Judith N. Shklar

AMANDA MOTELL

Matrix

Wie fanatische Gruppen kommunizieren

Die US-Amerikanische Linguistin Amanda Montell nimmt die Sprache kultartiger Gruppierungen unter die Lupe.

Gurus, alternative Glaubenssysteme und Sekten haben in Krisenzeiten immer besonders großen Zulauf, das ist nicht neu. Neu ist im Internet Zeitalter, dass ein Guru ohne Gottheit auskommt, dass das Eintreten in einen Kult mit nur einem Doppelklick beginnen kann und alternative Glaubens-Systeme leichter zu finden sind, als je zuvor.

Und - weil sich viel online abspielt, ist das zentrale Werkzeug, mit denen solche Gruppen sich Gefolgschaft aufbauen die Sprache. Diese These verfolgt das Buch „Cultish - The Language of Fanaticism” der US-amerikanischen Linguistin Amanda Montell.

Merkmale kultischer Sprache

Charismatische Anführer fanatischer Gruppen benutzen Sprache als ultimatives Power Tool für systematische Techniken der Bekehrung, der Konditionierung und der Nötigung. Es beginnt mit dem so genannten „Love Bombing“, wo jemand einen bereits beim ersten Treffen mit Liebe und Aufmerksamkeit überschüttet - so als wäre man die wichtigste Person der Welt. So eine Bekehrung hat also selten mit Zwang oder Gewalt zu tun, was man mit dem Begriff Gehirnwäsche unterstellt. Auch terroristische Gruppen arbeiten am Anfang der Rekrutierung mit dem „Love Bombing“.

Aber genauso schnell, wie man mit Liebe überschüttet wird, wird sie einem auch wieder entzogen - hier setzt die Konditionierung und am Ende die Nötigung ein. Und nicht zufällig ähnelt das den Mustern, nach denen auch Gewaltbeziehungen funktionieren, sagt Montell: „Und dann arbeitet man ständig darauf hin, wieder so behandelt zu werden wie am Anfang. Aber in Wirklichkeit war das nur eine Manipulationstechnik, um einen hineinzuziehen.“

"Alle anderen sind dumme Schlafschafe oder sind eben noch nicht spirituell erwacht.“

Ist man erst mal drinnen, wird eine wir vs. sie Rhetorik aufgebaut: Die Anhänger:innen sollen glauben, sie hätten alle Antworten, der Rest der Welt sei dumm und minderwertig. Dafür braucht man keinen charismatischen Prediger mehr, das funktioniert auch mit Verschwörungserzählungen, sagt Katharina Nocun: „Und damit geht natürlich auch eine starke Aufwertung des eigenen Selbst einher. Man hält sich für etwas Besonderes, man hat den Durchblick.“

Die Verschwörungsexpertin schreibt gerade mit ihrer Kollegin Pia Lamberty an einem Buch zur Verschmelzung von Esoterik und rechten Ideologien und kennt die sprachlichen Muster, die auch in kultisch vorkommen: „Dann gibt es natürlich auch zahlreiche Abkürzungen oder spezielle Code-Wörter, die einem das Gefühl geben, man ist ein Fachmann. Man hat sich so weit eingearbeitet, dass man diese ganzen Abkürzungen kennt und das ist sozusagen auch eine gemeinsame Sprache, die auch eine gemeinsame Identität schafft.“

Dissens und Hinterfragen nicht erwünscht

Dieser Insider-Jargon ist auch hervorragend dazu geeignet, zu zeigen, wer dazu gehört und wer nicht. Wer den Jargon nicht verwendet, wird schnell als potenzieller Unruhestifter identifiziert. Denn Widerstand und Dissens halten diese Gruppen selten aus. Wer etwas infrage stellt, fliegt schnell aus dem Telegram-Channel hinaus, sagt Nocun.

„Es ist was es ist“.

