Donna Haraway, Filmstill ("Donna Haraway: Story Telling for Earthly Survival")

ICARUS FILM

Diagonal | 25 06 2022

Ideen für eine erschöpfte Welt

Die Biologin Donna Haraway ist eine der einflussreichsten Denkerinnen in der Kunstwelt. Sie inspiriert zahllose Künstlerinnen und Künstler. Pedro Wirz ist einer davon. Seine Forschungen zum besseren Weiterleben auf diesem beschädigten Planeten, in engem Austausch mit der Natur, ohne die Technologie zu verteufeln, finden relevante Wegweiser in Haraways Büchern.

Donna Haraway brütet schon seit den 1980er Jahren darüber, wie eine gerechte Welt ausschauen könnte, die Menschen, Tieren und Pflanzen Rechte einräumt, auf der man Technologie mit indigenem Wissen zu verbinden weiß, Verantwortung übernimmt, sich kümmert, ohne Hierarchien.

Der Planet ist beschädigt, schauen wir hin und machen das Beste daraus, ist Haraways Credo. Wir sollten uns weder der zynischen bis apokalyptischen Da-ist-eh-nichts-mehr-zu-machen-Einstellung hingeben, noch dem Glauben, Technologie alleine würde diese Welt retten.

"Eine andere Welt wird nicht nur dringend gebraucht, sie ist auch möglich."

Die Mitsiebzigerin Haraway, Wissenschaftshistorikerin, Feministin, Gedankenspielerin und einflussreichste Denkerin der Kunstwelt, schlägt vor, sich zusammenzutun. Nicht nur alle Generationen, Geschlechter oder Menschen verschiedenster Herkunft und sozialen Hintergrunds gemeinsam, sondern alle lebenden Wesen, ohne Hierarchien zwischen Mensch, Tier, Pflanze müssten gemeinsam schauen, wie auf diesem beschädigten Planeten weiterzuleben ist.

Dabei schlägt sie vor, von indigenen Praktiken des Miteinander zu lernen, vom Verhalten der Spinnen, dem Wachstum von Pilzmyzel oder der Kooperationsbereitschaft von Brieftauben. Die unkonventionelle Denkerin ist auch gegenüber der Technologie mehr als aufgeschlossen - man dürfe sie nur nicht einzelnen machthungrigen Tech-Riesen zur Gewinnmaximierung überlassen, sondern dem Kollektiv, dem Gemeinwohl zur Verfügung stellen.

Die Denkerin, die aus dem Patt herausführt

Schon immer war Donna Haraway, die lang an der University of California in Santa Cruz gelehrt hat, die Denkerin, die aus dem Patt herausführt, schon allein deshalb, weil sie Dualitäten ablehnt. In ihrem Denken ist nichts Mann oder Frau, Tier oder Mensch, Geist oder Körper, Kultur oder Natur, Wahrheit oder Illusion, Gott oder Mensch. Die alten Grenzen der Herrschaft führten in die Enge, nicht zur Lösung, so ihr Credo. So manchem ist das zu kompliziert, viele andere beflügelt der Gedanke.

Mit ihrem unkonventionellen Denken eröffnet Haraway einen Handlungsspielraum, den wir gerade bitter nötig haben, um aus der Schockstarre des Entsetzens über Umweltschäden und Klimakatastrophen, aber auch veraltete Machtstrukturen herauszukommen, die geradewegs in Krieg und Verderben führen. Während die strenge Naturwissenschaft, ihr angestammtes Metier, ihrem oft spielerischen, ironischen, lustvollen und freien Denken nicht so viel abgewinnen kann, ist Donna Haraway zur einflußreichsten Persönlichkeit der Kunstwelt geworden, amtlich bestätigt von Kunstbedeutungsrankings von Berlin über New York bis Tokyo.

Ganz in ihrem Sinne denkt und arbeitet der brasilianisch-schweizerische Künstler Pedro Wirz, wir haben ihn in seinem Atelier in Zürich besucht.

Pedro Wirz

Pedro Wirz

ORF/INES MITTERER

Auf Besuch bei Pedro Wirz

Ein neues Zeitalter

Der Mensch hat mit erschreckender Geschwindigkeit im von ihm geprägten Anthropozän die Welt fast an die Wand gefahren, jetzt brauche es ein neues Zeitalter, so Haraway. Das Kapitalozän hat die Welt kaputt gemacht, im von Haraway vorgeschlagenen "Chthuluzän" krempeln wir gemeinsam die Ärmel hoch und versuchen zu retten, was zu retten ist. Am Anfang waren ja immer schon das Wort oder das Bild, die Vorstellung, die Erzählung. Das ist doch einmal eine, sagen wir, gute Nachricht.

Gestaltung: Ines Mitterer