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Zeit-Ton
Wolfgang Rihm zum Siebziger: zwei neue Bücher
Der bedeutende deutsche Komponist Wolfgang Rihm feiert am Sonntag, 13. März 2022 seinen 70. Geburtstag. Zwei Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt tragen dem Ereignis Rechnung, sie stammen von renommierten Stimmen der deutschen Musikkritik: Eleonore Büning und Frieder Reininghaus. Beide sind mit Rihm und seinem Schaffen nahezu ihr ganzes Berufsleben lang vertraut. Zugang und Sichtweise sind allerdings grundverschieden.
9. April 2022, 02:00
Zwei Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt befassen sich aus Anlass des 70. Geburtstags von Wolfgang Rihm am 13. März 2022 gründlich mit Person, Werk und Wirkung des Komponisten - aber auf ganz unterschiedliche Weise.
Wolfgang Rihm. Über die Linie
"Wolfgang Rihm. Über die Linie" (Benevento) etwa ist eine regelrechte Biographie – und Rihm selbst hat sich die Autorin dafür ausgesucht: die mit ihm befreundete Musikwissenschaftlerin und Kritikerin Eleonore Büning. Der Grundstrang des Buches ist tatsächlich eine lineare Lebensbeschreibung, basierend auch auf vielen Gesprächen mit ihm. Büning erweitert das durch ausgiebige Blicke auf das Schaffen, und sie beleuchtet die Rezeption, das Echo in der Kritik, die Meinungsbildung bei Presse und Publikum. Ihrem geschmeidig fließenden Erzählton folgt man auch gerne auf vermeintliche Abwege und musikalische Ausblicke. Das dadurch entstehende Mäandern wirkt aber von Schritt zu Schritt logisch und naheliegend.
Die Autorin vermittelt nicht nur den Eindruck, selbst den Überblick über Rihms mehr als 600 Kompositionen zu haben (was sie übrigens rundheraus abstreitet), sie ermöglicht der Leserin und dem Leser Orientierung und weiß für Rihms Tonsprache(n) zu plädieren, ohne unangenehm laut zu werden. Ein längeres Interview lässt dann Rihm wie Büning sozusagen live zu Wort kommen; nicht zuletzt eine Diskographie rundet den Band ab.
Rihm. Der Repräsentative
Blickt uns Rihm auf dem Titelbild von Bünings Buch halb skeptisch, halb verschmitzt von einer Parkbank aus entgegen, ist das Cover der zweiten Neuerscheinung nicht minder bedachtsam gewählt: Wolfgang Rihm wie bei einem Casting für einen Beethoven-Film, mit wirrem Haar, gesenktem Blick und herabgezogenen Mundwinkeln. Ein Schnappschuss aus Donaueschingen 1987 – und ein einflussreiches Tool in der Rihm-Rezeption.
"Rihm. Der Repräsentative" (Königshausen & Neumann) heißt die Monographie von Frieder Reininghaus, auch er einer der renommiertesten Vertreter einer musikwissenschaftlich fundierten Musikkritik. Auf den ersten Blick geht er gleichfalls chronologisch vor und betrachtet Rihms Werdegang durch sieben verschiedene "Zeitfenster". Dabei dringt auch er immer wieder in musikalische Details ein, aber im Gegensatz zu Büning sucht er nicht die kontinuierliche Erzählung, sondern arbeitet bewusst kaleidoskopisch, mosaikhaft. Die Fülle an verarbeitetem Material beeindruckt durch Quantität ebenso wie durch Qualität, also inhaltliche Treffsicherheit. Reininghaus nimmt bewusst einen angemessenen Abstand zu Rihm ein, den er auch weniger von privater, wohl aber von persönlicher Seite, vor allem aber vom öffentlichen Blickwinkel aus betrachtet. Noch viel mehr als bei Büning stehen dabei immer wieder auch die schier unüberblickbaren Schriften des wortgewaltigen, wortgewandten Rihm im Fokus: Nicht selten spießt Reininghaus gestelzte Äußerungen des Komponisten mit zielgenau spitzer Feder auf
Ihn interessiert vor allem das früh gepflegte Image des Widerständigen in Verbindung mit hoher Anpassungsfähigkeit an die Mechanismen und Bedingungen des Musikbetriebs und seiner Institutionen, des so genannten Erfolgs – und immer bettet Reininghaus es ein in soziale, kulturelle, gesellschaftspolitische und ökonomische Panoramen des jeweiligen Zeitabschnitts, in einem Deutschland vor und nach der Wende. Dass da Unergründetes, Unergründliches übrigbleibt, liegt in der Natur der Sache. Es kann vorkommen, dass man bei Reininghaus’ manchmal kühnen, sprunghaften, aber stets erhellenden Gedankenverbindungen innehalten und zurücklesen muss, um sie zu erfassen. Dann aber tut man es gewöhnlich mit einem befriedigten Schmunzeln. Um Conrad Ferdinand Meyer zu paraphrasieren: Hier ist ein „ausgeklügelt Buch“ über einen „Menschen mit seinem Widerspruch“ gelungen.
Beide Bände zusammen ergeben jedenfalls ein Rihm-Bild in Stereo.
Text: Walter Weidringer
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Eleonore Büning, "Wolfgang Rihm. Über die Linie. Die Biographie", Benevento
Frieder Reininghaus, "Rihm. Der Repräsentative", Königshausen & Neumann