PICTUREDESK.COM/DPA/CHRISTOPHE GATEAU
Menschenbilder
Der Autor Sten Nadolny
Schriftsteller wollte Sten Nadolny auf gar keinen Fall werden, denn das waren schon seine Eltern: die Mutter, Isabella Nadolny, der mit dem Roman "Ein Baum wächst übers Dach" ein Bestseller gelungen ist, und sein Vater, Burkhard Nadolny, Autor im Umkreis der Gruppe 47, der nie Erfolg beim Publikum fand.
24. Jänner 2023, 12:00
Also ließ sich Stan Nadolny zunächst zum Reserveoffizier ausbilden und studierte dann Mediävistik, Geschichte und Politologie in München, Göttingen, Tübingen und Berlin. Danach arbeitete er als Lehrer, doch seine Leidenschaft galt dem Film; er war Aufnahmeleiter, doch sein erstes Stipendium bekam er für ein Drehbuch. Sein Filmprojekt "Netzkarte" basierte auf eigenen Erlebnissen - er war etliche Monate ziellos mit der Eisenbahn durch Deutschland gefahren; als sich der Film nicht realisieren ließ, hatte Sten Nadolny den Stoff für seinen ersten Roman.
Große Aufmerksamkeit erregte Nadolny 1983, als er den Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt und das Preisgeld unter allen teilnehmenden Autoren und Autorinnen aufteilte. Er wollte den Wettbewerb "entbittern" und, wie er erzählt, zugleich eine Geste gegen die damals allmächtige Jury setzen. Den Preis erhielt Nadolny für einen Text über den britischen Seefahrer und Polarforscher John Franklin, der den leidenschaftlichen Segler Nadolny schon seit früher Jugend fasziniert hatte.
Entdeckung der Langsamkeit
Daraus wurde 1983 der Roman "Die Entdeckung der Langsamkeit", der sich im Lauf der Jahre millionenfach verkaufte und zu einem Weltbestseller wurde. Genaue biografische Details und literarische Fiktion greifen in diesem Buch auf faszinierende Weise ineinander. Es finden sich darin so viele Einzelheiten eines Seefahrerlebens, dass man wohl kaum einen deutschsprachigen Roman findet, in dem man so viele neue Wörter entdeckt. Andererseits wurde die genau recherchierte Person John Franklin mit jener Langsamkeit ausgestattet, die dem Roman seinen Titel gibt - einer Langsamkeit, die zunächst als schweres Handicap erscheint, sich aber dann als großer Vorteil erweist.
"Die Entdeckung der Langsamkeit" hat viele Menschen ermutigt, die selbst langsam sind, und anderen geholfen, ihren Partner:innen, ihre Kinder oder ihre Eltern, die sie als zu langsam empfinden, zu verstehen, wie Sten Nadolny aus vielen Briefen weiß. Er erzählt über Reisen und Recherchen, die zu diesem Roman führten, aber auch über die Faszination des Erfindens eines neuen Sujets und die Qualen des Schreibens; und über seine eigene Langsamkeit. In John Franklins Ungeschicklichkeit beim Ballfangen spiegelt sich die eigene Erfahrung des Autors.
PICTUREDESK.COM/DPA/CHRISTOPHE GATEAU
Der Schriftsteller als Navigator
Nadolny feierte vor Kurzem seinen 80. Geburtstag, und er zieht in der Sendung eine Bilanz seines Schriftstellerlebens. Für ihn ist der Schriftsteller "ja auch Navigator, er kämpft, probiert, rechnet, irrt sich, wagt sich einmal zu weit, mal zu wenig weit hinaus, kreist mit mehreren Büchern das ein, was er meint, ohne es zu erreichen. Ihm muss ein wenig das Recht auf ein künstlerisches Leben zugestanden werden, also auf nötige und unnötige Umwege und auf Risiken, die nicht lohnen (was man bekanntlich erst hinterher weiß)."
Es ist spannend, diesem Navigator beim Entwickeln seiner Gedanken und Erzählungen zuzuhören, der dabei keineswegs langsam wirkt. Aber man spürt einen Menschen, der einen langen Atem und die nötige Bedächtigkeit für den genauen Blick hat.