte nicht immer nur mit dem Finger auf die üblichen Verdächtigen wie Ungarn, Polen und jetzt auch Slowenien gezeigt werden – sondern eben auch einmal auf die französische Regierung."

Die Konsequenzen des Schweigens zu Orban & Co.

Wer schweigt, mache sich mitschuldig, sagt die von den Orbán-Medien in Ungarn wegen kritischer Fragen an die Fidesz-Partei zuletzt so angefeindete "profil"-Journalistin Franziska Tschinderle. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg hat in ihrem Fall protestiert. Nur vom Kanzler, der Orban die Stange hält, ist nichts gekommen. Tschinderle: "Das Schweigen hat Konsequenzen, und das Schweigen von Herrn Kurz ist relativ laut und auffällig. Am Ende bestärkt es auch Ministerpräsidenten, die ein solches System etabliert haben."

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