Thomas Wally

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Neue Musik auf der Couch

György Ligeti: Streichquartett Nr. 1

(Métamorphoses nocturnes, 1953-54)

Über dem tiefstmöglichen Ton des Streichquartetts, dem großen C des Violoncellos, beginnt sich eine chromatische Linie emporzuwinden, wenig später fächert sich diese Linie in einen dreistimmigen Satz, in sogenannte Ganztonmixturen auf: ein fahler Klangteppich, der die Grundlage für ein expressives Thema in der 1. Violine bildet. In diesen ersten Takten des Quartetts ist auch schon die musikalische Grundidee des Werkes enthalten: "Der intervallische Grundgedanke, der immer anwesend ist, doch stets in neuer Transformation, besteht aus zwei großen Sekunden, die um einen Halbton versetzt einander folgen", so György Ligeti.

Zeit-Ton | 01 02 2022 - Thomas Wally erklärt eine "aufsteigende Ganztonmixtur"

In den Worten Ligetis handelt es sich bei den "Métamorphoses nocturnes" nicht um Thema und Variation, sondern um die ständige Neuverarbeitung eines Grundgedankens: "Das erste Wort des Untertitels bezieht sich auf die Form: es handelt sich um eine Art Variationsform, nur gibt es kein "Thema", das dann variiert wäre, sondern es erscheint ein und derselbe musikalische Grundgedanke stets in neuen Formen - deshalb eher "Metamorphosen" als "Variationen"."

Klassiker des 20. Jahrhunderts

Das Werk ist einsätzig, enthält aber viele deutlich voneinander getrennte Passagen, die eine Vielzahl an Charakteren und Ausdrucksmöglichkeiten enthalten. "Man kann das Quartett als einsätzig auffassen oder auch als eine Folge von vielen kurzen Sätzen, die ohne Pause ineinander übergehen oder einander abrupt ablösen." Immer ist der Grundgedanke präsent, allerdings nicht immer wahrnehmbar - zu weit hat sich dann im Zuge der Metamorphosen der musikalische Schmetterling von der Raupe entfernt.

Seit der Uraufführung im Jahr 1958 in Wien hat sich das hochvirtuose Werk als Klassiker des 20. Jahrhunderts im Streichquartettrepertoire etabliert.

Gestaltung

  • Rainer Elstner

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