Gavino Ledda

EMIL WIMMER

Ambiente

Gavino Leddas Sardinien

"Hirten, Steine und Banditen" - ein Streifzug durch Sardinien, die zweitgrößte Insel im Mittelmeer.

In seinem autobiografischen Roman "Padre Padrone - Mein Vater, mein Herr" beschreibt Gavino Ledda sein Leben als Hirtenjunge auf Sardinien in den 1940er und 50er Jahren. Als kaum Sechsjähriger wurde er von seinem Vater nach nur einem Monat aus der Schule genommen und zum Schafehüten in die Wildnis geschickt. Es war ein archaisches und brutales Leben.

Obwohl die zweitgrößte Insel im Mittelmeer damals längst zu Italien gehörte, lag sie vernachlässigt und zurückgeblieben im Abseits. Weite Teile des Inselinneren waren fast wie im Mittelalter wild und unerschlossen. Schon der Name dieser Gegend ist bezeichnend: „Barbagia“, „Barbarenland“. Ein unwegsames Bergland, das bis in die 1970er Jahre von Banditen unsicher gemacht wurde.

In 40 Sprachen übersetzt

In der Hauptstraße von Siligo, wo kaum je ein Mensch zu sehen ist, fällt zwischen den aneinandergereihten, schmucklosen Häusern, denen die Armut immer noch anzumerken ist, eines auf, über dessen Eingangstür der steinerne Kopf eines Mufflonwidders angebracht ist. Hier wohnt seit vielen Jahren der bekannteste Sohn des Ortes. In seinem mit allerlei Kram vollgeräumten Wohnzimmer stapelt sich neben einem mächtigen offenen Kamin Brennholz; keine Scheite, sondern wuchtige Zylinder. Ein uriger Vorrat, wie er zum Hausherrn passt.

Der heute über 80-jährige Gavino Ledda ist klein und drahtig, hat langes, widerborstiges dunkles Haar und einen Stoppelbart. Dass die archaische Welt seines 1975 veröffentlichten Romans, der ein Weltbestseller und in 40 Sprachen übersetzt wurde, verschwunden ist, bedauert Gavino Ledda nicht. Aber heute werde der Wert der Lebensmittel nicht mehr geachtet. Es gebe das Bestreben, den Mars zu erobern, aber wichtiger sei es, die Erde zu schützen. Wenn man darauf vergesse, brauche man gar nicht erst zum Mars reisen, dann werde die Erde zum Mars werden.

Der Brunnentempel von Santa Cristina

Mit gut 24.000 Quadratkilometern ist Sardinien die zweitgrößte Insel im Mittelmeer. Die eigentümlichsten prähistorischen Hinterlassenschaften stammen von der Kultur der Nuraghen. Bis heute prägt das steinerne nuraghische Erbe mit seinen Türmen, Heiligtümern und Begräbnisstätten das kollektive Selbstverständnis der Sarden. Archäologisch interessierte Besucher:innen lockt auch der 3.000 Jahre alte Brunnentempel von Santa Cristina. 24 exakt bearbeitete, leicht gekurvte Stufen führen zum Wasser hinunter, das in einem kreisrunden, aus dem Muttergestein gehauenen Becken gesammelt wird. Beeindruckend ist die große Präzision, mit der die Basaltquader bearbeitet und nahezu fugenlos an- und übereinandergeschichtet wurden.

Das Volksfest „Herbst in der Barbagia“

An einem Wochenende im Oktober geht es in Orgosolo hoch her. Beim Volksfest „Herbst in der Barbagia“ reihen sich entlang der kilometerlangen Hauptstraße Imbissbuden und Verkaufsstände. Dabei waren die Bewohner:innen von Orgosolo die längste Zeit für ihre Widerspenstigkeit und Verschlossenheit und ihr Misstrauen berüchtigt. Jahrhundertelang war der Ort sogar als „Banditennest“ verschrien. Zwischen 1903 und 1917 wurden bei einer Familienfehde über 50 Menschen umgebracht. Nur wenn es gegen den Staat ging, hielten die Bewohner:innen von Orgosolo seit jeher zusammen. Als 1969 das Gemeinschaftsweidegebiet Pratobello in einen Nato-Truppenübungsplatz umgewandelt werden sollte, stellte sich der gesamte Ort den Soldaten entgegen, die mit Panzerfahrzeugen anrückten – und wieder abziehen mussten.