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Ö1 Funkhaustag
Argentinierstraße 30a
Jahrzehntelang wurden im Funkhaus Wien gesellschaftliche Impulse gesetzt. Das ist nun Geschichte. Im Sommer 2022 bezieht Ö1 im 55. Jahr seines Bestehens einen neuen Standort, den ORF Medien Campus am Küniglberg.
10. Juni 2022, 18:16
Argentinierstraße 30a - man kennt diese Adresse. Dort steht das Wiener Funkhaus. Über viele Dekaden diente es als einer der kulturellen Brennpunkte Österreichs. Doch heuer verlässt Ö1 - Europas erfolgreichster Kultursender - sein geschichtsträchtiges Produktionsgehäuse. Zum Abschied huldigt das Ö1 Team dem Funkhaus gebührend - einen ganzen Sendetag lang.
Am 2. Juli, dem Ö1 Funkhaustag, werden u.a. Radiolegenden in "Guten Morgen Österreich" zu hören sein, Albert Hosp und Doris Glaser live im Funkhaus unterwegs sein, etwa in "Pasticcio". Dann führen die beiden in den Großen Sendesaal des RadioKulturhauses: Der "Klassik-Treffpunkt" geht mit dem renommierten Arnold Schönberg Chor über die Bühne.
Ein Ort phonischer Kunst
Das Funkhaus sei, so André Heller, "eine Art intellektueller Ventilator zur Durchlüftung Österreichs." Erwin Steinhauer beschrieb es mit den Worten: "Im Funkhaus liegt Goldstaub in der Luft." In der Zeitschrift "profil - Österreichische Monatsschrift für bildende Kunst", Ausgabe "Das neue Funkhaus", hieß es 1935:
Da der Rundfunk alle Arten phonischer Kunst pflegt, sind Rundfunkhäuser Mischdinge zwischen einem Konzerthaus, Schauspielhaus, Volksbildungshaus und einem technischen Betrieb.
In diesem Geiste wurde seither in der Argentinierstraße gearbeitet, eingeladen und Geschichte geschrieben.
Akustische Nationalbibliothek Österreichs
Nikolaus Harnoncourt und Friedrich Gulda traten hier auf, Patti Smith, Nick Cave und unzählige Stars mehr. Wissenschafter:innen, Politiker:innen und Künstler:innen, und mit ihnen die Radiomacher:innen mehrerer Generationen machten das Funkhaus zu einem Kraftpunkt, einem gesellschaftlichen Energiefeld in der Bundeshauptstadt.
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Ohne Zweifel ist das Gebäude und sein Archivschatz heute eine Art "Akustische Nationalbibliothek Österreichs". Seit 1999 stehen das Funkhaus und sein Großer Sendesaal zudem unter Denkmalschutz.
Legendäre Sendungen
Aus dem Sendesaal wurden einst Sendungen wie "Autofahrer Unterwegs" oder "Was gibt es Neues" von Heinz Conrads übertragen. Auch der TV- und Hörfunkjournalist Heinz Fischer-Karwin begann seine Karriere genau hier - mit der Sendereihe "Aus Burg und Oper". Er zählt zu den Lichtgestalten der Rundfunkgeschichte.
Die Bühne des Großen Sendesaales wurde im Lauf der Zeit vergrößert. Sie bot neben der 1983 neu erbauten Orgel von Karl Schuke auch dem RSO Wien eine Heimat. Bemerkenswert sind die bequemen Ledersitze im Zuschauerraum. Sie sind nicht klappbar, denn es sollten keine zusätzlichen Geräusche entstehen.
Rund um das Funkhaus, diese faszinierende Technikmaschine und sein Personal, wird "Diagonal" am Ö1 Funkhaustag in einem "Spezial" Themenfelder auslegen - über Tonmeister und Hallräume, Medienpolitik und Architektur berichten, ja sogar über liebgewonnene Mitarbeiter:innen der Kantine.
Treten Sie ein! Wir führen Sie über verschlungene Pfade und an Orte, die nicht einmal alle Mitarbeiter:innen zu sehen bekommen.
