ORF/JOSEPH SCHIMMER
Neue Musik auf der Couch
Witold Lutoslawski: Streichquartett
Das Streichquartett des polnischen Komponisten Witold Lutoslawski aus dem Jahr 1964 zählt nicht nur zu den wichtigsten Werken der Aleatorik, sondern kann als Meilenstein der Streichquartettgeschichte betrachtet werden.
2. März 2022, 23:03
Uraufgeführt ein Jahr nach der Entstehung vom LaSalle String Quartet, zeichnet sich diese Komposition unter anderem dadurch aus, dass über weite Strecken die einzelnen Stimmen nicht exakt synchronisiert sind. "Jeder Spieler soll seine Stimme so spielen, als wäre er alleine", lautet eine Spielanweisung.
Zeit-Ton | 02 03 2022 - Thomas Wally über Lutoslawskis Streichquartett
Ein dichtes Netz von Signalen und Koordinationspunkten zwischen den Stimmen gewährleistet, dass sich die Stimmen nicht zu weit voneinander entfernen. "Warte, bis alle fertig sind", heißt es zum Beispiel an einer bestimmten Stelle in der Cellostimme; "Gehe sofort weiter nach dem Fortissimo-Pizzicato-Akkord des Violoncellos" ist in den beiden Mittelstimmen zu lesen. Das Stück ist weitgehend ohne traditionelle Partitur notiert.
Möge der Hörer hineinwachsen
Formal gesehen ist das Werk zweisätzig konzipiert. Einem Einleitungssatz, dem "Introductory Movement", folgt der Hauptsatz, "Main Movement" genannt. Der Einleitungssatz ist nicht nur deutlich kürzer als der Hauptsatz, er ist auch in seinem Gesamtcharakter vorbereitend. Lutoslawski zufolge soll dieser Einleitungssatz dazu dienen, "den Hörer zu interessieren und zu engagieren", so dass er in die Klangereignisse "hineinwächst"; ihn aber auch "unbefriedigt" lassen und für ein weiteres, größeres Quantum Musik aufnahmebereit machen."
Klanglich betrachtet entsteht durch die oftmalige, nicht exakt koordinierte Überlagerung ähnlicher Bewegungsformen der Höreindruck von Schwarmgebilden. Die Assoziationen können hier von durcheinander wirbelnden Molekülen über klagende Menschen bis hin zum Durcheinandersurren insektenartiger Wesen reichen. Dieser spezielle Klangcharakter war auch der Grund für Lutoslawski, die Kompositionstechnik des sogenannten aleatorischen Kontrapunkts anzuwenden: "Das Ziel meiner Bestrebungen war lediglich ein bestimmtes klangliches Resultat. Dieses Resultat - speziell was Rhythmik und Ausdruck angeht - ist auf keinem anderen Weg zu erreichen."
Gestaltung: Thomas Wally