Bernardine Evaristo

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Alter neuer Roman

Bernardine Evaristos "Mr. Loverman"

Mit ihrem Roman "Mädchen, Frau etc" gewann Bernardine Evaristo 2019 als erste schwarze Schriftstellerin den Booker Prize. Jetzt ist ihr Vorgängerroman "Mr. Loverman" erstmals auf Deutsch erschienen. Hauptfigur ist der 74-jährige Barry aus Antigua, der als Ehemann, Vater und Großvater seine Homosexualität seit 60 Jahren nur versteckt ausgelebt hat.

Auf den Mund gefallen ist er nicht, dieser Barry, ganz im Gegenteil. Trotz dem verkrampft gehüteten Geheimnis seiner Homosexualität und seinem Alter jenseits der siebzig, ist seine Sprache voller Wortwitz und Wortspielereien.

Von der Bühne auf die Buchseite

Als gebildeter Dandy, der gerne eine gute Flasche Whisky oder Rum in seiner Nähe weiß, hat er auch so einiges aus seinem Leben zu erzählen, und das tut er auch, so energiegeladen, dass er den Leser vom ersten Satz an der Angel hat. Diese Direktheit komme, so Bernardine Evaristo, von ihrer Zeit am Theater und als Bühnenautorin: „Meine Figuren sollen von den Buchseiten springen. Der Leser soll das Gefühl haben, dass sie sich im selben Raum mit ihm befinden und ihn direkt ansprechen.“

Inseltabu

Barrys große Liebe ist Morris, der sich auch aus Alibigründen auf eine Ehe eingelassen hat, mittlerweile aber geschieden ist. Beide sind nach England ausgewandert, kennen- und lieben gelernt haben sie sich aber bereits als Jugendliche in ihrer Heimat Antigua. „Antigua ist eine ehemalige britische Kolonie und erbte die koloniale Gesetzgebung“, erzählt Evaristo.

„Homosexualität war deshalb lange Zeit illegal und konnte nur versteckt ausgelebt werden. Als Barry mit 14 gemerkt hat, dass er schwul ist, war das ein riesiges Tabu, und obwohl er mittlerweile 50 Jahre lang an einem so liberalen Ort wie London lebt, hat er aus verschiedenen Gründen nie sein Coming-out geschafft.“

Buchcover

VERLAG KLETT-COTTA

Stimmwechsel

Jetzt will Barry aber den entscheidenden Schritt machen und sich von seiner Frau Carmel trennen, um nach einem lebenslangen Versteckspiel, zumindest seinen Lebensabend mit Morris verbringen zu können. Das muss er aber auch seinen beiden erwachsenen Töchter und seinem Enkel verklickern, dazu kommt, dass für seine Frau als fromme Christin eine Scheidung nicht in Frage kommt. Um das Gleichgewicht zwischen ihren Figuren zu wahren, lässt Bernardine Evaristo auch Carmel zu Wort kommen, interessanterweise wählt sie für deren Kapitel die Du-Form: „Durch den Wechsel in die zweite Person“, so Evaristo, „konnte ich Carmel gleichzeitig von innen und von außen betrachten.“

Intime Bereiche

Ein frühes Buch hat Bernardine Evaristo ganz als Versroman geschrieben, in „Mr. Loverman“ sind die Carmel-Kapitel in Versform und im Flattersatz verfasst. Überhaupt sieht sich Evaristo als Romane schreibende Lyrikerin: „Die Sprache der Dichtung ist seit jeher meine eigentliche Heimat. Sie erlaubt mir bei meinen Figuren in sehr intime Bereiche vorzudringen und außerdem vieles in wenigen Worten zu sagen. Während man sich in Romanen gewöhnlich ausbreitet und Ideen entwickelt, verdichtet man in der Lyrik Ideen, Raum und Zeit.“

Musikalischer Schlagabtausch

Wenn Barry und Carmel sich gegenseitig aufreiben, ist das ein Kampf der Weltanschauungen, den Bernardine Evaristo durch den deutlichen Stimmwechsel gleichzeitig auch als musikalischen Schlagabtausch inszeniert. Das gibt es selten und macht „Mr. Loverman“ zu etwas Besonderem, nicht zuletzt dank der Übersetzerin Tanja Handels.

Gestaltung

  • Wolfgang Popp

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