LAS LLORONAS

PEPA NIEBLA

On stage

Las Lloronas bei Glatt&Verkehrt

Wie viele Worte braucht man eigentlich, um eindeutig zu beschreiben? Ich dachte immer: je besser der Autor, die Autorin, desto weniger Worte. Aber dann werden die Bücher ja immer dünner, und in Wirklichkeit gibt es tatsächlich auch sehr dicke Bücher, die trotzdem gut sind - Las Lloronas: zerbrechlich, mutig, verträumt, mit charaktervollen und höchst präsenten Stimmen, die das dicht gewobene Harmoniegeflecht kunstvoll und kurvenreich machen.

Klickt man ihren an erster Stelle stehenden YouTube-Eintrag an, bekommt man die drei jungen Frauen bei einem Hauskonzert in ihrem Wohnzimmer in Brüssel, also in gemütlich-privater Atmosphäre, zu sehen und zu hören: Marieke Werner aus Deutschland, die Klarinette spielt und singt, die Gitarristin und Sängerin Amber in ’t Veld mit familiären Wurzeln in den Niederlanden und Spanien sowie die aus einer jüdischen Familie mit polnischen, ukrainischen, spanischen und nordafrikanischen Wurzeln stammende, singende Ukulele-Spielerin Sura Solomon.

Das sind, selbst geschrieben, ziemlich viele Informationen und vor allem auch Länder, aber: Genau diese kulturelle Vielfalt ist es wohl auch, unter anderem, die diese drei Musikerinnen zu Aussagen mit weitem Horizont befähigt, die einen in ihrer unverschnörkelt schlichten Präsentation, charmant, gut gelaunt, nicht besserwisserisch und auch nicht zu dick aufgetragen, gern zuhören, ja auch neugierig werden lassen.

Poesie, Mitgefühl und Hoffnung

Erstaunlicherweise wirkt die große Bühne bei Glatt&Verkehrt, wo sie am 29. Juli aufgetreten sind, nach YouTube wie ein Megafon für ihre Botschaften, nach dem Motto: je leiser und eindringlicher, je weniger Effekt und Pipapo, desto größer deren Wirkungspotenzial, wenn diese intime Dichte verstärkt wird. Die schlicht und in selbstbewusster Bescheidenheit, gleichzeitig akkurat und gut intoniert vorgetragenen Lieder sind voller Poesie, verströmen Mitgefühl und Hoffnung, sind ver- und entführerisch, können bezirzen und verzaubern, ohne zu triefen.

Die Sprachen, in denen Sura Solomon, Amber in ’t Veld und Marieke Werner singen, spiegeln ihre biografischen Hintergründe wider und fügen sich in bescheidener Selbstverständlichkeit aneinander. Der Name des Trios Las Lloronas - die Klagefrauen - könnte Schlimmes vermuten lassen, die Befürchtung bestätigt sich aber in keiner Weise: Er ist eine Verbeugung vor der mit 38 Jahren verstorbenen amerikanisch-mexikanischen Sängerin Lhasa de Sela, deren Debütalbum eben "La Llorona" hieß - in der mexikanischen Folklore ein Rachegeist, eine Mutter, die um die Kinder weint, die sie allerdings vorher eigenhändig im Fluss ertränkt hat.

Die Klagen der Lloronas

Die Klagen der Lloronas bei Glatt&Verkehrt spinnen diesen gruseligen Gedanken weiter und geben all jenen eine Stimme, die sie nicht selbst erheben können. Sie verbreiten das gute Gefühl von Hoffnung und das auf höchst annehmbare Art und Weise und keineswegs ohne Selbstironie. Wer zusammen studiert hat und vor allem dann auch als Straßenmusikerin unterwegs war, hat fast zwangsläufig schon mehr oder weniger ausgiebig in die Abgründe der Existenz geschaut.

Die Formation Las Lloronas gibt es seit nunmehr zehn Jahren. 2020 ist ihr Debütalbum "Soaked" erschienen. Das Getränkte, Durchdrungene war bis jetzt gewissermaßen Markenzeichen und wird es - so meine Hoffnung - auch bleiben: Musik, durchdrungen von der Weite und Tiefe unterschiedlichster Lebensrealitäten.

Text: Jörg Duit