Buchcover

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Lawrence Weiner Kunstbuch

Something to put something on

In der Diagonal-Rubrik "Das Buch als Kunst" wird monatlich eine Künstlerpublikation vorgestellt, also ein von Künstlern gemachtes, erdachtes oder gebasteltes Buch, das als Kunstwerk zu betrachten ist. Nun ist das Bücherregal fast voll, den letzten Platz darin bekommt Lawrence Weiners "Something to put something on".

Bücher sind Gebrauchsgegenstände. Im Museum für Angewandte Kunst, in der Ausstellung „Bilderbuchkunst. Das Buch als künstlerisches Medium“, sind sie in Vitrinen zu betrachten, mit detaillierten Objektangaben, wie es sich gehört für museale Gegenstände. Der Großteil der Exponate in der Ausstellung gehört dem Bücher-Sammler Friedrich C. Heller: „Das Bilderbuch ist ein ganz langsames Medium und verlangt Zuwendung.“

Buchinnenansicht, Tisch

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Die Erde als eine Art Tisch

Friedrich Heller sammelt Künstlerpublikationen ab den 1960er Jahren: Bilder-Bücher - manche davon für Kinder bestimmt, die meisten ohne Alterszielpublikum - die von Künstlerinnen gestaltet wurden. Welches Buch aus seiner Sammlung würde er für eine Radio-Serie mit dem Titel „Das Buch als Kunst“ vorschlagen? Es ist eines von einem sehr bekannten Künstler, den man durchaus mit Schrift, jedoch weniger mit Büchern assoziiert: Lawrence Weiner. Das Buch heißt „Something to put something on”, also “Etwas, auf das man etwas draufstellen kann“.

„Da geht es, wie so oft bei Weiner ja um eine sehr hintersinnige Fragestellung. Nämlich: Er lässt ein Kind fragen, ‚Was ist ein Tisch?‘ Und dann versucht er zu erklären, was ein Tisch ist. Es geht letztendlich auf das Ziel zu: Ein Tisch ist etwas, wo man etwas draufstellen oder drauflegen kann. Auch die Erde ist in einer bestimmten Weise ein Tisch: ‚I shall use the earth as a table‘“

Ein frei übersetztes Zitat des 2019 verstorbenen Konzeptkünstlers Lawrence Weiner im Impressum von „Something to put something on“:

„Ich war ein Kind & wie die meisten Kinder habe ich Dinge gebastelt.
ich versuchte, einen Platz für die Dinge zu finden, die ich gemacht hatte.
wieder und wieder stellte ich fest, dass die Stütze oder der Sockel oder der Tisch, das alles ruhte auf der Erde & ich erkannte, dass alle Menschen jeden alters, die etwas gemacht hatten, einen Platz finden mussten für das, was sie gemacht hatten.
die Menschen, die die Frage stellen, und die Menschen, die versuchen, die Frage zu beantworten, arbeiten als Künstler.
ich war ein Kind & beschloss, Künstler zu werden.“

Buchinnenansicht, Tisch

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Rot, blau und vor allem weiß

Das Buch hat eine auffallende ästhetische Qualität. Cover und Seiten sind rein weiß, darauf sind rudimentäre grafische Elemente platziert, Balken, Striche, Quadrate, Kugeln, zusammen mit Sätzen oder Wörtern in der Schriftart Margaret Seaworthy Gothic. Das ist Weiners selbstentwickelte und zu seinem Markenzeichen gewordene Schriftart - sie wurde auch auf dem Flakturm Esterhazypark eingesetzt für das mittlerweile zerstörte, einst weit über viele Dächer sichtbare Kunstwerk „Smashed to pieces/in the still of the night“.

Margaret Seaworthy Gothic ist eine Blockschrift. Im Falle des Buches „Something to put something on“ sind die Schriftfarben blau und rot, für die grafischen Elemente wird auch orange und am Cover silber verwendet. „Hier wirkt nicht nur der Inhalt“, so Friedrich Heller, „sondern hier wirkt auch wiederum das Buch mit seiner weißen Fläche, in der die einzelnen Elemente nach bestimmten ästhetischen Prinzipien oben am Rand oder unten am Rand oder rechts oder rechts verteilt sind.“

Auf nach Göttingen

Die Leiterin der MAK-Bibliothek und der Kunstbuchsammlung Kathrin Pokorny-Nagel erzählt: Der Verlag habe darauf bestanden, dass nicht die erste, sondern die zweite Auflage von „Something to put something on“ in der Ausstellung „Bilderbuchkunst“ gezeigt wird. Diese sei noch verfeinert worden. Interessant: Sonst sind es doch immer die Erstauflagen, die für Sammler relevant sind. Warum ist hier die zweite besser? Beantworten kann das wohl am besten der Verlag selbst: Little Steidl in Göttingen.

