Zwei Burschen in einem Dorf bei Kabul

AP/FELIPE DANA

Hörbuch zum Jubiläum

"Weiter Schreiben - (W)Ortwechseln"

Seit 2017 bietet die Onlineplattform "Weiter Schreiben" eine Anlauf- und Andockstelle für geflüchtete Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Im Tandem mit namhaften Größen aus dem deutschsprachigen Literaturbetrieb erhalten sie Verlagskontakte und Auftrittsmöglichkeiten bei Veranstaltungen oder Festivals. Zum fünften Jubiläum bringt das Hörbuch "Weiter Schreiben" einen Einblick in die vielfältigen Texte, die aus dem Projekt hervorgehen.

"Batool" nennt sich eine afghanische Autorin und Aktivistin, die bis zur Machtübernahme der Taliban an der Universität von Kabul Psychologie lehrte. Dann habe sie Hals über Kopf die Flucht ergriffen und noch auf der Flucht einen Brief an ihre Tandem-Partnerin Marica Bodrozic verfasst, in dem sie die Bedrohung schilderte, erzählt Annika Reich, Initiatorin und künstlerische Leiterin der Literaturplattform "Weiter Schreiben".

Eine andere Autorin, sie will unter dem Pseudonym "Salma Salem" unerkannt bleiben, sitzt nach wie vor in Damaskus, von wo aus sie mit dem deutschen Buchpreisträger 2019, Sasa Stanisic, per Videotelefonat im Austausch steht. Ihre Kurzprosa handelt von Bombenanschlägen, gefolterten Jugendlichen und der körperlichen Lähmung, die diese Situation hervorruft.

Weiterschreiben als einzige Konstante

Sie haben sich in solchen Momenten auf nach dem Sinn des Projekts gefragt, erzählt Annika Reich: "Ich dachte: Da geht es um Leben und Tod und wir schreiben uns literarische Briefe, das ist doch völlig absurd! Doch die meisten Geflüchteten erzählen, dass gerade dieses Weiterschreiben für sie einen Schutzraum darstellt, in dem zumindest noch ein Teil ihrer Identität, nämlich jener der Schriftstellerin, intakt bleiben darf."

Um diese Intaktheit zu gewähren, ist die Aufnahme ins Programm mit einer eingehenden literarischen und politischen Überprüfung durch eigene Kuratorinnen und Kuratoren verbunden. Ein notwendiger Schritt, so Reich: "Wir wollen ja nicht den Neffen von Assads Verteidigungsminister im Programm haben, nur weil er als Protegé vielleicht schon mehrere Veröffentlichungen vorweisen kann."

Mensch und sein Schatten auf CD-Cover

DER HÖRVERLAG

Das Hörbuch "Weiter Schreiben - (W)Ortwechseln. Literarische Begegnungen mit Exil-Autor*innen" ist im Hörverlag erschienen

Was zwischen den Zeilen durchklingt

Ist die "Aufnahmeprüfung" geschafft, wird ein Tandempartner gefunden und schon geht es los. 150 Texte sind bisher in Original und Übersetzung entstanden und eröffnen neue literarische Perspektiven vor allem auf den arabischen Raum oder auf Themen wie Krieg, Bedrohung, Flucht und Angst. "Manche Autorinnen schreiben aber absichtlich gerade nicht über solche Themen und benutzen ihr Schreiben als Schutzraum und Zufluchtsort. Das meiste klingt ohnehin zwischen den Zeilen durch", erzählt Annika Reich.

Vieles davon wird im Hörbuch deutlich, etwa wenn in der Stimme der syrischen Autorin Rabab Haidar weit mehr mitschwingt als die ins Deutsche übersetzte Kurzgeschichte "Reportage", oder wenn Zsuzsanna Gahse und Shukri Al Rayyan ihre Literatur in Wort und Klang, Rhythmus und Sprache zu einem neuen Textgefüge unter dem Titel "Wortdialog" vereinigen.

Tandempartner als Zugpferde und Gütesiegel

Die Auftritte bei Lesungen werden üblicherweise gemeinsam absolviert. Oft ziehe das Renommee der deutschsprachigen Autorinnen und Autoren Publikum an, das sonst vielleicht aus Scheu oder Unsicherheit nicht gekommen wäre. Annika Reich: "Das ist seit Beginn das Prinzip: Wenn eine Größe wie die Lyrikerin Monika Rinck dort mit auf der Bühne ist und die Gedichte vielleicht sogar selbst übersetzt hat, dann stellt sich die Frage ‚Was kann der denn?‘ gar nicht mehr."

Auch die Texte auf dem Hörbuch funktionieren jeweils im "Doppelpack". Die Tandempartner lesen ihre Gedichte, Briefe und Kurzgeschichten selbst ein, die häufig aufeinander Bezug nehmen. Auf die Lesung im Original folgen die deutsche Übersetzung und die Replik des deutschsprachigen Tandempartners. Insgesamt fast zehn Hörbuchstunden geben dadurch Einblicke in neue Formen und Atmosphären und lassen erahnen, welche literarischen Schätze sich durch dieses Programm in Zukunft noch heben lassen.

Service

"Weiter Schreiben - (W)Ortwechseln. Literarische Begegnungen mit Exil-Autor*innen", Hörbuch, herausgegeben von Dima Al-Bitar Kalaji, Christiane Collorio und Annika Reich, der Hörverlag
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