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Matrix
Der Kampf um Narrative
Mit dem Ukraine-Krieg ist die Hackergruppe Anonymous wieder aus der Versenkungen aufgetaucht und hat Russland den Cyberwar erklärt. In den Sozialen Medien tobt ein Kampf um die Hoheit über die Kriegserzählung. Mythen und Heldengeschichten stehen neben Desinformation und Memes.
17. April 2022, 02:00
2,969,600 Menschen sind seit Kriegsbeginn aus der Ukraine geflohen. Diese Zahlen hat die UNHCR auf ihrem Operational Data Portal am Dienstag veröffentlicht. Zahlen, die das Hochkommissariat der Vereinten Nationen täglich aktualisiert. 3,063,095 Flüchtlinge sind es tags darauf, am Mittwoch.
Einen Mausklick entfernt, auf sozialen Medien, schließen sich Menschen zusammen, um Flüchtlinge zu unterstützen. Bilder und Videos von Kämpfen, fliehenden Menschen und zerbombten Gebäuden und Spitälern begleiten das Online-Geschehen auf TikTok, Instagram, Facebook und Twitter.
Einen weiteren Mausklick entfernt liefern sich Hacktivistinnen und Hacktivisten einen Schlagabtausch und nutzen alle digitalen Mittel um der jeweils anderen Seite zu schaden. Mythen und Heldengeschichten reihen sich nahtlos an Desinformationen und Memes, während staatsnahe spezialisierte Hacker-Gruppen aus den Schatten des Internets heraus versuchen, das Kriegsgeschehen zu beeinflussen.
Information war
Der „Information war“, der Kampf um die Deutungshoheit über das Narrativ, wurzelt in den 1990er-Jahren. Unter anderem „die Kunst des Krieges“, das Werk des chinesischen Militärstrategen Sun Tsu sollte belegen, dass der Kampf um Informationen den Höhepunkt jeder Kriegsführung darstellen würde. Eine Vision, die zunächst scheiterte, da es keine einheitliche Theorie zur Informationskriegsführung gab. Und somit keinen Grund, Streitkräfte so zu organisieren, als ob es sie gäbe.
Angesichts der heutigen digitalen Bedingungen, wo soziale Medien Massen beeinflussen können, stellt der Informationskrieg, als Teil einer Strategie, ein bedeutendes Element dar, um kinetische militärische Operationen zu unterstützen, erklärt Dr. Matthias Schulze, der Stellvertretende Forschungsgruppenleiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik: „Information-war beschreibt in etwa den Versuch, die Gedanken einer Ziel-Population zu manipulieren und zu beeinflussen, dass sie sich zum Beispiel auf eine Seite schlagen oder dass sie sich gegen den Antagonisten wenden. Das sehen wir gerade sehr exemplarisch in dem, was die Ukraine in diesem Konflikt macht, - die sehr gut darin ist, strategisch zu kommunizieren, um etwa internationale Mobilisierung auf Seiten der Ukraine zu befürworten, Waffenlieferungen zu ermöglichen, eventuell eine NATO-Flugverbotszone zu etablieren, einfach um sich vor der Übermacht der russischen Armee zu schützen.“
Dass die russische Propaganda vergleichsweise ins Leere läuft ist auch spezialisierten Medien, NGOs und Investigativ-Plattformen zu verdanken, die sich auf Faken-Checks spezialisiert haben. Immer bessere Tools, um zum Beispiel zu überprüfen, ob ein Bild oder Video nachträglich manipuliert worden ist, tragen ihren Teil dazu bei, um etwa Verschwörungstheorien im Keim zu ersticken.
