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Tonspuren
22 Tage vom Leben bis zum Tod
Die Todesumstände von Ingeborg Bachmann in Rom.
21. Mai 2022, 12:00
26. September 1973. Gegen 11.30 Uhr erhält Christine Koschel einen Anruf aus dem Krankenhaus Sant’Eugenio in Rom. Signora Bachmann bittet sie zu kommen. Sie befindet sich in der Abteilung für schwere Brandverletzungen. Koschel macht sich sofort auf, ihre Freundin, die Dichterin Ingeborg Bachmann, zu besuchen. Eine persönliche Begegnung ist nicht möglich, sie dürfen nur über ein Wandtelefon miteinander sprechen. Bachmann bittet um ihren Reisepass, Zahnbürste und Nachthemd. Ihre Stimme klingt ganz wie immer.
Die deutsche Lyrikerin Christine Koschel und ihre Freundin, die Germanistin Inge von Weidenbaum, damals Mitarbeiterin von Radio Vatikan, sind Ingeborg Bachmanns junge Freundinnen in Rom, später werden sie die Herausgeberinnen ihrer Werke.
Makellos aufgeräumt
Auf der Sonnenterrasse ihrer Wohnung hat Bachmann viele unbeschwerte Stunden verbracht. "Wenn sie hierher zu uns kam, war sie ganz natürlich." Christine und Inge begeben sich in die Via Giulia, wo Bachmann im Palazzo Sacchetti, einem düsteren Renaissance-Bauwerk, mit Blick auf den Tiber wohnt. Hier hat die Haushälterin sie vorgefunden, eine Decke um die Schultern, mit großflächigen Brandwunden auf der Haut, und die Rettung gerufen.
Die Wohnung ist makellos aufgeräumt. Das angebrannte Batisthemd und der Bettschal liegen im Abfalleimer. Sie packen die Sachen zusammen, um sie später der Familie zu übergeben. Freunde und Angehörige gehen in den nächsten Tagen im Krankenhaus Sant’Eugenio ein und aus. Ingeborgs Schwester Isolde, ihr Bruder Heinz, die Schwägerin Sheila, die Freundin Nani Demus aus Wien; andere schicken Nachrichten, wieder andere Geld für den teuren Krankenhausaufenthalt.
Niemand erwähnt die Sucht
Nach dem ersten Gespräch mit Christine Koschel ist Ingeborg Bachmann nur mehr für Augenblicke ansprechbar. Die Brandverletzungen sind schwer, doch nicht lebensgefährlich, trotzdem verschlechtert sich ihr Zustand. Die Ärzte sprechen von einer Schädigung des Gehirns.
Welche Medikamente hat die Patientin konsumiert, die ihre epilepsieartigen Anfälle erklären könnten? Gleichzeitig beginnt eine polizeiliche Ermittlung. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass die Verletzungen durch Fremdeinwirkung entstanden sind. Angehörige und Freunde werden vorgeladen, um ihre Aussagen zu machen. Niemand spricht über Bachmanns schwere Tablettensucht. Das hat Ingeborgs Schwester Isolde verlangt: "Sie schämt sich ganz offenbar ihrer Schwester, die Abhängigkeit könnte ihrem Ruf schaden", schreibt Koschel in ihrem lange Zeit später veröffentlichten Protokoll.
Dann ist es zu spät
Am 15. Oktober, fast drei Wochen nach dem Unfall, treffen der Sportarzt Dr. Auer aus St. Moritz und seine Ehefrau Heidi im Spital ein. Bachmann war häufig bei ihnen zu Gast, sie kennen ihre Whisky-Schlafmittel-Cocktails und berichten davon. Christine Koschel fragt, was sie sonst eingenommen hat, doch Heidi Auer weicht aus.
Erst einen Tag darauf, spätabends, läutet das Telefon. Ein Freund Bachmanns aus Malta ist am Apparat. Er nennt den Namen des Medikaments, den das Spital so dringend gesucht hat: Es ist der Tranquilizer Seresta. Er hat den Namen soeben von Heidi Auer erfahren, soll aber verschweigen, von wem die Auskunft stammt. Sie kommt jedenfalls zu spät. Am 17. Oktober 1973 stirbt Ingeborg Bachmann.
Ingeborg Bachmanns Freunde erstatten bei der Staatsanwaltschaft Mordanzeige gegen Unbekannt. Die Untersuchungen erstrecken sich über Monate, dann wird das Verfahren eingestellt.
Gestaltung
- Susanne Ayoub