Figur Av3ry by Alexander Schubert

PEDRO GONZALEZ FERNANDEZ

6. bis 9. Oktober

Whodentity beim musikprotokoll

Mit dem Kunstwort "Whodentity" wollen wir beim musikprotokoll 2022 aktuell drängende Fragen nach Identitäten beleuchten. Wer ist "wir", welche Identität schreibt wer wem gesellschaftlich zu, wie definiert sich ein "man" in einem bestimmten Kontext?

Vieles davon hat offensichtlich mit patriarchalen Strukturen und männlicher gesellschaftlicher Dominanz zu tun. Jahrzehntelang, eigentlich natürlich jahrhundertelang, war die öffentliche, professionelle Musikausübung in Europa männlich besetzt.

Sofort sollte man einfügen: So scheint es laut der natürlich ebenfalls unter männlicher Hegemonie stehenden Musikgeschichtsschreibung gewesen zu sein. Dass man auch eine Musikgeschichte zwischen Spätrenaissance und Frühbarock auch mit Komponistinnennamen wie Maddalena Casulana Mezari, Vittoria Raffaella Aleotti, Leonora Duarte und Francesca Caccini schreiben könnte, stimmt zwar und wäre auch dringend notwendig, ändert aber doch wenig an der männlichen Dominanz, die es gab und gibt.

Gegenbeispiele zur männlichen Dominanz

Aber bleiben wir bei der musikalischen Whodentity-Forschung in der Nähe unseres eigenen, zeitgenössischen Tuns, bei der zeitgenössischen Musikausübung, beim musikprotokoll, bei zeitgenössischen Ensembles, beim RSO Wien. Auch hier blitzen natürlich sofort die Gegenbeispiele auf. Das RSO Wien hatte mit Annemarie Ortner-Kläring und Maighréad McCrann über Jahrzehnte weibliche Konzertmeisterinnen. Und seit den 1990er Jahren fordert uns - neben anderen - die Komponistin Olga Neuwirth beim musikprotokoll und im steirischen herbst mit immer neuen, gewagten, grenzüberschreitenden Projekten und Kompositionen heraus.

Aber wenn wir einen Blick in die musikprotokoll-Statistik der frühen Jahre werfen und genau rechnen, dann stellen wir fest, dass in den 1960er und 70er Jahren der Anteil an Komponistinnen gerade mal 0,6 Prozent aller aufgeführten Werke betrug. Von Dirigentinnen ganz zu schweigen. Das hat bei uns dann doch zu einer gewissen Erschütterung geführt, auch wenn in der Zwischenzeit, also während der vergangenen circa 25 Jahre, der Anteil der Autorinnen beim musikprotokoll auf knapp 40 Prozent gestiegen ist. Die immer durchlässiger werdende Grenze zwischen Performativem und Komponiertem hat den Frauenanteil zuletzt noch weiter erhöht.

2022 das Steuer herumreißen

Aber für das musikprotokoll 2022 und seine Konzerte mit dem Ensemble Modern, dem Vokalensemble Cantando Admont und dem RSO Wien, das ja inzwischen auch eine Chefdirigentin hat, werden wir nach fast 55 Jahren gerade auch im strukturell konservativsten und immer noch sehr männlich dominierten Konzertgenre das Steuer gänzlich herumreißen und ausschließlich Musik von Komponistinnen ur- und erstaufführen.

Interessante Aspekte zum Thema Whodentity verbergen sich auch jenseits des Dualismus von weiblich/männlich in widersprüchlichen, subtilen, bunten, radikaleren Konfigurationen. Nicht einfach eine männliche Dominanz, sondern die Identität von Human Beings als solchen und Artificial Intelligence steht beispielsweise zur Disposition.

Subtile Konfigurationen

Spätestens seit den 1980er Jahren liefern Ideen- und Wortschmiede wie William Gibson mit "Neuromancer" und "Cyberspace" oder Neal Stephenson mit "Avatar" und "Metaversum" auch das Vokabular dazu. Zuerst "multimedial", danach "interaktiv" und später "immersiv" genannte musikprotokoll-Projekte - von "a sophisticated soiree" aus 2001 über "alien city", in Graz realisiert 2003, bis zu Alexander Schuberts für 2022 geplantes Projekt "Unity Switch" mit dem KI-Programm Av3ry als nicht binärer Persona zeugen in der musikprotokoll-Geschichte künstlerisch davon und bereichern die Suche nach einer Whodentity.

Gestaltung

  • Christian Scheib