Repräsentationsbau des Ständestaats
Erbaut wurde das Funkhaus 1935-1939 im Auftrag der RAVAG, der staatlichen Radio- und Verkehrs-Aktien-Gesellschaft. Bereits 1934 legten die Architekten Heinrich Schmid und Hermann Aichinger einen baufertigen Plan vor. Dann wurde ein von dem im Ständestaat einflussreichen Multifunktionär und Architekten Clemens Holzmeister geladener Wettbewerb zur Modifikation des ersten Entwurfes zur Ausschreibung gebracht, der schließlich den Zuschlag bekam.
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Die Zusammenarbeit mit Schmid/Aichinger führte nun zu einer Monumentalisierung des ursprünglich fragiler konzipierten Hauses. Im Jänner und Februar 1945 beschädigten Bomben das Funkhaus schwer. Am 6. April desselben Jahres wurde die letzte Sendung des "Reichssenders Wien" übertragen. SS-Truppen sprengten die Sendeanlage am Wiener Bisamberg, was die Wiederaufnahme des Sendebetriebs nach Kriegsende verzögerte. Über manches davon wird am 2. Juli in einer historischen Collage der Sendung "Hörbilder" zu hören sein.
Erfolgreicher Wiederaufbau
Nach der Befreiung Wiens lag das Funkhaus in sowjetisch besetztem Gebiet. Doch man richtete keinen Besatzungssender ein. Am Dach des Funkhauses wurde ein provisorischer Sendemast installiert. Nun nahm eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte ihren Lauf - einer Medienanstalt zum einen, des ORF, und eines Senders im speziellen: Ö1. So heißt der Kultursender seit 1967.
So unverblümt aus dem Funkhaus nach dem "Anschluss" Österreichs an Nazideutschland Propagandasendungen über den Äther gingen, so sehr entwickelte es sich nach dem Ende des NS-Terrors in seiner ganzen Haltung als demokratischer Ort einer offenen und modernen Gesellschaft.
Modern war der ORF auch in Sachen technische Entwicklung. 1988 nahm Ö1, nach der BBC und dem WDR, den weltweit dritten, volldigitalisierten Regieplatz in Betrieb und bekam damit europaweite Aufmerksamkeit. So wie die Sendeformate, viele davon preisgekrönt. Am Ö1 Funkhaustag werden denn auch am Opernabend, zudem in einem "Kunstradio spezial" und auch in der "Jazznacht" viele historische Bezüge dazu hergestellt.
Zweifache Erweiterung
Mit dem 1997 von Adolf Krischanitz gestalteten RadioCafe erfuhr das Wiener Funkhaus eine entscheidende Öffnung. Das RadioCafe war von nun an auch eines der wichtigsten Livestudios von Ö1.
In den 1980er Jahren entstand inmitten des existierenden Studioensembles des Funkhauses ein Erweiterungsbau unter der Regie von Gustav Peichl. Von dort sendet seither der Aktuelle Dienst seine Journale, ein Kronjuwel des ORF.
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Am 2. Juli aber wird das bereits vom Küniglberg aus geschehen. Die News-Kolleg:innen selbst werden im "Ö1 Mittagsjournal", aus dem Funkhaus wie Korrespondent:innen interviewt. Danach bringt Ö1 einen kurzen Live-Bericht aus dem modernen Hörspielstudio RP4, gefolgt von einer Stunde aus einer der erfolgreichsten und monumentalsten Produktionen des Senders: "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus.
Die Gegenwart
Im Oktober 2015 wurde das Funkhaus im Zuge von ORF-Konsolidierungsmaßnahmen zum Verkauf ausgeschrieben. Die Aufgabe des innerstädtischen Standorts Funkhaus, sowie die Verlegung der Radio-Aktivitäten in das peripher gelegene ORF Zentrum am Küniglberg, stießen bei einer breiten Öffentlichkeit des Landes auf großen Widerstand. Dennoch - im Juni 2016 wurden Teile der Liegenschaft in der Argentinierstraße an die Rhomberg Gruppe verkauft.
Die historischen Studios 1-4 und 6 werden Ö1 jedoch auch weiterhin zur Verfügung stehen, so wie das bald neugestaltete RadioCafe und selbstverständlich auch der Große Sendesaal des RadioKulturhauses, die Heimat des RSO, des international renommierten Radio-Symphonieorchesters.
ORF
Gestaltung
- Peter Waldenberger
- Christian Scheib