Ausstellungsansicht

WOLFGANG OBERMAIR

Ukraine

Kunstprojekt "Soma"

Die Tanz- und Performance-Gruppe Soma hat ihre Proberäume im Zentrum von Lwiw/Lemberg mit Beginn der großangelegten russischen Militärinvasion für Vertriebene geöffnet und eine Groß-Küche eingerichtet. Aus diesem Hilfsprojekt ist ein Kunstprojekt entstanden: "soma. majsternia".

Binnenflüchtlinge oder Binnenvertriebene nennt man Menschen, die - etwa aufgrund von bewaffneten Konflikten oder Gewaltsituationen - ihre Heimat verlassen müssen und innerhalb des eigenen Landes verbleiben. Die westukrainische Stadt Lwiw ist eine Region, in der besonders viele Binnenflüchtlinge aus der ganzen Ukraine Zuflucht gefunden haben, ihre Zahl wird auf 200.000 geschätzt. Um sie mit dem Nötigsten zu versorgen, sind aus der Zivilgesellschaft viele Initiativen hervorgegangen - auch im Kunst- und Kulturbereich.

Kunstblumenstrauss, Installation

WOLFGANG OBERMAIR

Sirenen-Chor im Hinterhof

Luftalarm in Lwiw: auf die Balkone im Hinterhof treten nach und nach Menschen aus dem Gebäudeinneren, sie stimmen in den Kanon der Sirenen ein. Atemübungen der Musical-Darsteller, erklärt die Sprecherin des Videos "Musical", das das Tanzkollektiv Soma eigens für den Wiener Kunstraum hoast fertiggestellt hat. Aus Material, das innerhalb eines Monats gemeinsam mit geflüchteten Bewohnern des Soma-Hauptquartiers entwickelt und gedreht wurde. Das 40-minütige Video ist Kern der von Olha Marusyn kuratierten Ausstellung "Soma.majsternia: Musical. Concert vitan’"; präsentiert wird es auf einem Bildschirm, nebst Requisiten und Kostümen aus dem Musical, einem Kleid aus Grabschmuck, einem ledernen Biker-Anzu, zwei Wasserkanistern und einem Industriestaubsauger.

Alles sei im Kollektiv entstanden, erklärt Oleksiy Min’ko: die Handlungen der einzelnen Szenen, die Kostüme, die Texte, die Musik und die Gesangseinlagen. Auch an dem Video werde noch weiter im Kollektiv gearbeitet, die in Wien gezeigte Version ist ein Zwischenschritt, der Prozess noch nicht beendet. Es sei der Gruppe wichtig, das Video "My-musical" ("Wir-Musical"), erstmals in Wien zu zeigen, zumal ihre Aktivitäten von Organisationen aus Europa unterstützt werden; eine Ukraine-Premiere ist noch ausständig.

Polnischer Käse, Generatoren und eine Meerjungfrau

Ein Mann belegt singend "ukrainische Brote" mit "polnischem Käse" - in Anspielung auf die Hilfsgüter aus europäischen Ländern. In einer anderen Szene räkelt sich eine als Meerjungrau verkleidete Darstellerin ungelenk über die Bühne. Später wird ein für 100 Personen Borschtsch gekocht, die freiwilligen Helfer besingen die Zutaten.

Die Szenen des "Musical" genannten Videos, das sich den Genre-Titel schelmisch aneignet, ergeben keine lineare Handlung; es sind von einer Moderatorin eingeführte Songs, die mit einfachsten Mitteln und viel Herzblut inszeniert wurden und - über die 40 Minuten Dauer - ihre Sogwirkung halten. Der Krieg ist die Kulisse für das Leben und Arbeiten in den Soma-Studios; in einem Lied etwa besingt der Chor, was nicht alles gebraucht wird: ein Haarföhn, eine Brotschneidemaschine, Freundschaften, ein wenig Privatsphäre, eine eigene Atombombe, ein Generator.

Netzwerk der Vertriebenen und der Unterstützenden

Die Künstlerin und Puppenspielerin Ira Loskot ist aus Charkiw; gleich am ersten Tag der großflächigen russischen Invasion im Februar 2022 haben sie und der aus Berdjansk bei Mariupol stammende Oleksiy Min’ko Zugfahrkarten gekauft, ohne zu wissen wohin. In Lwiw sind sie geblieben; ebenso wie der technische und handwerklich versierte Volodimir, der bei Soma Workshops im Kampfsport anbot. Und wie die Köchin Tamara, die sich in der improvisierten Großküche, in der täglich bis zu 200 Mahlzeiten für Flüchtlinge gekocht wurden, mit ihrer Erfahrung über Portionen und Lebensmittelmengen nützlich machte.

Für die Küche und die Versorgung mit Lebensmitteln sei viel gespendet worden, sodass auch sportliche Aktivitäten angeboten werden konnten, so Ira Loskot. Eine der Initiativen, die finanzielle Unterstützung für die humanitäre Hilfe des Tanzkollektivs Soma sammelten, ist der Kunstraum hoast in Wien, der von den Künstlern Wolfgang Obermair und Ekaterina Shapiro-Obermair betrieben wird: "Wir finden es wichtig, dass hier im Westen, in Österreich, in Wien, das Interesse und die Dringlichkeit die Ukraine zu unterstützen nicht verloren geht. Dass wir wachsam bleiben! Und es gibt etliche Ausstellungen von Künstlern und Künstlerinnen, die als Flüchtlinge in Wien gelandet sind, aber die Leute vor Ort brauchen auch Unterstützung."

Freiwilligenarbeit darf Spaß machen

Da ist eine selten feine, geerdete, unterhaltsame und zugleich künstlerisch anspruchsvolle Verschränkung von humanitärer Freiwilligenarbeit und künstlerischem Schaffenswillen gelungen. Die Produktion des Kunstwerks ist dem Alltag im Krieg untergeordnet; Antrieb für die kollektive Anstrengung war der Versuch, gemeinsam etwas zu erschaffen, "Kunst als Mittel um der sich ausbreitenden Frustration zu begegnen", wie es Oleksiy Min’ko ausdrückt. Die bange Zeit im Krieg zu nützen; der unsicheren Zukunft eine mit Bedeutung und Freude angereicherte Gegenwart entgegenzusetzen. Der Funke springt beim Betrachten des Musicals über.

Service

Soma.majsternia: Musical. Concert vitan’ ist noch bis 21. Mai 2023 im Kunstraum hoast zu sehen, Große Sperlgasse 25, 1020 Wien. Öffnungszeiten sind Freitag 15-18 Uhr, Samstag 12-16 Uhr, sowie nach Vereinbarung.

Tanzkollektiv Soma

Gestaltung

  • Anna Soucek