Ein Frau hält ein Bild von Mahsa Amini

APA/AFP/Behrouz MEHRI

Tao

Ein Blick aus der Diaspora in den Iran

Sonias Kunstwerke sind in einer Galerie in Teheran und für sie damit unerreichbar. Ende des Sommers vorigen Jahres besucht die Ende-20-Jährige ihre Familie und ihre Heimatstadt und bereitet sich dort auf eine Ausstellung vor. Dann der Mord von Mahsa „Jina“ Amini.

Es folgen landesweite Proteste im Iran und eine Diskussion unter Galerist:innen und Künstler:innen, ob es angebracht sei, Galerien weiterhin zu öffnen, Ausstellungen zu veranstalten.

Wieder zurück in Europa, füllt sich Sonias Atelier langsam. Es dauert die Leere auszugleichen, eine räumliche Leere und gleichzeitig eine künstlerische, denn es gibt scheinbar wichtigere Angelegenheiten in Sonias Leben, als sich mit ihrem nächsten Werk zu beschäftigen.

Keine Reformen, sonder das Ende der Islamischen Republik

Frauen, viele in Sonias Alter, führen eine Protestbewegung an. Seit einem Jahrzehnt häufen sich solche Bewegungen im Iran und die zeitlichen Abstände zwischen dem Zerschlagen der einen und dem Aufbegehren der nächsten Gruppe werden kürzer. Außerdem spitzen sich die Beweggründe der verschiedenen Gruppierungen, um gegen das Regime auf die Straße zu gehen, auf ein gemeinsames Ziel zu: Sie wollen keine Reformen, sondern das Ende der Islamischen Republik als Staatsform und der brutalen Herrschaft des religiösen Führers Ayatollah Ali Khamenei.

Emanzipation auf allen Ebenen des Lebens

Nahost-Expertin und Standard-Journalistin Gudrun Harrer beobachtet eine neue flächendeckende Entwicklung im Unterschied zu den vorherigen Protestbewegungen: „Die Proteste haben eine geografische Ausbreitung, die noch nie da war. Von Kurdistan über alle Städte bis in den Osten in die Provinz Belutschistan. Die Demonstrierenden nehmen zudem aufeinander Bezug. Wenn die Sicherheitskräfte in Belutschistan besonders brutal sind, wird das in Teheran bei den Protesten erwähnt. Die Solidarität untereinander ist sehr groß zurzeit.“

Eine Solidarität, die sich von jungen Städter:innen in die abgelegeneren Gegenden als auch unter den verschiedenen Minderheiten an sich ausbreitet. So spricht sich etwa der sunnitische Kleriker und als spiritueller Führer der sunnitischen Bevölkerung im Iran geltende Abdolhamid Ismaeelzahi öffentlich für die Anhänger:innen der Bahai-Religion aus. Eine Religion, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet und im Iran verboten ist.

Zusammen mit kurdischen Sunnit:innen, der sunnitischen Bevölkerung Belutschistans, persisch sprechenden Sunnit:innen in der Provinz Khuzestan und der jüdischen Bevölkerung bilden die Bahai einen Teil der diversen religiösen Landschaft im Iran ab. Sie alle sind religiöse Gruppierungen, die auf unterschiedliche Weise Diskriminierung und brutale Gewalt von Seiten des Regimes erfahren. Doch die jetzige Forderung nach Freiheit ist längst nicht mehr rein auf Religiosität bezogen. Es geht um den Wunsch nach großen, politischen Veränderungen und dem zugrundeliegend um das Streben nach Emanzipation auf allen Ebenen des Lebens.

Ein Wunschzustand den Sonia bereits lebt, als Studierende, als Künstlerin und als Frau führt sie ein selbstbestimmtes Leben. Mit inneren Konflikten hat sie in der aktuellen Situation trotzdem zu kämpfen: „Beschäftige ich mich genug damit, was in meiner Heimat, um meine Familie herum passiert? Unterstütze ich die Menschen genug? Ist meine Kunst politisch genug?“ In ihrem Atelier läuft ohne Unterbrechung das Radio oder Online-Nachrichtenprogramme. Es abzuschalten scheint für sie unmöglich, solange auch ihr Umfeld im Iran, dem Terror der islamischen Republik entgegentritt.

Gestaltung: Amelie Sztatecsny