Buch auf Sitzpolster, florales Muster

ROLAND MAURMAIR

Street-Art-Kunstwerke für den Moment

OTK_Files

Kleine Inszenierungen im Stadtraum, die der Künstler Roland Maurmair in den letzten Jahren gemacht hat, sind in seinem Buch "OTK_Files" versammelt. Kaugummi-Flecken am Boden einer Bushaltestelle hat er mit Kreidestrichen zu Sternenbildern verbunden; der Überwachungskamera in einer U-Bahn-Station hat er ein Bergpanorama vorgehalten; einem Baumstamm hat er Augen und einen Mundschutz aufgesetzt.

Das Buch als Kunst: OTK_Files

Unauffällige, verschmitzte Street-Art-Kunstwerke, die für den Moment existieren und - wenn sie überhaupt wahrgenommen werden - diesen Moment mit Humor und Poesie aufladen. Sein Künstlerbuch „OTK_Files“ ist bei Schlebrügge.Editor erschienen.

Aufgeschlagenes Buch auf Sitzpolster, florales Muster

ROLAND MAURMAIR

Auf dem Cover des Künstlerbuches von Roland Maurmair steht „OTK_Files. Vienna Street Art Projects“ mit weißem Lackstift in Großbuchstaben gekritzelt, ohne sichtbare Bemühung, schön zu schreiben. Der Hintergrund ist eine Straßenszene mit einem vorbeifahrenden PKW. Fast übersieht man, dass am unteren Bildrand aus dem Kopfsteinpflaster ein kleiner grüner Kaktus sprießt. Ein unerwartetes Gewächs in der urbanen Betonwüste.

Mit offenen Augen unterwegs

Andere Fotos zeigen Karotten, die aus Asphaltfugen wachsen; oder Miniaturkühe, die auf Gehsteigritzen grasen. Roland Maurmair entdeckt die Natur in der Stadt dort, wo sie eigentlich nicht sein soll; er weist auf sie hin, indem er sie mit einfachsten Mitteln inszeniert. Etwa wenn er Bäume mit Comic-Augen versieht; oder mit Kreidestrichen aus einem Urinfleck ein Seeufer kreiert. Die Straßen sind sein Ausstellungsraum - street art im Wortsinn eben.

„Wenn man sich als sehender Mensch durch die Stadt bewegt, stößt man auf Sachen, die einen anspringen oder irritieren, und ich habe das Bedürfnis, mich zu äußern. Ob mit Mini-Inszenierungen oder Gekritzel mit Kreide. Die Idee war, Street Art so zu machen, dass sie niemanden stört. Ich halte mich an das ungeschriebene Gesetz, dass man historische Gebäude nicht bekleckert und versucht, möglichst wenig zu zerstören. Vieles, was ich gemacht habe, wird vom Wind weggetragen, oder es nimmt jemand mit wenn es ihm gefällt“, erklärt Roland Maurmair.

Tatort Ottakring

Handlungsort ist der 16. Bezirk in Wien, wo Maurmair jahrelang lebte - OTK steht für Ottakring. Die Arbeiten hätten aber genauso in Barcelona, in Bamako oder in Berlin entstehen können, meint er. Einen gewissen Ortsbezug gibt es aber doch - etwa mit der Serie „Welcome to Barackistan“, in Anspielung auf die Baracken des sogenannten Negerdörfls, einer Siedlung für mittellose Menschen an der Ottakringer Vorortelinie nach dem Ersten Weltkrieg. Maurmair hat Mini-Baracken aus Abfallmaterial gemacht und in Hausecken gestellt; sie könnten gerade einmal eine Playmobil-Familie beherbergen. Auch für die knöchelhohen Wellblechhütten gilt: Einmal aufgestellt, sind sie ihrem Schicksal überlassen - ob sie von einem Windstoß abgetragen oder von einem Straßenkehrer entsorgt werden. Daher habe er das Buch gemacht: um die Sammlung dokumentarischer Fotos in einem Band anbieten zu können, und um die ephemeren Werke in einen dauerhaften Zustand überzuführen.

