
APA/ORF/ARTE
Klassik-Treffpunkt
Regisseur Michael Haneke feiert 80. Geburtstag
Im Dialog zwischen Michael Haneke, dem Wiener Musikverein und dem Österreichischen Filmmuseum ist anlässlich seines 80. Geburtstags am 23. März ein mehrtägiges Programm entstanden, in dem ausgewählte Filme des Regisseurs und Drehbuchautors mit Konzerten kombiniert werden, die musikalische Aspekte in Hanekes Schaffen sowie seine Leidenschaft für die Musik aufgreifen.
18. April 2022, 02:00
Filmregisseur und Drehbuchautor Michael Haneke ist eine prägende Persönlichkeit des europäischen Films. Seine Spielfilme, unter anderem Die Klavierspielerin, Funny Games, Caché, Das weiße Band und Liebe wurden vielfach preisgekrönt; Haneke gewann einen Oscar, zwei Goldene Palmen in Cannes, zwei Golden Globes und mehrere Europäische Preise.
Das mag überraschen, denn sein Werk ist sowohl Zumutung als auch Herausforderung für sein Publikum. Der Spagat zwischen Kunst und öffentlicher Anerkennung scheint in seinem anspruchsvollen, kompromisslosen Werk gelungen zu sein. Haneke verweist auf "sein" Kino, das er durchaus als moralische Anstalt betrachtet: "Ich fühle mich gar nicht so unwohl, wenn man mich einen Moralisten nennt. Wenn man diesen Begriff richtig versteht, dann ist jeder, der sich künstlerisch äußert, ein Moralist."
Ein stolzer Zorn
Haneke treibt nicht nur seine Gesellschaftsanalyse, sondern auch eine gewisse Empörung, ein stolzer Zorn, mit dem er seine Filmkunst der Verkommenheit der Gesellschaft entgegensetzt. Das reicht von der einfachen Dokumentation einer Supermarktkassiererin bei der Arbeit - eine Kameratotale von oben, die ihre abgehackten, repetitiven Bewegungen zeigt, deren Betrachtung tiefes Unbehagen auslöst, bis zu jenen Sequenzen in seinen Filmen, in denen Haneke uns, das Publikum, selbst zum Überwacher macht, indem er uns zwingt, durch eine Überwachungskamera zu blicken, und wir dadurch der kalten Optimierung des Blicks - als würde man durch ein Zielfernrohr sehen - hilflos ausgeliefert sind.
Bei all der Intensität kann man leicht eine andere Qualität, die Hanekes Filme auszeichnet, übersehen - sie vielleicht auch aufgrund der bedrückenden Atmosphäre in vielen seiner Filme vergessen. Vor allem in seinen späteren Arbeiten ist eine verhaltene zwischenmenschliche Zärtlichkeit zu spüren, weniger als Lichtblick, sondern als notwendiger Teil der von Haneke erlebten Wirklichkeit; wichtig genug, sie nicht aus seinen Filmen auszuschließen.

WEGA FILM/STEFAN HARING
Die Bühne befindet sich im Kopf der Zuschauenden
Ernsthaftigkeit und Moral gelten heute als uncool und antimodern, sagt Haneke. In seinem Werk begegnen wir einer hochkomplexen medialen Verschränkung von Gedanken, Texten, interagierenden Personen und dem Auge der Kamera. Doch die eigentliche Bühne befindet sich im Kopf der Zuschauenden. Haneke adressiert das Publikum mit der Aufforderung zum Selbstdenken, zum Sich-selbst-ein-Bild-Machen, um es auf seine aktive Rolle in dieser Spielanordnung aufmerksam zu machen.
"Wenn ich jemanden schon vergewaltige, was ich als Filmemacher automatisch tue, dann möchte ich ihn wenigstens zur Selbständigkeit vergewaltigen, sodass er vielleicht beginnt, ein wenig über seine Rolle in dem Spiel nachzudenken."