Um jegliches Hinterfragen im Keim zu ersticken, benutzen fanatische Gruppen das so genannte „thought terminating cliche“ sagt Amanda Montell. Ins Deutsche lässt sich das nur unelegant übersetzen als ein „das Denken stoppende Klischee“, auch bekannt als semantisches Stoppschild. Es sind abgedroschene Aussagen, die man sich leicht merken und wiederholen kann und die darauf abzielen, Denken oder Hinterfragen abzustellen. Solche semantischen Stoppschilder begegnen auch uns im Alltag, es sind Sprüche wie: „Es ist was es ist“ oder „Alles geschieht aus einem Grund“. Ironischerweise ist auch das Bild der Gehirnwäsche eines: sobald ich jemandem vorwerfe, er sei doch nur manipuliert, wird jede sinnvolle Diskussion im Keim erstickt.

Religiöse Gruppen geben ihren Mitgliedern außerdem oft neue Namen. Umgekehrt werden auch Feinde mit besonderen Namen versehen - populistische Politiker:innen machen das übrigens auch gerne, man denke an Donald Trumps Denunziation seiner Lieblingsfeindin als „crooked hillary“.

Und das alles - fetzige Namen für Feinde, schwer fassbare Akronyme, insiderische Mantras - das erzeugt Kameradschaftsgeist und eine emotionale Bindung. Und genau deswegen funktioniert die Strategie auch online so gut - ohne dass man jemals physisch einem kultischen Anführer begegnet sein muss oder an einem abgeschiedenen Ort mit Kutte oder rasiertem Kopf lebt.

Die Kulte, denen wir alle folgen

Mit insiderischem Jargon und Klischees, die vom Denken abhalten, formt man eine In-Group und eine Out-Group und stellt das Nachfragen ab. Und genau diese rhetorischen Tricks funktionieren nicht nur seit Jahrzehnten bei religiösen und anderen Randgruppen - sondern sind mittlerweile auch in ganz anderen Zusammenhängen angekommen. Ein Beispiel ist die Arbeitskultur - wo etwa in Startups die schlechte Bezahlung und Selbstausbeutung mit einer fast religiösen Firmenidentifikation verschleiert wird.

Andere moderne Kulte sind verschiedene Fitness- und Wellness-Zirkel von Yoga bis Crossfit - wo man sich von Kaloriensünden mit Schweiß reinwäscht und wo man das Selbst - oder den inneren Schweinehund - mit Verausgabung überwinden möchte. Für viele Millenials wäre das Teilnehmen an einer tatsächlichen religiösen Zeremonie wohl ein wenig zu abgedreht - aber ein bisschen Wellness-Esoterik gewürzt mit Ehrgeiz geht sich laut Amanda Montell aus.

Und nicht zuletzt sind soziale Medien selbst der ultimative Kult, bei dem wir alle mitmachen, sagt Amanda Montell: wo Influencerinnen ihre Gefolgschaft versammeln, wo unsere Dopaminrezeptoren mit Likes und Aufmerksamkeit gefüttert werden und der Algorithmus uns in eine Echokammer hineinschickt - wo wir keinen Inhalten mehr begegnen sollen, die unserem Weltbild entgegenstehen.

Bin ich in einem Kult?

Eine Faustregel gibt es, um zu überprüfen, ob man gerade in eine kultartige Gruppierung hineingezogen wird: Wenn man am Ende der Fitnessklasse, der Meditationszeremonie, dem Mitschimpfen in einem Online-Forum wieder problemlos aus dieser Welt aussteigen und seine Alltags-Identität annehmen kann, dann ist das ein Zeichen für eine eher ungefährliche Gruppe, sagt Amanda Montell. Denn alle seriösen Gemeinschaften werden es einem erlauben zwanglos dabei zu sein und noch andere Einflüsse im Leben zu haben.

Gestaltung: Irmgard Wutscher

Service

Amanda Montell, "Cultish: The Language of Fanaticism", Harper Collins

Katharina Nocun und Pia Lamberty, "Gefährlicher Glaube - Die Gedankenwelt der radikalen Esoterik", Lübbe. Erscheint im Herbst 2022

"Sounds like a Cult" – Podcast von Amanda Montell & Isabela Medina-Maté
On Cults, Language, and Social Science – Talk mit Amanda Montell

Gestaltung

  • Irmi Wutscher