Little Steidl, das ist die Künstlerbuch-Schiene des berühmten auf Photographie und Belletristik spezialisierten Gerhard Steidl Verlags. Betrieben wird Little Steidl als one-woman-Show von der gebürtigen US-Amerikanerin Nina Holland. Das Drucken hat sie von ihrem Mentor Gerhard Steidl gelernt; die Liebe zur Buchkunst wurde ihr in die Wiege gelegt. Und zwar wörtlich, denn ihre Großmutter war die führende Kinderbuchkritikerin der USA und beriet Büchereien landesweit, welche Bücher sie dem jungen Publikum anbieten sollten. Zur Geburt 1969 bekam Nina von der Großmutter „The very hungry caterpillar“ von Eric Carle, damals gerade erschienen, mittlerweile ein Klassiker. In der Objektliste des MAK sieht Nina Holland nicht nur ihre Kindheit, sondern auch ihre Entwicklung als Büchermacherin widergespiegelt.

Buchinnenansicht

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Die Ausweitung der Möglichkeiten

In einer musikalischen und künstlerisch aktiven Familie aufgewachsen, besuchte Nina Holland bereits als Kind das Konservatorium, studierte später bildende Kunst, Critical Theory und Vergleichende Literaturwissenschaften. Um 2001 begann sie mit Gerhard Steidl zusammenzuarbeiten, und zwar am kommentierten Werkverzeichnis des jung verstorbenen Künstlers Glen Seator. 2023, nach über zwei Jahrzehnten Arbeit daran, sollen die 14 Bände erscheinen. „Mit Gerhard Steidl zu arbeiten, war für mich eine Offenbarung - es entsprach genau dem, was ich machen wollte. Zunächst arbeitete ich als Grafikerin und Lektorin: Ich entwickelte Bücher, die er dann produzierte. Mein Zugang zum Buch-Design war ein sehr handwerklicher, ich wollte Bücher bauen und die Möglichkeiten des Druckprozesses verstehen und ausweiten. Meine Arbeit mit zeitgenössischen Künstlern ging in eine andere Richtung als das Photographie-Programm des Steidl Verlags, sowohl inhaltlich, also auch drucktechnisch.“ Also wurde der “kleine” Ableger des Gerhard Steidl Verlags gegründet, Little Steidl eben.

Sieben Jahre lang machte Nina Holland eine Drucker-Lehre und baute ihre eigene Werkstatt auf. Hinter jedem Projekt, jedem Exemplar und jeder Druckentscheidung stehe sie mit ihrer Persönlichkeit als Künstlerin, so Nina Holland. Von ihren Büchern spricht sie wie von auratischen Einzelstücken. Wie bringt man das zusammen, die Walter Benjamin‘sche Aura des Originals, und die Massenproduktion eines für einen - wenn auch limitierten - Markt bestimmten Druckwerks? „Sklavenarbeit“, antwortet Nina Holland lachend. Und tausende unkompensierte Arbeitsstunden. Aber wenigstens beute sie nur sich selbst aus, und das freiwillig und für ihr Leben gern.

Nina Holland

THEKLA EHLING

Es war noch mehr rauszuholen

Die erste Ausgabe 2008 begleitete Nina Holland - in Zusammenarbeit mit Lawrence Weiner - als Art Director. Doch schon bald war sie unzufrieden mit der Ausgabe und hatte das Gefühl, das könne noch besser werden - wenn sie es selbst macht, also druckt. „Das Lawrence-Weiner-Buch veranschaulicht: Drucken ist wie die Interpretation eines Werks. Die zweite Ausgabe 2017 hatte eine Entwicklungszeit von zehn Jahren. Nach der ersten Ausgabe 2008 hatte ich das Gefühl, wir hatten noch nicht alles gegeben. Die Materialien waren nicht perfekt, das Buch sprach nicht so, wie es hätte können. Ich wusste, ich muss drucken lernen und es selbst neu produzieren. Wie eine Pianistin, die ein Werk in ihrem Repertoire haben will, so wollte ich diese Erfahrung machen.“

Das Papier war nicht das richtige, da es nachdunkelte, und da spielte noch eine grundsätzliche Erkenntnis rein über seine künstlerische Arbeit, die ja oft typographisch ist: „Lawrences Arbeiten sind Skulpturen. Auch wenn sie flach auf Wänden angebracht sind, auf Brücken, Hausfassaden etc., haben sie eine besondere materielle Qualität, eine besondere Präsenz. Diese physischen Qualitäten fehlten seinem Druckwerk. Nicht nur bei der ersten Ausgabe von ‚Something to put something on‘, sondern quer durch sein druckgrafisches Werk. Diese Materialität fehlte, aber ich wusste, dass sie möglich ist.“

