
APA/BARBARA GINDL
Radiokolleg
Meine Meinung, deine Meinung
Wir Menschen scheinen ein Faible dafür zu haben, Informationen zu verbreiten und unsere Meinung kundzutun. Das können wir tagtäglich online beobachten: Millionenfach werden Blogeinträge geschrieben, Fotos hochgeladen und Kommentare auf Social Media gepostet.
15. Mai 2022, 02:00
„Jedermann hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck oder durch bildliche Darstellung seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Schranken frei zu äußern.“ So steht es in Artikel 13 des österreichischen Staatsgrundgesetzes. Das heißt, wir können hierzulande unsere Meinungen öffentlich kundtun oder mit anderen darüber diskutieren, solange wir weder das friedliche Zusammenleben noch die Sicherheit gefährden bzw. die Grundrechte anderer Menschen verletzen.
Wir alle haben Meinungen zu fast allem: von uns selbst, von anderen Menschen, von Spiritualität, Werten, Politik, Ereignissen, Gerechtigkeit, Erziehung, Klima usw. usf. Wie wir eine Meinung bilden, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, etwa davon, wie wir erzogen worden sind, wie andere mit uns umgegangen sind, welche Erfahrungen wir im Lauf des Lebens gesammelt haben.
Meinungsmache
Meinungsbildung hängt aber auch ganz stark von unseren jeweiligen Emotionen ab; Angst kann zum Beispiel ein wesentlicher Einfluss sein, in welche Richtung unser Meinungspendel schlussendlich schlägt. Angst befördert auch die Manipulation der eigenen Meinung, denn Meinungen können „gemacht“ werden. „Unter zwei Bedingungen wirken Ängste sehr gut: wenn das, was Sie zu erreichen versuchen, Untätigkeit ist und wenn derjenige, den Sie vor sich haben, bereits von Angst ergriffen ist“, schreibt die die Neurowissenschafterin Tali Sharot in ihrem Buch „Die Meinung der anderen“. Daten und Fakten seien wiederum nur sehr beschränkt in der Lage, Meinungen zu beeinflussen.
"Wir haben uns daran gewöhnt, mit einem einzigen Mausklick Belege für wirklich alles zu bekommen, woran wir glauben möchten.“
Dass man Meinung machen kann wissen auch jene, die zur Durchsetzung ihrer Interessen politische Entscheidungen bestimmen wollen. Propaganda hat es in unterschiedlichen Formen immer schon gegeben, nicht erst seit Aufkommen des Internets. Letzteres hätte eigentlich ein Garant dafür sein sollen, sich jederzeit alle Informationen zu einem Thema herbeizuziehen und sich daraus eine Meinung zu bilden. Allerdings mache uns der Tsunami an Informationen, der täglich über uns hereinbricht „mitunter sogar weniger empfänglich für die Aussagekraft von Daten“, so Sharot, „denn wir haben uns längst daran gewöhnt, mit einem einzigen Mausklick Belege für wirklich alles zu bekommen, woran wir glauben möchten.“
Die Macht der Bestätigung
Wir Menschen scheinen ein Faible dafür zu haben, Informationen zu verbreiten und unsere Meinung kundzutun. Das können wir tagtäglich online beobachten: Millionenfach werden Blogeinträge geschrieben, Fotos hochgeladen und Kommentare auf Social Media gepostet. Laut Sharot, die sich als Neurowissenschaftlerin mit zahlreichen Untersuchungen zu diesem Thema beschäftigt hat, wird das Belohnungszentrum im Gehirn stark aktiviert, „sobald Menschen Gelegenheit bekommen, die Perlen ihrer Weisheit mit anderen zu teilen.“ Somit würde jedes Mal, wenn wir unsere Meinungen mit anderen teilen, dies mit der Absicht geschehen, die Betreffenden zu beeinflussen. Das kann mitunter zu einem sturen Beharren darauf führen, dass die andere Person mit ihrer Meinung falsch liegt.
Miteinander
Es scheint, dass wir es immer weniger aushalten, wenn unser Gegenüber eine andere Meinung hat. „Es muss möglich sein, in einem offenen Denkraum etwas zur Diskussion zu stellen, ohne für eine stichhaltig argumentierte Differenzierung herabgesetzt zu werden“, meint der Wiener Autor Lukas Meschik in seinem Band „Einladung zur Anstrengung. Wie wir miteinander sprechen“. Denn es ist eine Anstrengung, sich aus der eigenen Blase herauszubewegen und offen aufeinander zuzugehen, einander zuzuhören und nicht gleich aggressiv mit einer Gegenmeinung zu kontern.