Uwe Neumahr, "Das Schloss der Schriftsteller. Nürnberg '46 – Treffen am Abgrund", Ausschnitt des Buchcovers

C. H. BECK

Die Nürnberger Prozesse

"Das Schloss der Schriftsteller"

Als im November 1945 die Nürnberger Prozesse begannen, berichteten Korrespondenten aus 28 Ländern von den Verhandlungen, darunter berühmte Namen wie Erika Mann und Erich Kästner. Untergebracht waren sie zum großen Teil in einem Schloss nahe der Stadt. In seinem Sachbuch "Das Schloss der Schriftsteller" widmet sich der Germanist Uwe Neumahr den Prozessen und wie sie die Leben der Berichterstatter veränderten.

Die Nürnberger Prozesse begannen am 20. November 1945 mit der Eröffnungsrede des US-Chefanklägers Robert Jackson. Die war überaus versöhnlich, Schriftsteller John Dos Passos meinte damals: "Er bemüht sich wirklich, einer Sache Sinn zu verleihen, die ohne ihn ein Akt der Rache wäre."

Dementsprechend hoch waren die Erwartungen an Jackson, als es zur Verhandlung gegen den Hauptangeklagten Hermann Göring kam. "Das war sozusagen der Showdown des gesamten Prozesses, dieses Kreuzverhör ", so Uwe Neumahr. "Und es ging, leider muss man sagen, für Jackson sehr schlecht aus, denn er hatte Göring unterschätzt. Göring schaffte es immer wieder, ihn in Verlegenheit zu bringen. Er war unverschämt, er war intelligent, er war durchaus auch witzig. Und viele der Korrespondentinnen schrieben auch durchaus anerkennend über die Intelligenz und das rhetorische Vermögen Görings."

Unerträgliche Momente

Die menschenverachtende Chuzpe Görings war unbeschreiblich. So lud er den Juden Ernst Michel, der als einziger Auschwitz-Überlebender von den Nürnberger Prozessen berichtete, in seine Zelle ein. Michel flüchtete gleich darauf aus der Zelle. "Ich konnte es nicht mehr ertragen", sagte er später über diese Begegnung.

Gespenstisch war auch der Moment, als in Anwesenheit der Nazi-Schergen im Gerichtssaal ein Dokumentarfilm über die Konzentrationslager gezeigt wurde. "Es wirkte auf viele tatsächlich traumatisierend", so Neumahr. "So gab es einen amerikanischen Korrespondenten, der es nicht mehr aushielt und den Saal verlassen musste, und einen Dolmetscher jüdischer Herkunft, der zusammenbrach. Er konnte es nicht mehr ertragen, für die Täter deren Lügen wörtlich zu übersetzen."

Buchcover

C. H. BECK

Buch über Sprachlosigkeit

Erika Mann schrieb damals in ihrem Bericht für den "Evening Standard" über die Verteidiger: "Man ging bleichen Angesichts nach Hause, wenn auch kaum zum Schlafen, sondern um zu grübeln, wie man etwas verteidigen soll, was nicht zu verteidigen ist."

Und Erich Kästner meinte damals, "dass er es angesichts dieses KZ-Films nicht fertigbringe, einen zusammenhängenden Artikel zu schreiben". "Da ist 'Das Schloss der Schriftsteller' dann auch ein Buch über Sprachlosigkeit", so Uwe Neumahr.

Reporter in der Ritterburg

Das Presse-Lager hatte man in einem Schloss eingerichtet, das sich im Besitz der Bleistift-Dynastie Faber-Castell befand. "Der Graf von Faber Castell, der das bauen ließ, stammte aus einer der ältesten deutschen Adelsfamilien, und das Vorbild war eben explizit eine Ritterburg", erzählt Uwe Neumahr. "Bei den Korrespondentinnen und Korrespondenten kam die Ästhetik des Schlosses nicht gut an, da ist von 'german Schrecklichkeit' die Rede."

Es sind unglaubliche Anekdoten und Literaturzitate, die Uwe Neumahr ausgegraben hat. So meinte Martha Gellhorn, Ernest Hemingways zweite Frau, angesichts der Gräuel tatsächlich über die Deutschen: "Ich denke, sie haben ein Gen locker, auch wenn ich nicht weiß, was für ein Gen das ist." Da geht "Das Schloss der Schriftsteller" dann auch weit über das Anekdotische hinaus, wenn es große Fragen, wie die nach der Schuld der Deutschen, in einem breiten Fächer an Meinungen abhandelt.

Service

Uwe Neumahr, "Das Schloss der Schriftsteller. Nürnberg '46 – Treffen am Abgrund", C.H. Beck

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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