„Manchmal gelingt es, mit den Arbeiten ein Lächeln zu provozieren, manchmal bringt man die Leute zum Denken“, so der Künstler. Aber es kann auch vorkommen, dass die Arbeit gar nicht bemerkt, sondern übersehen wird? „Natürlich, aber ich habe es gemacht. Für mich ist es erledigt.“

Kunst ohne Beipackzettel

Was viele Künstlerinnen für ihr Werk reklamieren, dass es für sich selbst spricht und keiner Erklärung bedarf, das trifft bei Roland Maurmair zweifellos zu. Allerdings reden wir hier nur von den Street Art Lustigkeiten, die er ins Buch „OTK_Files“ aufgenommen hat. Kunst, die keinen Beipackzettel braucht, um verstanden zu werden. Aber er kann auch anders, „auch komplizierte Sachen muss man manchmal angehen“, meint Maurmair. Das veranschaulicht zum Beispiel sein „Woodpecker“: eine hochtechnisierte Apparatur zum Einritzen von Symbolen und Wörtern in Baumrinden.

„Früher hat man ein Taschenmesser mitgehabt - ich habe jetzt auch immer eines mit, aber viele Leute haben das nimmer; also, früher hat man in Baumstämme, in die Rinde, Herzeln oder Namen eingraviert. Der ‚Woodpecker‘ ist eine Maschine, die via Touchscreen einen Fräskopf bedient, und der fräst das, was man auf dem Touchscreen geschrieben hat, in die Baumrinde rein.“ Anders als ein Klappmesser, ist der „Woodpecker“ eine umständliche und schwere Apparatur, betrieben von einer Autobatterie. „Die Digitalisierung des Herzelschnitzens ist nicht zielführend und niemandem zu empfehlen.“

Installation "Woodpecker"

MAURMAIR

Dass die Digitalisierung unseren Alltag erleichtert, diese landläufige Behauptung verdreht eine umständliche Maschine wie der „Woodpecker“ ins Absurde. Und führt dabei vor, dass das Bedürfnis, überall zu kommunizieren und Nachrichten zu hinterlassen nicht ganz neu ist, aber im virtuellen Raum eine ungeahnte Beschleunigung erlebt hat.

Die Verschränkung natürlicher Prozesse und organischer Materie mit digitalen Tools und neuen Technologien praktiziert der Medienkünstler Roland Maurmair mit spielerischem Forschungsdrang. Überhaupt besteht ein Großteil seiner Arbeit aus Forschung, sagt er. Dabei kann dann eine Fotoserie oder eine Radierung entstehen, eine technisch komplexe Installation oder eben ein Buch.

Roland Maurmair

Roland Maurmair

ORF/SANDRA HERBSTHOFER

Altes Wissen und Augmented Reality

Ein entzückendes Beispiel für die Kombination von haptischer Erfahrung und virtuellem Erlebnis ist das Kinderbuch „Mein erstes Spurenbuch“ (2016): Kleinkinder können die ins Papier gestanzten Pfoten- und Vogelfußabdrücke manuell ertasten; oder man kann die Tiere als dreidimensionale, belebte Wesen mittels Augmented Reality auf dem Buchpapier tanzen lassen. Es funktioniere auf beide Arten, sagt Maurmair, „die archaische Kunst des Spurenlesens gepaart mit virtueller Realität. Altes Wissen mit neuen Technologien zu verknüpfen ist für mich eine spannende Sache.“

Studiert hat Roland Maurmair „Visuelle Medientechnologie“ bei Peter Weibel an der Universität für Angewandte Kunst. Schon damals habe für ihn die Medienkunst bei der Steckdose begonnen, sagt er, also mit dem Grundwissen über elektrischen Strom, mit dem Basteln von Schaltkreisen.

„Das ist natürlich meine Schwierigkeit rezipiert zu werden, weil ich bin kein klassischer Medienkünstler, ich bin aber auch kein klassischer Land Art Künstler. Ich bewege mich zwischen den Welten. Das ist zwar toll, weil ich jegliche Freiheit habe, aber auch eine Bürde, weil ich kein Zuhause habe. Ich bewundere immer Künstlerkolleginnen, die so ihre Leinwand haben, ihre Ölfarben, oder ihr Video mit Sound, und das war‘s. Bei mir schreibt immer die Idee vor, welches Medium ich wähle.“

Service

Roland Maurmair
Schlebrügge.Editor
“Mein erstes Spurenbuch“

Gestaltung

  • Anna Soucek

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