"All right. Good night.": Strandszene auf der Bühne

MERLIN NADJ-TORMA

Volkstheater

"All right. Good night."

Am 8. März 2014 verschwand das Passagierflugzeug MH370 der Malaysia Airline mit 239 Menschen an Bord von den Radarschirmen. Bis heute wurde das Wrack nicht gefunden. Dieses mysteriöse Verschwinden sowie die Demenzerkrankung des eigenen Vaters nimmt die deutsche Theatermacherin Helgard Haug zum Ausgangspunkt ihrer neuen Arbeit über Verschwinden und Verlust.

Haug ist Gründungsmitglied von Rimini Protokoll, ihr Stück "All right. Good night.", das im Dezember in Berlin uraufgeführt wurde, wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen und ist für den Mühlheimer Dramatiker:innenpreis nominiert. Am 30. und 31. März ist das Stück im Wiener Volkstheater zu sehen.

"All right. Good night" - das sollen die letzten Worte des Piloten der Passagiermaschine MH370 an die Kontrollstation gewesen sein, bevor die Boeing 777 auf ihrem Weg von Kuala Lumpur nach Peking für immer verschwand. Außer ein paar wenigen Wrackteilen, die an den Küsten Australiens und Afrika angeschwemmt wurden, gibt es keine Anhaltspunkte, was in den Nachtstunden des 8. März 2014 passiert ist. Erweiterter Suizid des Piloten ist die gängigste Vermutung.

Scheinbar Unvereinbares verwebt

"Aber Fakt ist, dass man nicht offiziell weiß, was passiert ist, und obwohl wir in einer Welt der Überwachung leben, technisch hochentwickelt und stark im Spurensuchen, das nicht geklärt wird", sagt die Autorin Helgard Haug. Das Schicksal der MH370 löste bei ihr großes Interesse aus und immer tiefer tauchte sie ab in ihrer Recherche.

Zwei Menschen schaufeln Sand

MERLIN NADJ-TORMA

"Ich habe auch gemerkt, dass ich immer nerdiger geworden bin, bei der Spurensuche und das auch hinterfragt hab, was ich da mache. Und dann ist mir aufgefallen, dass es in meiner persönlichen Situation, mit dem Vater, der langsam dement wurde, etwas Vergleichbares gibt." Und so webt Haug zusammen, was auf den ersten Blick unvereinbar erscheint: das langsame Wegfaden eines einzelnen Menschen und das plötzliche ungeklärte Verschwinden so vieler Menschen.

Logbuch ins Ungewisse

In der Begleitung des Vaters durch seine Demenz habe sie mit ihren Geschwistern eine Art Logbuch für die Reise ins Ungewisse erstellt. Kontrollpunkte sozusagen eingeführt. Festhalten, wo ist er da - wo nicht mehr; von der ersten kleinen Vergesslichkeit, über das doppelt Erzählen einer Geschichte, bis hin zum nicht mehr Erkennen der eignen Tochter.

"Und wahrscheinlich wurde auch bei der Flugzeuggeschichte versucht, im Nachhinein zu rekonstruieren, wo waren die Funksprüche, und wo gab es eine Kehrtwende - das ist sozusagen ein Sortieren der Informationen und Spuren, die ich gut parallel legen konnte zu den Begegnungen mit dem Vater und zu seinem langsameren Fade-out."

Audiovisuelles Gesamterlebnis

Und wie bringt man das auf die Theaterbühne? Zum einen - das ist mittlerweile nicht neu am Volkstheater - ohne Schauspielerinnen und Schauspieler. Der Text wird von den Zuschauern gelesen. Er ist auf einen Gazevorhang projiziert, dahinter interpretieren fünf Musiker:nnen vom Zafraan Ensemble eine Komposition von Barbara Morgenstern. Sand ist aufgeschüttet, das Meer braust - Projektionen und Toncollagen komplettieren das audiovisuelle Gesamterlebnis.

Musiker:innen spielen im Dunkeln, hinter ihnen weiße Schriftzeichen

MERLIN NADJ-TORMA

"Das Verlorengehen sollte man üben"

Liebe- und würdevoll beschreibt Helgard Haug - und man fühlt sich ein wenig an Arno Geigers "Alten König in seinem Exil" erinnert - den langsamen Auflösungsprozess einer starken Persönlichkeit, der als streitbarer kämpferischer Pastor sehr genau wusste, wie er sein Sterben leben wollte.

"Er hat sehr präzise formuliert, wie er sterben möchte. Er ist dem eigentlich offenen Auges entgegengegangen, und das war für mich als Tochter sehr hilfreich." Das Verlorengehen sollte man üben, zitiert Helgard Haug eine Psychologin. "Die hat gesagt, man muss das üben, das im Unklaren bleiben und mit ungeklärten Situationen umzugehen. Sie schlägt vor, dass man üben soll, verloren zu gehen, das auszuhalten, dass man einmal nicht weiß, wo es langgeht."

Hochkonzentriertes Konzert- und Kopftheater

"Einer der schönsten traurigsten Texte des Jahres", urteilte ein Berliner Kritiker nach der Uraufführung im Dezember und in der Begründung der Jury des Theatertreffens heißt es: "Dieser Text ist geprägt von sanfter fragender Beharrlichkeit, er ist ehrlich, traurig und überraschend und manchmal sogar komisch. Das eigenwillige wie ferngesteuert wirkende Zusammenspiel von Text, Musik und Projektionen macht den Abend zu einem sehr besonderen hochkonzentrierten Konzert- und Kopf-Theater, das völlig unaufgeregt von den unlösbaren Rätseln des Lebens erzählt."

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht das Bedauern, dass die Produktion nur zweimal am Wiener Volkstheater gezeigt wird.

Strandszene auf der Bühne

MERLIN NADJ-TORMA