ORF/JOSEPH SCHIMMER
Le week-end
Das Notenarchiv im Wiener Funkhaus
Was haben ein Autograph von Gustav Mahler aus 1902, ein historischer, polizeilicher Steckbrief aus 1849 und ein Absagebrief des Münchner Generalmusikdirektors Felix Mottl aus 1905 miteinander zu tun?
11. November 2022, 21:47
Das Wissen darum, dass im selben Umfeld auch sogenannte Erstabschriften von Partituren wie Mozarts Zauberflöte, diverse Haydn-Messen oder Strauß-Walzer zu finden sind, bringt uns der Antwort ein wenig näher. Ebenfalls zu finden, und das bringt uns jetzt der Antwort wirklich näher, ist ein Brief des Leiters des Wiener "Radiokünstler-Ensembles" der 1920er Jahre, des Geigers und Arrangeurs Bert Silving, sowie eine Partitur eines Nonetts von Hanns Eisler, in dem noch die handschriftlichen Eintragungen des die Rundfunkaufnahme selbst dirigierenden Komponisten zu finden sind.
Gemein haben all die erwähnten Fundstücke, dass sie im Notenarchiv des österreichischen Rundfunks im Wiener Funkhaus zu finden sind und gemein haben sie auch, dass über diese Art von Fundstücken niemand mehr etwas wüsste, würde dort nicht ein äußerst neugieriger Archivar arbeiten, der nicht nur die heutzutage notwendigen Arbeiten erledigt, sondern eben auch noch das abwegigste, historische Material genau untersucht. Dabei entdeckt Hannes Heher korrekt archiviertes Material, das schlicht seit Jahrzehnten nicht mehr gebraucht wurde, aber dennoch historisch interessant sein kann, manchmal aber eben auch gewissermaßen archivalisches Strandgut, das irgendjemand vor langer Zeit in einer alten Ausgabe vergessen, versteckt oder einfach abgelegt hat.
Der eingangs erwähnte Steckbrief aus 1849 zum Beispiel: Gesucht wird der zum Tode verurteilte Revolutionär Josef Goldmark, der dann aber rechtzeitig fliehen und sich in den Vereinigten Staaten von Amerika eine neue Existenz aufbauen kann. Jahrzehnte später wird er übrigens rehabilitiert und kehrt auch kurzfristig nach Österreich zurück. Wie aber kommt dieser Steckbrief in die "Kammermusikmappe K35", die sämtliche Streichquartette von Ludwig van Beethoven enthält? Wir wissen es natürlich nicht, wir wissen nur, dass der Revolutionär Josef Goldmark der Halbbruder des bekannten, ungarisch-österreichischen Komponisten Karl Goldmark gewesen ist, der seinerseits mit Brahms befreundet war und dessen Opern Gustav Mahler dirigierte. Die meisten Fundstücke, die viel älter sind als das Archiv, in dem sie gefunden wurden, sind vermutlich durch überlassene Nachlässe in den Bestand gekommen. Zu Beginn der RAVAG-Geschichte war Radio ja hauptsächlich ein live-Medium, aber schon das erwähnte "Silving-Quartett" und seine Nachfolger brauchten ein Notenarchiv und bis heute dient das Notenarchiv hauptsächlich der Konzert- und Produktionstätigkeit des Radio-Symphonieorchester Wien. Archivar Hannes Heher höchstpersönlich führt in diesem le week-end durch eine Welt voller Schätze, beabsichtigter wie unbeabsichtigter, gewissermaßen durch Fundstücke und Strandgut.
Gestaltung
- Hannes Heher
Übersicht
- Der Ö1 Funkhaustag