Nina Holland

THEKLA EHLING

Unterschneidung der Buchstaben

Wenn Weiners Arbeiten Skulpturen sind, dann ist auch die Druckerschwärze als Material zu behandeln, so Nina Holland, nicht bloß als Farbton „Blau 299“ oder „Rot 2032“. Mit dem neuen Papier, ihrer Lieblingssorte, die nicht mehr hergestellt wird, begann Nina Holland direkt auf der Druckpresse zu experimentieren. Und es zeigte sich: Das Papier ist so präzise, die Buchstaben so grell - das funktioniert nicht. Also schaute sich Holland die Setzung der Buchstaben genau an: „Alle glauben, dass es bei der Schriftart Margaret Seaworthy Gothic Absicht war, die Normalschriftweite zu verwenden. Ich wusste nicht, wie ich das mit Lawrence angehen sollte. Also nahm ich mir alle Mappen zur Hand und suchte nach Stellen, wo vielleicht doch nicht der Normabstand, sondern eine Unterschneidung der Buchstaben zu finden war. Ich fand diese Stelle bei den Buchstaben A und W seines Vornamens am Cover. Ich schlug ihm vor, die Schriftsetzung gänzlich zu überarbeiten, wogegen er nichts einzuwenden hatte. Es stellte sich heraus, dass gerade bei diesem minimalistischen Einsatz von Text alles neu gesetzt werden musste. Jeder Buchstabe mit individuellem Abstand. Selbst bei den im ganzen Buch wiederkehrenden Wörtern ‚something‘ und ‚some thing‘. Nach ein paar Monaten schickte ich Lawrence meine Arbeit. Und als Antwort kam zurück: Noch nie hat die Margaret Seaworthy Gothic so gut ausgesehen!“

Feinstoffliche Farbversuche

Auch mit der verfeinerten Farbgestaltung waren Lawrence Weiner und sein Atelier überaus zufrieden. Mit den Farben hatte Nina Holland lange experimentiert, um das Blau mit der Textur des Papiers zu versöhnen und dem Rot seine Flachheit zu nehmen; sie hörte auf die „Stimmen der molekularen Strukturen“ dieser beiden Druckfarben - ohne sie im Druckprozess einander anzugleichen, so Nina Holland. “Ich wusste, das würde mir aus Drucker-Perspektive als Fehler ausgelegt werden, wurde es auch; aber aus künstlerischer Perspektive war das genau richtig. Ich dachte: Lawrence kennt diese Farben in und auswendig; er hat sein ganzes Leben mit diesem Rot und diesem Blau gearbeitet. In diesem Buch nun sind die Farben jeweils eine andere Stimme im Dialog - und das Blau ist Lawrence. Eindeutig. Ich wollte das Blau so drucken, dass es seinem Charakter entspricht; das heißt, es muss authentisch, einzigartig, ausdrucksstark sein. Auf dem weißen Papier ist es so intensiv, dass man die Diskrepanz mit dem Rot wirklich spürt: diese Ungleichheit der Farben, diese unglaubliche Spannung.“

Den Blick von außen auf sich selbst ermöglichen

2017, also gut zehn Jahre nach der ersten Ausgabe, war die zweite Ausgabe fertig. Nina Holland hatte drucken gelernt, das Handwerk perfektioniert, mit Farben experimentiert und die Schriftsetzung sogar verfeinert. Für die Künstlerin, Druckerin und Verlegerin hat sich die jahrelange Arbeit an einem rund 40-seitigen Buch, in dem die Papierfarbe weiß überwiegt, kaum Text und einfachste Grafiken vorkommen, ausgezahlt. Ideell zumindest. „Zu seiner letzten Ausstellung in der Galerie in Paris kamen viele Freunde, Lawrence war schon sehr krank. Und da sehe ich an der Wand typographische Arbeiten und sage zu ihm: Lawrence, sehe ich richtig, dass Du Buchstaben unterschneidest?! Er wollte es nicht zugeben, aber es war so.

Später traf ich einmal seine Tochter zum Abendessen. Sie erzählte, dass diese zweite Ausgabe des Buches 2017 den Zugang des Ateliers zum Schriftsatz komplett verändert und ihm die Augen geöffnet hatte, was aus dieser Schriftart noch rausgeholt werden kann.Das ist wohl mein Ziel: Mit einem Künstler so zusammenarbeiten, dass ich ihn verstehe, seine Sprache und seine Materialien, und ihm eine noch erhabenere Version seiner Arbeit liefern kann, die ihm einen Blick von außen auf sich selbst erlaubt. Als würde er oder sie das eigene Werk mit fremden Augen betrachten. Das ist für mich Erfolg.“

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