Die Wurzeln der Desinformationskampagnen
Ein eigenes Wort, „active measures“ beschreibt das strategische Konzept Russlands, um Informationskriege für sich zu entscheiden. Ein Potpourri aus Desinformation, Propaganda, Fälschung und – in einigen Fällen auch Attentaten. „Active measures“ wurzelt im russischen Sprachgebrauch hat und erst in den späten 1970-Jahren seinen Weg ins Englische findet, wie der Autor Aaron Brantly in seiner Arbeit „a brief history of fake, surveying Russian disinformation from the Russian Empire through the Cold war and tot he present“ erläutert. Die Taktiken der modernen russischen Geheimdienste lassen sich bis zur Geheimpolizei der Zaren, die als Okhrana bekannt war, zurückverfolgen. „‘Active measures‘ stellen eine verwirrende Herausforderung für liberale Demokratien und Gesellschaften dar, deren moralische, ethische und rechtliche Auflagen eine derartige Kreativität und Risikobereitschaft ihrer Nachrichtendienste einschränken.“, fasst Brantly den russischen „Maßnahmenkatalog“ zusammen.
Wie komplex und perfide derartige Kampagnen vonstattengehen können, hat unter anderem der estländische Forscher Vladimir Sazonov während der Annexion der Krim dokumentiert und analysiert. 2016 veröffentlichte er seine Forschungen unter dem Titel: „War of words, words of war“ in der estnischen Zeitschrift für Militärstudien. Sazonov: „Wenn Ukrainer als Freiwillige in den Krieg zogen, oder eingezogen wurden, bekamen Angehörige kurz darauf eine SMS, die vorgab, von der ukrainischen Regierung zu sein. Darin stand sinngemäß dass man bedauere mitteilen zu müssen, dass der Mann, der Sohn, oder der Enkel gefallen sei. Oft mit einem manipulierten Bild, das einen Beweis darstellen sollte. Das war natürlich ein Fake, aber nicht sofort überprüfbar, da der Angehörige im Kriegsgebiet natürlich nicht telefonisch erreichbar war.“
Information war; eine erste Bilanz
Die Russischen Desinformationskampagnen, die den Krieg begleiten gehen derzeit ins Leere oder treffen auf digitale Gegenwehr. - Begleitet von EU-Sanktionen etwa gegen „Russia Today“ und „Sputnik“, die am 2. März in Kraft getreten sind. Auch Versuche, Videos, die mit der Hilfe von Künstlicher Intelligenz manipuliert worden sind, werden rasch entdeckt. Am 16. März verkündet etwa Meta, dass sie ein Deepfake-Video aus Facebook entfernt haben, das den ukrainischen Präsidenten Zelensky bei der Abgabe einer Erklärung zeigt, die er nie abgegeben hat.
Die Ukraine kann indes, zumindest online, einen Erfolg nach dem anderen verbuchen. Nach einem Aufruf des Ministers für digitalen Wandel haben sich fast 310.000 Menschen auf dem Telegram-Kanal „IT-Army of Ukraine“ eingefunden. Dort bekommen sie ihre digitalen Ziele, wie etwa eine Liste von Youtube-Videos, die Falschnachrichten verbreiten, und die sie melden sollen.
Ein Tweet des ukrainischen Ministers für digitale Transformation an den Tech-Milliardär Elon Musk bliebt ebenfalls nicht unbeantwortet. Musk schickte umgehend Terminals für seinen Internet-Satelliten-Dienst Starlink. Auch aus militärischer Sicht hat die Ukraine zumindest den Informationskrieg aus heutiger Sicht für sich entscheiden können, so Oberstleutnant Volker Kozok von der deutschen Bundeswehr. „Das heißt das das Narrativ, dass die Russen auch gerade über ihre Medien transportieren wollen, vom Befreiungskrieg quasi die russische Seele, die Vereinigung der Slawen, nicht funktioniert, weil die Ukrainer nicht mitspielen. Und weil tatsächlich der Westen von den Russen gelernt hat. Das heißt, im Moment beherrschen wir die Narrative, wir beherrschen die Diskussion und es ist begrüßenswert zu sehen, dass die Cyber Aktivisten jede Möglichkeit nutzen, um Informationen über den tatsächlichen Kriegsverlauf in die Medien reinstellen.“
Gestaltung: Sarah Kriesche
Service
UNHCR - Operational Data Portal
Stiftung Wissenschaft und Politik
„a brief history of fake, surveying Russian disinformation from the Russian Empire through the Cold war and tot he present“
Vladimir Sazonov
EU-Sanktionen
Starlink